Die Experten Stefan Tertel und Bernd Weißflog kennen die Kiersper Szene: „Früher wurden Drogen über einen Dealer bezogen, heute bekommt man Cannabis, Badesalze und andere Substanzen in den Sozialen Medien, die dem Konsumenten per Bote geliefert werden oder in einer gewöhnlichen Packstation bereitstehen“, klären sie bei ihrem Besuch des Ausschusses „Demografie, Soziales und Familie“ am Dienstag, 16. Mai, auf. Allein der Kokainkonsum habe sich in Europa verdreifacht. Es weise eine hohe Verfügbarkeit auf dem Markt auf.
Eine weitere Quelle: Kiersper Vorgärten. Es habe laut Experten auch in Kierspe den Trend gegeben, dass Hortensienblüten von Privatgrundstücken gepflückt und konsumiert worden seien – allerdings habe aufgrund des geringen Genusserlebnisses dieser Hype nachgelassen.
Dennoch seien die Zahlen insgesamt Besorgnis erregend: Gemessen am Verhältnis von Einwohnern zu Drogenkonsumenten sei die Kiersper Szene nach aktuellen Kennzahlen vergleichbar mit jenen in Berlin oder Köln. „Die Szene ist hier nur nicht so auffällig“, so Tertel.
Jugendprävention
Entsprechend der hohen Verbreitung wolle man die Drogenberatung möglichst im frühen Kindes- und Jugendalter Prävention betreiben: auch an Grundschulen. Denn: Je eher mit dem Konsum von Drogen begonnen werde, desto nachhaltiger seien die Schäden für das Gehirn, warnen die Experten. Während der Pubertät, im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren, strukturiert sich das Gehirn neu und bildet neue Synapsen. Daher könne Drogenkonsum den Stoffwechselhaushalt durcheinander bringen und zu Wahrnehmungsverschiebungen führen. Das Programm „Klasse2000“ werde daher zur Präventionsarbeit in Kiersper und Meinerzhagener Grundschulen durchgeführt.
Auch das Programm „FreD“ stellen die Experten vor. „‚FreD steht für die Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten und dieses Angebot richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 bis 21 Jahren, die als Konsumenten mit illegalen Drogen experimentieren und/oder Drogen missbrauchen und strafrechtlich/polizeilich auffällig geworden sind“, heißt es auf der Internetseite der Drogenberatung.
In Kierspe bestehe des Weiteren ein Kontakt zum Jugendzentrum „relaX“, mit dem „drobs“ eine Podiumsdiskussion zur Legalisierung von Cannabis im zweiten Halbjahr nach den Sommerferien plane – in Zusammenarbeit mit der Gesamtschule Kierspe.
Jede Droge wirkt anders
Wichtig sei es, zu wissen, dass jede Droge je nach Person unterschiedlich wirke. Grundsätzlich hätten laut Experten Rauschmittel verschiedene Wirkungen. Besonders gefährlich sei es, wenn ein Mittel den Frontal Cortex im Gehirn beeinflusse – „dadurch verändert sich die Wahrnehmung von Gefahren“, so Tertel. „Im Rausch ist es lustiger über eine rote Ampel zu fahren, als nüchtern. Auch ein Hochhaus wirkt von oben weniger bedrohlich.“
Programm „Emma und Jonny“
Neben der persönlichen Beratung oder der Präventionsarbeit in Schulen, bietet „drobs“ die neue Chatberatung „Emma & Jonny“ an. „Die Jugendlichen verstehen das Namensspiel mit der Partydroge MDMA und dem Rauchen eines Joints hinter ‚Emma und Jonny'“, versichert Tertel. „Es ist wichtig zu verstehen, dass sich Konsumenten über ihr Mittel identifizieren und sich von anderen Zielgruppen abgrenzen wollen.
Ein Junkie möchte kein Alkoholiker sein“, bringt er die Differenzierung zwischen den Gruppen auf den Punkt. Online könne man sich einfach mit wenigen Klicks einen Termin bei „Emma & Jonny“ ausmachen. „Leider wird das Angebot noch nicht so gut angenommen, wie von uns erhofft“, berichtet Tertel.
Diskussion um Cannabis-Legalisierung
Ein differenziertes Bild zeichnete sich in der Diskussion rund um die Legalisierung von Cannabis ab, die die Bundesregierung schrittweise seit Oktober 2022 einführt.
„Der Schwarzmarkt wird trotz Legalisierung weiter bestehen“, sind sich die Experten sicher. Um so wichtiger sei ein „Safer Use“ – „wenn schon konsumiert wird, dann sicher“, fasst es Tertel zusammen. CDU-Mitglied Marius Schriever, der im Ausschuss vereidigt wurde, glaubt, dass durch die Legalisierung „kein Müll in die Mittel gemischt wird und nur reines Kraut vertrieben werde.“
Außerdem hätten andere EU-Länder das Prinzip bereits erfolgreich eingeführt. UWG-Vertreterin Kirstine Weiland wolle das Argument nicht gelten lassen, dass das Verhalten anderer Staaten automatisch für richtig und kopiert werden müsse.
Georg Würth von der FWG befürchtete ein „Chaos-Signal“ aus Berlin.

Tertel und Weißflog fordern von der Politik das Alter zur Legalisierung von Cannabis anzugeben, da das Gehirn erst mit 25 Jahren ausgebildet sei.
Zudem würden sie sich von der Politik wünschen, dass die Steuereinnahmen durch die Legalisierung in die Suchtberatung und Prävention fließen würden. Außerdem seien aus Sicht der Experten einige Fragen noch nicht geklärt.
Verbieten oder verhindern könne man den Konsum von Cannabis laut Experten nicht, da über 20 Prozent der Deutschen schon mit Cannabis in Kontakt gekommen seien.
Seit 50 Jahren setzt sich „drobs“ für Prävention, Beratung und Begleitung im Bereich des Drogenkonsums ein. Weißflog bietet eine wöchentliche Sprechstunde für Betroffene in Kierspe an.
Anonyme Drogenberatung Iserlohn
drobs
Mitglieder des Trägervereins sind die Städte und Gemeinden:
Altena, Balve, Halver, Hemer, Herscheid, Iserlohn, Kierspe, Lüdenscheid, Märkischer Kreis, Meinerzhagen, Nachrodt-Wiblingwerde, Neuenrade, Plettenberg, Schalksmühle und Werdohl.
Menden hat eine kommunale Drogenberatung.
Kierspe – Sprechstunde: jeden Donnerstag 14 bis 17 Uhr
Rathaus Kierspe
Springerweg 21
58566 Kierspe
Tel.: 02359 – 661360 (Termine nach Vereinbarung)
Besucher vor Ort erreichen Bernd Weißflog über das Bürgertelefon Tel.Nr.: 360.
Internetseite: www.drobs-mk.de