Das klingt alles so schön, so hochmögend: Schlossherr, Forstverwalter, Gebieter über Jagd und Forst auf 2000 Hektar, was 2800 Fußballfeldern entspricht. Gabriel Freiherr von dem Bussche ist der vermeintlich gesegnete Herr über dieses Imperium rund um das Lüdenscheider Schloss Neuenhof und in Schalksmühle und er wartet gerade auf den Lennestädter Landtagsabgeordneten der Grünen, Dr. Gregor Kaiser. Dieser ist Sprecher seiner Fraktion für Wald und Nachhaltigkeit, hat selbst einen Forstbetrieb in Oberelspe, produziert dort nach ökologischen Gesichtspunkten Bio-Weihnachtsbäume - und besucht an diesem Tag ein Kalamitäts-Forstgut.
Gabriel Freiherr von dem Bussche hat für Kaiser und dessen Begleitung , die Wahlkreis-Büroleiterin Karin Sopart, belegte Brötchen, Kaffee und Teilchen angerichtet. Selbst ist der Mann, auch wenn er Freiherr ist. Und er unterscheidet sich von Nicht-Trägern eines Adelstitels an diesem Tag vor allem darin, dass die Verantwortung, die auf ihm lastet, über Generationen währt, räumlich ein Vielfaches größer ist als bei Normalos, als bei CEOs von Konzernen, die in Quartalen denken. Von dem Bussche denkt in Jahrhunderten – was dem Forst, was der Familientradition geschuldet ist.
Gut 700 Jahre besteht Schloss Neuenhof. 1326 wurde es erstmals urkundlich erwähnt. Was ist da schon die halbe Stunde Verspätung, die der Landtagsabgeordnete mitbringt, weil er die Einfahrt zum Schloss erst nicht findet und dann obendrein vor einer Sperrbake steht, die die Stadt Lüdenscheid ins Bachtal der Elspe gestellt hat – umkehren bitte, zweiter Versuch.
Schloss Neuenhof, Sitz der Forstverwaltung, liegt tatsächlich abgeschieden. Und das mag mit ein Grund dafür sein, dass „draußen“ gar nicht gewusst wird, was das Fichtensterben der vergangenen Jahre, ausgelöst durch drei heiße Sommer und massiven Borkenkäferbefall, wirtschaftlich und mental angerichtet hat. Für die, die ein Forstgut verantworten. Für die, die im und mit dem Wald arbeiten. Der Grüne Dr. Gregor Kaiser will das, auch im Interesse der Öffentlichkeit und Leserschaft, genau wissen und hat – wie passend zur gerade laufenden Weltklimakonferenz – bei dem parteilosen Freiherrn um einen Informationstermin, um einen Blick hinter die Kulissen gebeten.
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Wie bringt man Städtern die Themen des Waldes näher?
Mit am Tisch und später mit im Wald (oder besser auf den Wiederaufforstungsflächen) sind Förster Rüdiger Müller und der Forststudent der Hochschule Rottenburg am Neckar Tim Crook, der auf Neuenhof sein Betriebspraktikum absolviert. Müller ist freiberuflicher Forstsachverständiger mit zweitem Staatsexamen, seit über 20 Jahren aktiv in der Bewirtschaftung von Privatwäldern im Sauerland, auftragsgemäß tätig auf Neuenhof. Dass er im vergangenen Jahr fünf Wochen ausfiel, weil ihn das Absterben der Wälder aus der Bahn geworfen, ihm die Kraft geraubt hatte, das wird er erst am Ende des drei Stunden währenden Termins leise bekennen – und zu erkennen geben, dass die Kalamität nicht spurlos an den Menschen, den Insidern, vorbeigeht.
Müller und Von dem Bussche geht es im Gespräch mit Gregor Kaiser und dem LokalDirekt-Reporter um die Art und Weise, wie Städtern, Läufern, Mountain-Bikern, Ausflüglern, schlicht den Menschen von heute, die Waldwirtschaft nahegebracht werden kann. „Komplexe Erklärungen“ seien erforderlich, es gehe darum, mit „echten Menschen in den Wald zu gehen und Aufklärung zu leisten“. Das eigene Tun gelte es zu kommunizieren, weil die Ansprüche der Öffentlichkeit stiegen, das Wissen um Forst und Flur aber verloren gehe.
Der flüchtige Betrachter wird beim Blick auf die Sauerländer Wälder – dort, wo einmal dichte Fichtenbestände standen – nur Kahlschlag erkennen. Als Holzproduzent und als CO2-Senke sind die Bestände ausgefallen. Bezogen auf die Forstverwaltung Neuenhof bedeutet es, dass 40 Prozent der Bestände – 700 Hektar – verloren sind. 20 Prozent der Bestände hatte es bereits bei Kyrill gemeuchelt. Die Arbeit von Generationen ist perdu. Die Wiederbewaldung wird zur Riesenaufgabe, personell wie finanziell, auch gesetzgeberisch und gesellschaftlich.
