Wieder wurde ein Geldautomat im Märkischen Kreis gesprengt, der zweite in einem Monat, der zweite in Kierspe. Nachdem unbekannte Täter sich auf explosivem Wege Zugriff zur Geldkassette eines Geldautomaten der Deutschen Bank Mitte Januar verschafft hatten, schreckten in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch dieser Woche Anwohner im weiten Umfeld der Volksbank-SB-Filiale in Kierspe-Dorf auf. Einmal mehr sprengten sich bis dato Unbekannte den Zugang zur Geldkassette des Geldautomaten frei und entkamen zunächst mit ihrer Beute. Wie LokalDirekt berichtete, konnten die flüchtenden Täter vom 31. Januar aber noch in der Nacht in Odenthal festgenommen werden.
Sprengung statt Überfall – die Meldungen über diese Art des Bankraubs nehmen zu. Das ist kein subjektives Empfinden, sondern bestätigen zudem Zahlen des Landeskriminalamtes NRW. Auf Anfrage von LokalDirekt bestätigte Pressesprecherin Daniela Dässel, dass die Sprengungen von Geldautomaten sukzessive zugenommen haben. Allein in NRW zählte das LKA im vergangenen Jahr 182 Fälle, im Schnitt 18 Attacken pro Monat. Im Gesamtjahr 2020 registrierte das Landeskriminalamt in NRW 176 Taten, 2021 gab es 150 Fälle. Deutschlandweit knallte es nahezu jede Nacht.
Das Bundeskriminalamt bezifferte den Schaden von gut 400 Bankautomaten-Sprengungen für 2020 auf rund 17 Millionen Euro (Quelle: Handelsblatt).
Und das Jahr 2023 lässt ebenfalls nichts Gutes hoffen. Die Beamten in Düsseldorf hätten im ersten Monat des Jahres allein in NRW schon 14 Taten verzeichnet, so Dässel. Mit dem Vorfall in Kierspe am 31. Januar sind es 15.
Täter nutzen festen Sprengstoff
Schäden entstehen nicht nur durch den Verlust der teils gut gefüllten Geldkassetten, auf die es die Täter abgesehen haben. Die Sprengungen hinterlassen an den Gebäuden immense Schäden, nicht selten müssen ganze Häuser abgerissen werden. So geschehen Anfang 2022 in Schalksmühle-Heedfeld, nachdem in der Nacht auf den 19. Januar der Sparkassen-Geldautomat an der „Alten Hülscheider Straße“ gesprengt worden war. Im darauffolgenden März war das Gebäude abgerissen und die SB-Filiale später neu errichtet worden.
Bis 2018 nutzten die Täter meist Gas zur Sprengung, mittlerweile greifen die Kriminellen fast immer auf festen Sprengstoff zurück, sogenannte Explosivstoffe.
Die Geldautomaten-Sprengungen hatten allerdings auch dazu geführt, dass andere Standorte der Sparkasse Lüdenscheid (heute Sparkasse an Volme und Ruhr) komplett geschlossen wurden. Etwa in Halver-Oberbrügge und in Lüdenscheid am Wehberg. Damals teilte das Institut mit, dass die Standorte, über denen sich Wohnungen befinden, „aus Sicherheitsgründen“ geschlossen werden, die Risikolage habe sich nicht entspannt. Zu groß sei die Gefahr, dass Menschen bei einer Sprengung ernsthaft gefährdet und verletzt werden könnten.
Mitte Dezember wurde zudem „Hals über Kopf“ der Geldautomat der Volksbank Hohenlimburg in Nachrodt geschlossen. Begründung des Instituts: „Die Gefahr einer Sprengung ist einfach zu hoch.“
Die Banken selbst rüsten sich im Kampf gegen die Geldautomaten-Sprengungen, wenngleich kein Institut auf Anfrage bereitwillig mitteilt, wie weit die Vorkehrungen tatsächlich fortgeschritten sind, um keine schlafenden Hunde zu wecken. Um die geht es auch, wenn man nach den Summen in einer Geldkassette fragt. Nach inoffiziellen LokalDirekt-Informationen sind es rund 100.000 Euro im ländlichen Raum, abhängig von der tatsächlichen Frequentierung eines Standortes.
LKA steht im Kontakt mit den Banken
Um sich vor Angriffen zu schützen, können Institute unterschiedliche Vorkehrungen treffen. Neben dem Einsatz von Geldfärbemitteln wird den Betreibern von Geldautomaten der Einbau von Nebelanlagen, bessere mechanische Sicherung der Zugangsmöglichkeiten, der Verschluss des Zugangsbereiches in den Hauptangriffszeiten, Videoüberwachungen durch zentrale Sicherheitsleitstellen (24/7 Besetzung) und die Installation neuartiger Pavillons mit massiver Stahlbetonrundkonstruktion empfohlen. Zudem rät das LKA, die verfügbare Bargeldmenge im Geldautomaten zu reduzieren. Die Landeskriminalämter haben laut Daniela Dässel an dieser Stelle eine aktiv beratende und unterstützende Funktion übernommen.
