Was er macht, macht eigentlich niemand mehr ehrenamtlich. Er verwaltet den Wald in Nachrodt-Wiblingwerde – ehrenamtlich. Christian Hülle ist Geschäftsführer der Forstbetriebsgemeinschaft (FBG) Nachrodt-Wiblingwerde. Hinter ihm liegt die größte Herausforderung seit der Gründung der Gemeinschaft vor 50 Jahren. Noch nie hat es im Wald eine Krise mit diesem Ausmaß gegeben. Der Borkenkäfer hat den Wald und die FBG verändert. Als Christian Hülle vor gut fünf Jahren das Amt von Hans-Otto Seuster übernahm, rechnete er damit, dass er die Gemeinschaft ins digitale Zeitalter führen würde. An den Borkenkäfer dachte damals noch niemand.
Es ist Zeit, dieses außergewöhnliche Engagement zu würdigen. Denn Christian Hülle selbst ist eher im Hintergrund aktiv. LokalDirekt hat mit diesem „Menschen des Jahres 2023“ gesprochen:
Herr Hülle, 50 Jahre FBG wurde in diesem Jahr gefeiert. Was hat sich in den 50 Jahren im Wald verändert?
Christian Hülle: „Da sind zum einen die nackten Zahlen. Hauptbaumart war immer die Fichte, zuletzt auf etwa 500 Hektar. 350 bis 400 Hektar sind dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen. Wir haben de facto keinen ,wirtschaftlich nutzbaren Bestand‘ mehr in unserer FBG. Zukünftige Nutzung: unsicher. Auch andere Baumarten wie die Buche leiden zunehmend unter dem Klimawandel.
Zum anderen die Struktur. Zu Beginn der FBG kamen fast alle Mitglieder aus Nachrodt-Wiblingwerde, jeder wusste, wo sein Besitz war, und im Prinzip auch welche Arbeiten zu verrichten sind. Heute sind die Wälder im Besitz der ,Enkelgeneration‘, die sich zum Teil durch berufliche und familiäre Gründe über die halbe Republik verteilt hat. Dadurch ist natürlich die Beziehung zum eigenen Wald nicht mehr die Gleiche.“

Haben sich durch die Veränderungen auch die Aufgaben der FBG verändert?
„Ja, natürlich. Bis zum Sturm Kyrill 2007 war der Geschäftsführer zu 95 Prozent der Kassenwart, der die durchaus überschaubaren Erlöse aus dem Verkauf an die Waldbesitzenden verteilt hat. Danach hat sich der Job mehr und mehr zum Manager oder Krisenmanager gewandelt. Ganz intensiver Kontakt und Kooperation mit dem Förster, dem Forstamt, der Förderstelle, den Waldbesitzenden und anderen. Der verwaltungstechnische Aufwand ist mit der früheren Situation überhaupt nicht zu vergleichen.
Früher war es wahrscheinlich auch so, dass die Waldbesitzenden eher den Förster angesprochen haben, um Holzeinschläge oder Wegebaumaßnahmen anzustoßen. Das ist bei den größeren Besitzungen sicher auch heute noch der Fall. Aber zwei Drittel der Besitzungen sind kleiner als 10 Hektar und Inhaber/Inhaberin wohnen eventuell gar nicht mehr in der Gemeinde und wissen schlicht nicht mehr, was in Ihrem Wald los ist und welche Arbeiten erledigt werden müssten. Der Förster muss also einen viel größeren Überblick über die Situation in den Wäldern haben und die Waldbesitzenden viel, viel aktiver ansprechen.“
Wir können uns noch gut erinnern, als Otto Seuster seinen Posten abgab. Digital war da noch nichts. Wie hat sich die Aufgabe der Geschäftsführung verändert?
„Immens. Vor allem durch die Umstellung auf die sogenannte ,Direkte Förderung‘. Ganz kurz: Früher hat das Land NRW den Förster quasi zu 75 Prozent bezahlt und den Holzverkauf übernommen. Heute muss ich für die Leistungen von (Förster, Anm. d. Red.) Christof Schäfer einen Förderantrag beim Land stellen, und zwar für jeden einzelnen Waldbesitzenden. Der Holzverkauf läuft über die WaldHolz Sauerland GmbH in Olpe. Unsere FBG ist Mitglied in der Forstwirtschaftlichen Vereinigung Mark Ruhr (4000 Waldbesitzende, 40.000 Hektar Fläche, märkisches Sauerland und südliches Ruhrgebiet), diese Forstwirtschaftliche Vereinigung ist wiederum eine von drei Gesellschafterinnen der WaldHolz Sauerland. Auch in der Forstwirtschaftlichen Vereinigung vertrete ich unsere Interessen als Beisitzer im Vorstand. Also ein Riesenaufwand.
Hans-Otto Seuster hat noch mit handschriftlichen Listen gearbeitet. War zu der Zeit auch ok. Heute kommen wir nicht einmal mehr mit Excel-Listen weiter. Wir haben uns mit 15 anderen FBGen eine Verwaltungssoftware und einen eigenen Server angeschafft. Anders können wir die Anforderungen (Stammdatenverwaltung, Rechnungslegung, Finanzverwaltung, Abruf der direkten Förderung, etc.) nicht mehr erfüllen.“

