Fröhlich und gut gelaunt bringt Vanessa Grüber ihren Sohn zum Waldkindergarten. Für sie geht es dann aber oft nicht direkt nach Hause. Denn der Kindergarten am Herlsener Weg ist für sie auch eine Art Arbeitsplatz. Vanessa Grüber ist Vorsitzende der Elterninitiative und leitet somit einen Kindergarten – im Ehrenamt. Gemeinsam mit ihren Vorstandskollegen führt sie Personalgespräche, bewilligt Urlaubsanträge, beantragt Fördergelder, kümmert sich um die Betriebserlaubnis, die Finanzen und das Gebäudemanagement. So wie es in Wiblingwerde gestemmt wird, wird es fast nirgends mehr gemacht. Zu komplex sind die Anforderungen. Viele Elterninitativen setzen auf angestellte Fachkräfte für die Verwaltung und das Management. Wir haben Vanessa Grüber getroffen und mit ihr ausführlich über das Wiblingwerder Modell einer Elterninitative gesprochen.
Sie sind Vorsitzende der Elterninitiative Waldkindergarten Wiblingwerde. Ein Ehrenamt. Es gibt nur noch wenig Elternintiativen, die die Führung eines Kindergartens ohne hauptamtliches Backoffice machen. Wieso klappt das in Wiblingwerde?
„Wir sind in der Elterninitiative vom Waldkindergarten zu dritt im geschäftsführenden Vorstand, darüber hinaus haben wir uns in diesem Jahr für einen erweiterten Vorstand entschieden. Nur dadurch und durch die Bereitschaft der Eltern, sich ehrenamtlich zu engagieren, funktioniert diese Elterninitiative.“
Was genau unterscheidet eine Elterninitiative von einem Kindergarten mit einem großen Träger im Hintergrund?
„Der Unterschied liegt einfach darin, dass sämtliche Entscheidungen selbst getroffen werden. Was natürlich zwei Seiten hat, die eine ist die Verantwortung, die andere obliegt der freien Gestaltungsmöglichkeit und Kreativität auf einem relativ kleinem Dienstweg im Rahmen der Elterninitiative.“
Eigentlich ist es ja so, dass Sie in Ihrem Ehrenamt einen kompletten Betrieb leiten, oder? Also Sie sind für das Gebäude und auch für das Personal verantwortlich. Wie klappt das? In anderen Kindergärten machen das Fachkräfte, hier die, die sich dazu bereit erklären. Klingt kompliziert, oder?
„Das ist richtig. Fakt ist, bei einer Elterninitiative, wie sie beim Waldkindergarten vorliegt, handelt es sich um einen kleinen Betrieb, mit aktuell sieben Angestellten, plus zusätzlich einer Vereinsarbeit mit Verantwortung für die Gebäude. Es ist natürlich klar, wenn man ein solches Amt antritt, dass es gerade am Anfang sein kann, dass man mal was übersieht oder vergisst. Im Lauf der Zeit bekommt man allerdings ein Gefühl dafür und vor allem eine gewisse Routine. Und dadurch, dass wir mit dem erweiterten Vorstand dann doch ein paar mehr Leute sind, denkt auch ein anderer schon mal an Sachen, was man selbst vielleicht so gar nicht auf dem Schirm hat, oder jemand anders hat auch bessere Kompetenzen für einen gewissen Bereich.“
Rechts-, Steuer- und Versicherungsfragen, Personalmanagement, Elternarbeit: Woher holen Sie Ihre Expertise? Gibt es Hilfe von außen?
„In diesen Fällen arbeiten wir mit dem Paritätischen zusammen, dieser bietet für genau diese Bereiche Dienstleistungen an. Weiter haben wir aber aktuell das Glück, dass wir einen Vater in unserm Kreis haben, der sich hauptberuflich gut mit Steuern auskennt.“

