Wahrscheinlich hat jeder echte Sauerländer diesen Erweckungsmoment genau abgespeichert, als er zum ersten Mal „Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland“ von der Letmather Band „Zoff“ hörte. Oder er verbindet eine ganz besondere Situation in seinem Leben mit diesem zum Kulthit gereiften Lied, das 1983 erschien und zwei Generationen später immer noch und immer wieder auf keinem Stadtfest zwischen Halver und Medebach, zwischen Schmallenberg und Menden fehlen darf. Der Mann, der „Sauerland“ schuf, ist inzwischen stramme 73 Jahre jung. Als altersmilde gewordener Rotzlöffel tourt er jeweils im Herbst durch den Sektor, beglückt ein mit ihm reifer gewordenes Publikum und drückt gemeinsam mit diesem auf den Knopf, der den Erweckungsmoment wieder aktiviert. Willkommen bei einer Reiner Hänsch-Zeitreise hieß es soeben im Herscheider Bildungszentrum am Rahlenberg.

Video: Stefan Aschauer-Hundt

In Attendorn, Herscheid, Altena und Hohenlimburg liest und spielt Hänsch in diesen Tagen; in der Ebbegemeinde war er am Mittwoch, 29. Oktober. Die Gemeinde hatte den Abend im Bildungszentrum gut verkauft; es herrschte eine kuschelige Atmosphäre in der Aula. In den Reihen ein Publikum, das Hänsch als Komponist und Texter der Zoff-Lieder in den frühen 80er Jahren mindestens am Radio gehört, wenn nicht sogar live erlebt hat. Auch der Zwei-Personen-Fanclub aus Letmathe ist gekommen; die beiden Damen sitzen in der ersten Reihe.

Als der Künstler die Bühne betritt, auf der ein runder Stehtisch als Podiums- und Lesertisch steht, ein Hocker und ein Gitarrenhalter das weitere Mobiliar bilden, setzt Applaus als freundlicher Vorschuss ein. Das Hänsch umtriebig war und ist, ein bewegtes Leben in Musik und Business zugebracht hat, ist in sein vom Käppi beschirmtes Gesicht eingemeißelt. Doch diesen frechen hintersinnigen Witz, den hat er immer noch – was man sofort merkt, als er einen Herscheid-Limerick vorträgt. Freundlich ist’s nicht, böse aber auch nicht – Hänsch eben.

Und er ist ja nicht hinterhältig, der Letmather, der heute eigentlich in Friesland lebt und auf Lesereise zu uns in den mittleren Westen herunterdüst. Nein, er kann über sich selbst spötteln, wenn er bekennt, im Publikum die Typen von damals zu suchen – und nicht zu finden. Er erkennt: Wenn man die Jungs und Mädel von damals sucht, muss man nach den Ommas und Oppas Ausschau halten, also nach den Leuten eines Alters, seines Schlages. Da muss er durch, der Hänsch! Er erkennt’s an und greift zur Gitarre, singt und klampft als Einmann-Orchester ein melancholisches „In meinem Kaff bleibt die Zeit einfach stehn“. Bald singt der Saal mit und es entwickelt sich so etwas wie die sauerländische Spielart vom „Veedel“ der Bläck Fööss.

Drei Bücher, wirklich rein zufällig sind sie an dem Abend auch zum Kauf und zum Signieren greifbar, wird Hänsch an diesem Abend vorstellen und Auszüge daraus lesen. Süffisant lässt er seine Zuhörer ahnen, dass Altern nichts für Feiglinge ist, besonders dann, wenn sich eine Senioren-WG etablieren möchte und sich die Schrulligkeiten des einen mit der Impertizenz des anderen beißen. – Dass Männer und Frauen (frei nach Loriot) nicht zusammen passen, erleben die Zuhörer bei einer literarischen Beobachtung eines Paares im Baumarkt und bei der Renovierung der gemeinsamen Wohnung. Liebe im Alter: Gibt es die? Gibt es womöglich sogar eine neue Liebe im Alter; was tun Senioren um Himmels Willen auf einer Dating-Plattform? Ach ja: Hänsch, der Immer-noch-Rotzlöffel, er beobachtet präzise und versteht das Gesehene sehr unterhaltsam mitzuteilen.

So vergehen zwei kurzweilige Stunden oben am Rahlenberg und ein wissendes Publikum wird gut unterhalten von jenem Mann, der die einzig wahre Sauerlandhymne schuf, die inzwischen auch als Jungbrunnen wirkt. „Mehr vom Alten“ hieß 2008 die Zoff-Comeback-LP – und das gilt heute sehr doppeldeutig auch am Rahlenberg. Denn es gab dort – mehr vom Alten, das man 1983 schon mochte und mehr vom Alten, dem Hänsch eben. Hat er gut gemacht!     

 

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Am Freitag, 31. Oktober, liest Hänsch um 20 Uhr im Werkhof in Hohenlimburg.
Am 19. und 20. Dezember spielt die Band „Zoff“ ihre traditionellen Adventskonzerte, ebenfalls im Werkhof.