Eine Gruppe von Landwirten steht inmitten von hunderten Treckern auf dem Festplatz Hohe Steinert. „Eigentlich gehört diese Demo auf den Rathausplatz“, sagt einer von ihnen. „Hier stehen wir doch ziemlich isoliert.“ Das stimmt. Ihre Spuren haben die Bauern am Montag dennoch hinterlassen.
Rund 500 Landmaschinen, Handwerker-Transporter und der ein oder andere Speditions-Lkw aus dem gesamten Kreis rollten am Montag durch Lüdenscheid und verursachten massive Verkehrsstörungen. Das war zum Beginn der Aktionswoche unter dem Motto „Zu viel ist zu viel“ so gewollt.
Der Protest der Landwirte richtet sich gegen geplante Subventionskürzungen beim Dieseltreibstoff und der Kfz.-Steuer. Zudem reihten sich im Zuge einer zweiten Demo Gewerbetreibende ein, die ganz allgemein ihre Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung zum Ausdruck bringen wollten.
Aus Sicht der Polizei verlief alles friedlich. „Die Versammlungen liefen durchweg störungsfrei. Es kam zu keinerlei strafbaren Handlungen oder weitergehenden polizeilichen Maßnahmen. Die im Vorfeld kommunizierten Routen wurden befahren. Auch während der Abreise kam es zu keinen Störungen“, meldete die Polizei am Montagnachmittag.
Ulrich Brinckmann, Vorsitzender des Kreisverbandes MK des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) beendete die Kundgebung mit einem kurzen Schlusswort. Das Verlesen der dreiseitigen LWL-Resolution ersparte er seinem Publikum. Das Thema, nämlich die geplante Streichung der Agrardieselvergütung und die Streichung der Kfz.-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge, sorgt seit Wochen für Unruhe unter Landwirten. „Diese Maßnahmen sind existenzgefährdend“, sagte Ulrich Brinckmann. Sein Statement ging an diesem frostkalten und zugigen Vormittag aufgrund einer unterdimensionierten Lautsprecheranlage ein wenig unter.
Viele Kundgebungsteilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich enttäuscht. Sie hatten sich wohl mehr erhofft. Ulrich Brinckmann räumte in seiner Ansprache ein: „Wir machen das in dieser Form zum ersten Mal.“ Er hofft, dass die Botschaft bei der Regierung ankommt. „Sonst sind wir am 15. Januar in Berlin wieder dabei.“
Unter den Zuhörern befanden sich neben dem heimischen Landtagsabgeordneten Ralf Schwarzkopf (CDU) auch die Bürgermeister Jörg Schönenberg aus Schalksmühle, Uwe Kober aus Altena sowie Bürgermeisterin Birgit Tupat aus Nachrodt-Wiblingwerde und Landrat Marco Voge (CDU). Der Chef der Kreisverwaltung hatte Ulrich Brinckmann vor der Kundgebung mitgeteilt, dass es wohl keinen Nationalpark Ebbegebirge geben werde, weil es schwierig sei, die dafür benötigten 8000 Hektar Land zusammenzubekommen. Bisher käme man nur auf 6000 Hektar. „Das ist eine gute Nachricht für die Landwirte, die dadurch keine Flächen abgeben müssen“, kommentierte der Vorsitzende des WLV-Kreisverbandes diese Information.
Trittbrettfahrer aus der ultrarechten Szene waren auf der Hohe Steinert nicht zu sehen. Keine Ampel am Galgen oder Ähnliches. Stattdessen das Bekenntnis: „Landwirtschaft ist bunt statt braun.“
Hier das Flugblatt, das der WLV anlässlich der Aktionswoche herausgebracht. Es fasst die Forderungen und Argumente des Verbandes zusammen:
Reaktionen: Daumen hoch und Daumen runter
Daumen hoch, Daumen runter. Der Trecker-Protest löste die unterschiedlichsten Reaktionen aus.
„Das Anliegen der Bauern verstehe ich. Ihr Recht, für eigene Interessen wie die Verhinderung von Subventionskürzungen einzutreten, unterstütze ich. Aber die derzeitigen Blockaden sind nicht mehr verhältnismäßig“, sagt ein Mann, der auf dem Parkplatz des Hellweg-Baumarktes die vorbeifahrenden Trecker beobachtet.
„Mit den heimischen Landwirten kann ich mich solidarisieren, nicht aber mit den Großagrariern“, erklärt Josef Filippek, Fraktionsmitglied der Partei Die Linke im Lüdenscheider Stadtrat. Der Protest sei gerechtfertigt. Die Stimmung im Land sei schlecht. „Die Menschen sind aufgebracht.“ Die Angst, dass der Protest der Landwirte von Extremen missbraucht wird, teilt er nicht. „Immer wieder tauchen ja einzelne Spinner auf.“
Bei der Kundgebung auf der Hohe Steinert war das übrigens nicht der Fall. Die Aussagen, die die Bauern und auch teilnehmende Handwerker auf ihre Plakate geschrieben hatten, waren allerdings eindeutig. „Beim Schach macht der Bauer den ersten Schritt und am Ende fällt immer ein König“, hieß es beispielsweise. „Drei Anzeichen für Fachkräftemangel, hieß es auf einem anderen Plakat. Zu sehen waren darunter Porträts von Bundeskanzler Olaf Scholz, Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck.
„Ich finde es gut, dass es die Landwirte es schaffen, friedlich zu demonstrieren“, sagte eine junge Frau, kurz vor der Kundgebung. „In einer Demokratie muss so etwas erlaubt sein.“
„Alle müssen den Gürtel enger schnallen. Da trifft es eben auch die Landwirte“, meinte ein Autofahrer, der auf der Heedfelder Straße im Stau steckte.
„Gut, dass die Bauern was unternehmen“, erklärte eine junge Frau auf dem Weg zum Hellweg-Baumarkt. „Es zeigt, wie schlecht die Stimmung im Land ist.“ Sie und ihr Mann hätten drei Kinder und müssten trotz zweier Einkommen jeden Euro zweimal umdrehen. Die einmaligen Verkehrsstörungen seien sicher zu verschmerzen. „Ich hoffe, dass der Protest in Berlin Wirkung zeigt.“
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