Und wie klappt die Zusammenarbeit mit dem Team? Sind die Kompetzen klar geregelt? Werden Sie als Arbeitgeber ernst genommen? Es ist ja schon schwer, wenn fachliche Kompetenz in Sachen Pädagogik auf unerfahrene Ehrenamtler trifft, oder?
„Wir sind mit dem Team und unseren Mitarbeiterinnen im regelmäßigen Austausch. Natürlich gibt es, genauso wie in vielen anderen Unternehmen, durchaus auch mal Meinungsdifferenzen. Natürlich haben wir Ehrenamtler nicht die fachliche Kompetenz aufzuweisen, wie jemand, der Jahrzehnte im Beruf steht. In Sachen Pädagogik und Arbeit mit den Kindern halten wir uns zurück und setzen in diesem Punkt auf die jahrelange Erfahrung unseres Mitarbeiterteams.“
Aber nicht nur Sie als Vorstand haben mehr Aufgaben, oder? Was bedeutet es für Eltern, ihr Kind in eine Elternintiative zu schicken?
„Dieser Kindergarten beziehungsweise diese Elterninitiative kann nur durch die tatkräftigen und hilfsbereiten Eltern im Hintergrund funktionieren. Denn vieles insbesondere was die Außenanlage betrifft und die Instandhaltung des Gebäudes, sofern es von den Eltern auch fachlich gemeistert werden kann, wird durch die Eltern gestemmt. Das bedeutet, dass sich die Eltern tatsächlich auch ein Stück weit mit einbringen müssen. Dieses regeln wir über die Helferstunden, das ist ein gewisser Stundensatz, den jede Familie pro Kindergartenjahr leisten sollte.“
Mehr Arbeit, wissen wir nun. Aber gibt es auch Vorteile?
„Wie bereits schon einmal erwähnt, kann in so einem Rahmen vieles selbst und auf kleinem Dienstweg entschieden werden. Was vermutlich, ohne es genau zu wissen, dass eine oder andere tatsächlich einfacher gestaltet.“
Mitgestalten ist schön, aber auch arbeitsintensiv. Aktuell sind Unverbindlichkeit, Flexibiltät und Work-Life-Balance hoch im Kurs. Ehrenamtler, die kontinuierlich etwas machen, sind überall Mangelware. Bei Ihnen nicht? Es schreien sicherlich nicht alle „Hurra“, wenn Putzaktionen anstehen, oder?
„Da gebe ich Ihnen Recht. Vieles in Deutschland funktioniert leider nur über die ehrenamtliche Schiene, was sehr schade ist. Unterm Strich muss jeder für sich selbst entscheiden, inwieweit er sich selbst an irgendeiner Stelle einbringt. Und wenn nicht, dann sollte einem aber auch bewusst sein, was evtuell wegfällt, wenn ich mich nicht bewusst dafür entscheide und ehrenamtlich mithelfe.“
Provokante Frage: Hat das Modell Elterninitiative eine Zukunft? Bald kommt die Generation Z mit ihren Kindern. Eine Generation, die nicht gerade bekannt dafür ist, neben der Freizeit übermäßiges Enagement zu zeigen – zumindest wenn man den Personalern aus der Wirtschaft Glauben schenkt.
„Für ein solches Modell sieht es tatsächlich sehr schlecht aus, wenn das Engagement der Eltern nicht mehr existent ist. Wir hoffen, dass auch die Generation Z, und jeder einzelne, merkt, dass es ohne persönliches Engagement kein sozialer Staat, wie wir ihn aktuell haben, funktionieren kann. Es gibt genug andere Vereine, die ich an dieser Stelle aufzählen könnte.“

Was treibt Sie an, sich jede Woche viele Stunden zu engagieren? Und warum würden Sie sagen, ist es super wichtig, sich ehrenamtlich zu engagieren?
„Zum einen unsere Kinder, die diesen Kindergarten lieben und dort, genau so wie es ist, glücklich sind. Man möchte ihnen einfach eine schöne Kindheit bescheren, aus der sie lange zehren können und zum anderen um zu zeigen, dass es funktionieren kann, wenn man selbst mit anpackt.“
Wie trägt sich der Kindergarten? Es heißt doch immer wieder, dass alles unter drei Gruppen nicht mehr finanzierbar sei. Und der Waldkindergarten hat lediglich eine Gruppe.
„Das Wichtigste an dieser Stelle sind die Elternbeiträge, die noch zusätzlich gezahlt werden müssen. Ohne diese würde es schlicht nicht funktionieren. Weiter kommt dazu, dass das Land für eine eingruppige Einrichtung und für Waldkindergärten, wegen der erhöhten Aufsichtspflicht, Zuschüsse zur Verfügung stellt. Aber selbst wenn man das alles zusammenzieht, sind wir immer sehr dankbar, für jede noch so kleine Spende, die wir bekommen. Wir denken es ist ja auch nichts Neues, wenn wir mal an dieser Stelle an die letzten Verhandlungen im öffentlichen Dienst erinnern.“
Jetzt haben wir viel über kritische Themen gesprochen. Aber es gibt ja gewiss auch viel Positives. Was ist toll am Konzept Waldkindergarten?
„Die Kinder sind viel an der frischen Luft und können so ihren natürlichen Bewegungsdrang frei ausleben. Durch die natürlichen Gegebenheiten wird die Psychomotorik intensiv gefördert und ganz nebenbei wird auch noch das Immunsystem der Kleinen gestärkt. Die Kinder lernen ganz spielerisch, sich mit der Natur auseinanderzusetzen und entwickeln so Respekt und die natürliche Achtung vor dem Leben. Dabei regt die Vielfalt des Waldes und die Beschäftigung mit nicht vorgefertigtem Spielmaterial die Fantasie und Kreativität an.“
Und was zeichnet genau Ihren Kindergarten aus?
„Nach 25 Jahren Waldkindergarten Wiblingwerde können wir schon sagen, dass dieser Kindergarten etwas ganz Besonderes ist. Hinzu kommt noch der Vorteil einer eingruppigen Einrichtung gegenüber einem Kindergarten mit 60 Kindern oder mehr, es ist deutlich ruhiger und die Erzieherinnen können leichter und besser auf einzelne Kinder eingehen. Für uns ist es die kleine heile Welt, die für unsere Kinder aufrecht erhalten wird.“

Was war Ihr schönstes Erlebnis in der Elterninitative?
„Es gibt viele schöne Erlebnisse. Uns macht es glücklich, wenn die Kinder glücklich sind und wenn wir auf dieses Jahr zurückblicken, sehen wir, dass es ein Jahr voller schöner Erlebnisse mit Schlittenfahren, dem 25-jährigen Jubiläum, Pony-Führerschein, Hunde-Führerschein, Werkbank-Führerschein, Wasserschlachten und Laternenfest war.“
Was sind die schönen Momente im Vorstand?
„Das positive Feedback der Eltern. Denn dann wird einem noch bewusster, dass sich jede Stunde Arbeit gelohnt hat.“
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