Der Wald soll nicht zum Freizeitpark verkommen
Dr. Gregor Kaiser geht es um Änderungen im Landeswaldgesetz, um die Anforderungen an Waldbesitzer, die dort verankert sind. Ihm geht es um geringere Anforderungen an die Verkehrssicherheitspflicht (der Waldbesitzer haftet heute für Personenschäden, die Spaziergänger im Wald erleiden), es geht ihm um die Themen Waldbrand – Rauchen im Wald – Betretungsverbote bei Trockenheit und Dürre. Sein Thema ist es, wilde Mountainbike-Trails auf Plattformen wie komoot.com (Slogan "Explore beyond the maps" - also "Erforsche abseits der Karten") löschen zu können. Kurzum: Privatwaldbesitzer sollen nicht dafür herhalten und haften müssen, dass Städter den Wald zum Freizeitpark jedweder Art machen.
Auch Gabriel Freiherr von dem Bussche weiß „Für das Waldbetretungsrecht zahlt niemand.“ Ihm geht es in dem Termin um eine „standortnahe Wiederbewaldung“ – und um eine finanzierbare Wiederbestockung. Schon Gregor Kaiser hatte geurteilt, dass das Landesprogramm zur Wiederbewaldung sehr überschaubare Ergebnisse gezeitigt habe: „Viel ist vertrocknet, viel ist von Rehen abgefressen worden.“ Will sagen: „Nur“ neu zu bestocken habe wenig gebracht. Andere Wege müssten beschritten werden.
Den neuen Wald pflanzen und auch die Natürverjüngung nutzen
Diese „neuen Wege“ sind aufgrund der Größe der Aufgabe im Gut Neuenhof (700 Hektar Verlustfläche) ambivalent. Da gibt es Flächen, auf denen Baumarten vielfältig gestreut werden, „um nicht bei der nächsten Kalamität wieder alles zu verlieren“ und es gibt die Flächen, die sich selbst überlassen werden, auch wenn dort Birken, Fichten und Buchen zu einer neuen Monokultur werden. Von dem Bussche und Förster Müller sehen da keinen Wiederspruch; die Kyrill-geschädigten Flächen hätten bewiesen, dass der Wald sich selbst repariere. Im übrigen erlebe man das auch bei den derzeit abgeholzten Borkenkäferflächen, wo die Naturverjüngung verfolgt werden könne. Dem Kahlschlag folgte ein purpurfarbenes Fingerhutjahr. Im Jahr darauf gab es ein grandioses Ginstergelb, so weit das Auge reichte. Müller: Brombeere, Fingerhut, Ginster – "das regelt sich alles von selbst.“ Die genannten Gewächse dürfe man verstehen wie Pionierpflanzen, die mit dem natürlichen Aufwuchs von Birken, Fichten und Buchen wieder verschwänden.
Zurück zu den Neuanpflanzungen bei der Forstverwaltung Neuenhof. Förster Rüdiger Müller erklärt den Wandel: „Früher hatten wir zu 60 Prozent Fichten und zu 20 Prozent die Buche. Heute pflanzen wir 30 Baumarten, Eiche aus dem Spessart, dem Pfälzer Wald und die Traubeneiche aus Kroaten. 44 Prozent Traubeneiche!“ Die Eiche allerdings ist erst nach 150 Jahren schlagreif, die Fichte nach 80 Jahren. Gepflanzt wird mithin für die nachrückende sechste Generation. Müller: „700 Hektar lassen sich nicht wirtschaftlich wiederbewalden, aber wir haben jetzt eine einzigartige historische Chance, die wir nutzen müssen.“ Mit der Traubeneiche und 30 Baumarten – und mit der Naturverjüngung.
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Die Zahl der Rehe auf ein verträgliches Maß bringen
Wenn da nur nicht der Verbiss durch das Rehwild wäre. Die Naturverjüngung wird durch die „Verdopplung der Rehwildstrecke“ in der jüngsten Zeit durch Abfressen konterkariert – einerseits. Und Neuanpflanzungen müssten daher eingegattert, eingezäunt oder durch Schutztüllen um jeden Setzling sehr teuer geschützt werden – andererseits. Die Tüllen sind aus Plastik, Pappe oder Draht, aus Material, das im Wald eigentlich nichts zu suchen hat. Die Erkenntnis ist: Wird der Rehwildbestand reduziert, so hilft das dem Wald auf mehrfache Weise. Verbiss bleibt aus, Zäune und Baumschutzhüllen werden überflüssig, Wiederbestockung wird bezahlbar.
Im Eigenjagdbezirk Neuenhof ist man „mit motivierten Jägern“ dabei, die Strecke auf das Maß von 20 Rehen auf 100 Hektar zu bringen. Wenn das über drei, vier Jahren gelinge, habe sich der junge Wald stabilisiert. „Wenn wir einen klimastabilen Wald wollen, der sich aus sich selbst erhält, darf es nicht zu viele Rehe geben.“ Motivation für die Jägerschaft könne sein, dass seitens des Forstes auf die Jagdpacht verzichtet wird. „Die Jagd ist im Forstgut ein Investitionsbereich, ist keine Einnahmequelle mehr.“
Von dem Bussche und Förster Müller haben dafür den Begriff „waldorientierte Jagd“ zur Hand. Zudem haben sie eine Vorzeigefläche zu bieten: Hoch über Elspe, Brügge und der Mintenbecke stellen sie eine wiederbestockte Fläche mit Traubeneichen vor. Die gut angegangenen Setzlinge kommen ohne Zäune und Plastikhülsen aus. Man merkt Förster Rüdiger Müller in diesem Moment an, dass er wieder Hoffnung geschöpft hat. Der neue, der umgebaute Wald – er findet auf der Hochfläche am Buchenberg statt.




















