Nach geltendem EU-Recht ist der Verkauf von Cannabis verboten. Im Grau-Bereich: der Verkauf von THC-freien Produkten aus der Cannabis-Pflanze. Die Ampel-Koalition möchte die Legalisierung von Cannabis voran treiben, doch sie kann laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erst 2024 in Kraft treten. Die Kiersper Grünen setzen sich seit Jahren dafür ein. Ein erster Schritt: die Bewerbung als Modellstadt.
„Das Bundesgesundheitsministerium hat im März Eckpunkte eines Zwei-Säulenmodells zur kontrollierten Abgabe von Genusscannabis an Erwachsene vorgelegt. Der Gesetzentwurf zur Säule 1 (Abgabe von Genusscannabis über sog. „Social Clubs“) liegt bereits vor und umfasst rund 183 Seiten. Der Gesetzentwurf zu einem regionalen Modellvorhaben mit kommerzieller Lieferkette (2. Säule) sollte nach den Sommerferien vorgelegt werden. Dieser liegt zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht vor“, heißt es in der Beschlussvorlage des Ausschusses für Demografie, Soziales und Familie, der am Dienstag, 7. November, tagte.
Am Freitag, 17. November, bestätigte Lauterbach in einem Zeitungsinterview, dass die Cannabis-Legalisierung nicht zum Jahreswechsel kommen werde. Ein Inkrafttreten sei erst nach der Bundesratssitzung im Februar möglich. Ein Grund mehr für eine schnelle Bewerbung als Modellstadt aus Sicht der Kiersper Grünen.
Diskussion im Ausschuss: Ablehnung und Enttäuschung
Die Kiersper Grünen-Fraktion hatte im April im Rat beantragt, die Verwaltung, mit der Vorbereitung einer Bewerbung, als Modellstadt zur kontrollierten Abgabe von Genusscannabis in entsprechenden Verkaufsgeschäften zu beauftragen. Der Antrag wurde durch den Rat am 20. Juni an den Ausschuss für Demografie, Soziales und Familie verwiesen. Hier ist er nun „ruhig gestellt worden“. Sebastian Laatsch gab an, sich beim Bundesgesundheitsministerium durchtelefoniert zu haben und keine Auskünfte zu Zuständigkeit oder Kontrollen von Verkauf und Abgabe von Cannabis in Social Clubs bekommen zu haben.
Das Echo im Ausschuss: Kierspe soll keine Modellstadt für Cannabis werden. Peter Philipp (CDU) fragte, ob Kierspe nicht andere Probleme habe. Ralf Ullrich stellte in den Raum: „Worüber diskutieren wir hier? Drogenkonsum ist gefährlich.“ Der neue Vorsitzende des Sozialen Bürgerzentrums „Hand in Hand“ Markus Gorecki befürchtete sozialen Sprengstoff und nannte die Vorstellung von Kierspe als einer Modellstadt für Cannabis „beschämend“ und ein Scheitern des Modellversuchs „peinlich für die Stadt“.
Am Ende votierte der Ausschuss mit acht Ja- und vier Nein-Stimmen für den Beschluss, das Gesetzgebungsverfahren rund um Cannabis abzuwarten. Offen bleibt, ob die Beschlussvorlage in den Rat weitergereicht wird. „Ich bin enttäuscht“, sagte Detlef Jungmann (Grüne) im Gespräch mit LokalDirekt zu diesem Abschneiden. Er wundert sich, dass die kommunalen Vertreter der Ampel-Parteien den Vorschlag ablehnen. Er hätte ein differenzierteres Meinungsbild erwartet.
Modellstadt als Schutzmaßnahme
Jungmann sieht in der Option, Modellstadt für Cannabis zu werden, eine Schutzmaßnahme: gegen den Schwarzmarkt, gegen gepantschte Produkte, für fachliche Beratung, für Qualität, wissenschaftliche Begleitung in einem legalen Rahmen. In sogenannten „Coffeeshops“ würden nur THC-haltige Cannabisprodukte verkauft, kein Marihuana oder Hashisch. In Kierspe sei es einfach an sämtliche Drogen zu kommen. Im CBD-Shop werden bereits THC-lose Cannabis-Produkte verkauft. „Die Betreiber wären bereit, beim Modellversuch mitzumachen“, berichtete Jungmann.

Über fünf Jahre würde der Modellversuch von einer wissenschaftlichen Einrichtung und dem Gesundheitsamt begleitet, der Prozess evaluiert und jeder Verkauf dokumentiert. Gegenargument: Kierspe hat kein eigenes Gesundheitsamt.
Jeder Verkauf der zugelassenen THC-Produkte und die Altersklasse der Kunden würde erfasst. „Sollte sich das Modell in irgendeiner Form negativ entwickelt, Stichwort Tourismus oder erhöhter Konsum, würde das Projekt sofort abgebrochen“, betonte Jungmann.
Jungmanns Hauptargument: „Auf der Straße bekommt man gepantschtes Zeug. Vermischt mit Kokain, Backpulver oder Rattengift. Im geprüften Shops gibt’s Qualität. Der Konsum ist so oder so da.“ Allerdings befürchtet Jungmann bei den Qualitätsunterschieden auch Preisunterschiede. So sei auf dem Schwarzmarkt ein Gramm Cannabis für rund 10 Euro zu bekommen, im Coffeeshop nach Holländischem Modell für etwa 40 Euro.
„Ich hoffe, dass in den Modellverkaufsstellen der Preis wenigstens bei 20 Euro liegen würde.“ Und: dass der zusätzliche Verkauf von Alkohol verboten bleibt. Auch greife der Jugendschutz in Holland besonders hart. Nach Empfehlung der Iserlohner Drogenberatung „drobs“ würde auch Jungmann eine Abgabe ab 23 bis 25 Jahren befürworten. „Dann ist die Entwicklung des Gehirns abgeschlossen. Zweifellos hat Cannabis eine Wirkung auf das Gehirn.“
Das Thema wird bleiben
Die Sicherheit der Konsumenten habe oberste Priorität. Gelder, die durch den Modellversuch eingenommen werden, würden in Präventionsprogramme fließen. Er verstehe die Bedenken mit Blick auf Suchterkrankte, doch ob Drogen konsumiert werden oder nicht stehe nicht zur Debatte. Entscheidend sei das „Wie“. Städte wie Köln, Dortmund oder Münster würden sich bewerben, sobald die Modellphase freigeben ist. „Ich rechne mit Februar kommenden Jahres“, so Jungmann. „Wir müssten also schnell sein.“ Ausdrücklich gewünscht seien von Seiten des Gesundheitsministers auch ländliche Kommunen als Teilnehmer. Doch nun sehe er kaum Chancen, dass der Antrag durch den Rat kommt. Das Thema aber bleibe. Jungmann habe sich bereits in seinem Wahlkampf 2009 dafür eingesetzt.
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