Darüber hinaus sei für die Geldautomaten in NRW eine Risikoanalyse erstellt worden. Diese liegt der Banken- und Kreditwirtschaft sowie ausgewählten Polizeibediensteten aller Kreispolizeibehörden NRW vor, so Dässel weiter. Auf dieser Grundlage seien Maßnahmen, sowohl zur eigenen individuellen Bewertung der Betreiber der Geldautomaten als auch zur gezielten polizeilichen Kräfte- und Maßnahmenplanung möglich.
Dennoch: Die Umsetzung der Handlungsempfehlungen des LKA NRW liegt im alleinigen Zuständigkeitsbereich der Banken. Eine Mitteilungspflicht zum Umsetzungsstand bestehe nicht. „Aus den vertrauensvollen regelmäßigen Gesprächen mit Vertretern der Kreditwirtschaft ist jedoch bekannt, dass viele der Unternehmen in Sicherheitsmaßnahmen investiert haben, zum Teil mit einem erheblichen Finanzvolumen“, sagt Daniela Dässel.
Im Mai 2022 wurde durch das NRW-Innenministerium zudem die Soko BEGAS (Bekämpfung und Ermittlung von Geldausgabeautomaten-Sprengungen) eingesetzt, um die bisherigen Ermittlungs-, Fahndungs- und Präventionsansätze zu analysieren.
Vorbild Niederlande
Ein Vorbild in Sachen Bekämpfung von Geldautomaten-Sprengungs-Kriminalität kann Deutschland der Nachbar Niederlande sein. Die Angriffs-Quote dort ist verschwindend gering. So sollen es laut Bankenvereinigung 2020 noch 28 und 2021 nur noch drei Fälle gewesen sein.
Was machen die Nachbarn anders? Zunächst sind die Geldautomaten seit Ende 2019 zwischen 23 Uhr abends und 7 Uhr morgens geschlossen und technisch abgeschaltet. Überdurchschnittlich viele Automaten verfügen zudem über Systeme, bei denen die Geldscheine im Fall von Sprengungen mit Tinte, Farbe oder Leim beschmiert und dadurch unbrauchbar gemacht werden. Ein Hinweis an potenzielle Täter darüber prangt mittels eines Aufklebers an nahezu jedem Geldautomaten. Darüber hinaus haben die Niederländer – ebenso wie einige skandinavische Länder – die Bargeldnutzung deutlich reduziert.
Dass die Niederlande nicht nur Vorbild, sondern in gewisser Weise auch Verbündete bei dieser Art der Kriminalitätsbekämpfung sind, erklärt Daniela Dässel: „Im Zuge einiger Festnahmen und aufgrund weiterer Ermittlungserkenntnisse war festzustellen, dass die Tatverdächtigen überwiegend aus den Niederlanden kommen und einen marokkanischen Migrationshintergrund haben. Daher wurde unter anderem auch die Kooperation mit den niederländischen Polizeibehörden sukzessive intensiviert. Es findet ein regelmäßiger und umfassender operativer sowie strategischer Austausch statt.“
Die Tatgelegenheiten, wie Dässel es nennt, seien in NRW aber nach wie vor hoch. Das liege im Grunde an der Vielzahl der Geldautomaten – mehr als 10.000 gibt es allein in NRW. Das gut ausgebaute Autobahnnetz und die hohe Abdeckung an Geldautomaten auch im ländlichen Raum begünstigten diese Form der Kriminalität zusätzlich, so Dässel. Trotzdem sei es der Polizei in NRW gelungen, im vergangenen Jahr 23 Tatverdächtige festzunehmen. Seit der Gründung des Einsatzkommandos „EK HEAT“ im Jahr 2015 sind es 187 – seit Mittwochmorgen ist es ein aufgeklärter Fall mehr.
„Eine lange Verfolgungsjagd vom Tatort über die Autobahn in den Wald, mit Einsatz von Polizeihubschrauber und Nagelsperre: Was da vergangene Nacht in Kierspe begann und in Bergisch Gladbach endete, ist ein Glanzstück polizeilicher Fahndungsarbeit. Hier wurde blitzschnell gehandelt, alle Register gezogen und am Ende die mutmaßlichen Sprenger dingfest gemacht. Die beteiligten Polizisten haben da vergangene Nacht ganz viel richtig gemacht, der Einsatz und die drei Festnahmen sind mustergültig“, sagte Innenminister Herbert Reul gegenüber der Bild-Zeitung am Mittwoch.
Polizei gelingt Schlag gegen Bande
Süddeutschen Ermittlern ist in dieser Woche zudem ein Schlag gegen eine niederländische Bande gelungen. Wie am Donnerstag, 2. Februar, bekannt wurde, hatten Beamten bei einer Razzia in den niederländischen Provinzen Utrecht und Limburg sowie in Belgien in Zusammenarbeit mit der dortigen Polizei 16 Gebäude durchsucht und konnten neun per Haftbefehl gesuchte Männer im Alter von 25 bis 41 Jahren festnehmen. Die Bande steht im Verdacht, hierzulande mehr als 50 Geldautomaten gesprengt und dabei 5,2 Millionen Euro erbeutet zu haben. „Es handelt sich hierbei um eine der größten Aktionen gegen Geldautomatensprenger in den Niederlanden“, teilten die Landeskriminalämter Bayern und Baden-Württemberg sowie die Staatsanwaltschaft Bamberg gemeinsam am Donnerstag in München mit.