Zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs mahnt Wolfgang Schneiderhan, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, in seinem Geleitwort zum Volkstrauertag 2025 zu Verantwortung, Zusammenhalt und Wehrhaftigkeit in einer zunehmend unsicheren Welt.

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„Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, das in der Gewaltgeschichte dieser Welt wohl größte Unglück für die Menschheit. Rund 3,5 Prozent aller damals lebenden Menschen auf diesem Globus kamen um. Es bietet sich heutzutage vielleicht die letzte Gelegenheit, gemeinsam mit jenen zu gedenken, die den Mai 1945 noch selbst erlebt haben. Diese Möglichkeit dürfen wir nicht verstreichen lassen. Nach dem verbrecherischen Angriffs- und Vernichtungskrieg Deutschlands lagen 1945 weite Teile Europas in Trümmern. Aus Büchern und Berichten, aber auch aus persönlichen Gesprächen, erreichen uns Erzählungen von Verlust und Angst, aber auch von zaghafter Hoffnung, über denen meist die Unsicherheit über die Zukunft schwebte.

Zunächst im westlichen Teil und ab 1989/90 in einem wiedervereinten Deutschland haben wir das Geschenk der Freiheit erhalten.

Seit einigen Jahren erleben wir jedoch wieder eine Zeit vermehrter Unsicherheit. Die Aggression des Diktators Putin stellt uns vor nie da gewesene Herausforderungen, die Nachrichten aus dem Nahen Osten sind weiterhin bedrückend und auch im Verhältnis zu den USA - unserem Verbündeten, der Deutschland nach 1945 so sehr unterstützt hat - erleben wir Spannungen, die wir uns vor einiger Zeit noch nicht hätten vorstellen können. Diese Unsicherheit pflanzt sich fort in unserer Gesellschaft. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme erzeugen Frustration und verleiten dazu, nicht nach Lösungen und Kompromissen zu suchen, sondern anderen die Schuld dafür zu geben. Wir beobachten dabei nicht nur die Konflikte außerhalb unseres Landes, nein, auch im Inneren streitet man sich heftiger als früher.

Doch wenn sich jeder nur auf sich und seine Interessengruppe beschränkt, dann gewinnen die Feinde der Demokratie. Wir alle brauchen einander und wir brauchen ein Miteinander. Freiheit gelingt nur, wenn sie nicht rücksichtslos ist, sondern im Bewusstsein unserer Verantwortung füreinander gelebt wird. Etwas Gutes tun, ohne gleich dafür einen Lohn zu erwarten: Das ist der Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Viele Menschen haben diesen Gemeinsinn glücklicherweise noch nicht vergessen. Sie engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen und in Bürgerinitiativen, sie dienen in Uniform für das Gemeinwohl, sie helfen karitativ und sind Förderer sozialer, humanitärer oder kultureller Aufgaben. Kriegsgräberfürsorge ist so ein Projekt, wo Menschen Gutes tun und Gutes bewirken können. Tausende von deutschen Kriegsgräberstätten im In- und Ausland zeigen uns nämlich, was Krieg in seiner letzten Konsequenz für unser eigenes Land bedeutet. Die Antwort darauf heißt jedoch nicht Frieden um jeden Preis. Die Antwort heißt vielleicht besser: Friedfertigkeit im eigenen Haus und Wehrhaftigkeit nach außen, damit auf diesen beiden demokratischen Säulen ein wahrer Frieden in Freiheit gedeihen kann.

Das ist auch die Botschaft der deutschen Kriegsgräberfürsorge. Seit über 100 Jahren hat der Volksbund die Aufgabe, Gräber zu pflegen und die Erinnerung an die Kriegstoten wachzuhalten. Den einzelnen Kriegstoten aus der Anonymität zu holen und heute noch für eine würdige Bestattung zu sorgen, ist dem Verein weiterhin überragender humanitärer Antrieb.

Unsere Bildungs- und Jugendarbeit erreicht jedes Jahr über 30.000 junge Menschen. Wir erzählen dabei keine allgemeine Kriegsgeschichte, sondern Geschichten von dem, was der Krieg mit Menschen macht und was Menschen im Krieg gemacht haben. So wird die persönliche Auseinandersetzung mit dem einzelnen Grab zu einer eindringlichen Aufforderung zum Nachdenken. Was ist passiert? Warum ist etwas passiert? Welche Verantwortung trage ich für mich und andere? Diese Verantwortung ist nicht Bürde oder Last, sondern sie ist Angebot und Aufforderung zugleich, die eigene Freiheit und die unseres Landes zu gestalten. Kriegsgräber sind daher keine toten Monumente, sondern lebendige Orte des Erinnerns. Hier lernen wir: Freiheit fußt auf Verantwortung und dauerhaften Frieden gibt es nur in Freiheit. Das ist die Lektion aus dem 8. Mai 1945, auch 80 Jahre danach.“