Warum ist eine FBG in Ihren Augen wichtig?
„Ich denke, aufgrund meiner vorangegangenen Erklärungen ist klar geworden, dass der einzelne Waldbesitzende diese Aufgaben nicht allein bewältigen kann. Unsere Waldbesitzenden sind bei Holzverkauf, Beförsterung und staatlicher Förderung eigentlich zwingend auf die FBG angewiesen. Zum anderen sind wir auch über die Forstwirtschaftlichen Vereinigung und vor allem über den Waldbauernverband NRW die Interessenvertretung der Waldbesitzenden, um Wünsche und Forderungen an die Politik zu formulieren und zu transportieren.“
Sie bist einer der wenigen, die diese Aufgabe noch ehrenamtlich macht. Was genau sind Ihre Aufgaben? In der Öffentlichkeit wird oft nur Förster Christof Schäfer wahrgenommen.
„Als erstes die Verwaltung der Mitgliedsdaten. Hört sich trivial an, ist aber sehr komplex. Unser Flächenbuch (Verzeichnis aller Flurstücke, etc.) hat mal eben 1900 Zeilen. Leider bekomme ich meist verspätet und nur über Umwege Kenntnis von Verkäufen, Vererbungen, Veränderungen der Größe oder der Flurstücknummer. Dieses Verzeichnis ist aber die Basis unseres ganzen Arbeitens und wird auch von der staatlichen Förderstelle überprüft, sollte also stimmen.
Die Abhandlung der Verkaufserlöse ist relativ trivial. Ich bekomme für jeden Verkauf eine Gutschrift von WaldHolz Sauerland, der entsprechende Betrag wird auf unser Konto überwiesen. Ich leite beides an die Waldbesitzenden weiter.
Ich bekomme monatlich eine Rechnung des Regionalforstamtes für die Tätigkeiten von Christof Schäfer. Aus den Daten erzeuge ich für jeden betroffen Waldbesitzenden eine Rechnung (20 Prozent der angefallenen Aufwendungen), die auch die sogenannte FBG-Abgabe (50 Cent pro Festmeter verkauften Holzes) enthält. Zur Zeit noch manuell und alles in Papierform, ab 2024 mit der neuen Software und dann auch mit digitalem Datenaustausch mit dem Forstamt. Parallel dazu stelle ich einen Antrag auf Auszahlung der Fördergelder (80 Prozent der Aufwendungen) mit den entsprechenden Nachweisen. Dies geht nur in Papierform und per Post. Willkommen im digitalen Zeitalter!
Zudem bin ich noch Beisitzer im Vorstand der Forstwirtschaftlichen Vereinigung und ich moderiere auch das sogenannte Info-Treffen der Geschäftsführer/innen in der Forstwirtschaftlichen Vereinigung, circa einmal im Quartal.
Ich nehme auch zum Teil an Veranstaltungen des Waldbauernverbandes, des Forstamtes und Wald und Holz NRW teil.
Dann sind da natürlich auch die Vorbereitung der Vorstandssitzungen, der Jahreshauptversammlung inkl. Festlegung des Jahresbeitrages, Einziehen der Beiträge, Erledigung von Schriftwechseln, Bezahlen von Rechnungen, Pflege der Website (leider zu wenig, sorry) und sonstige Büroarbeit.“

Was treibt Sie an, so ein immens komplexes Amt auszuführen?
„Jemand muss es ja machen. Wie bei allen Ämtern in Vereinen und Verbänden gab es nicht gerade eine Schlange mit Bewerbern. Mir war bewusst, dass nach Hans-Otto Seuster viel Pionierarbeit in Richtung Digitalisierung zu leisten war und ich dachte, dass ich genau das gut kann. Allerdings habe ich die Arbeitsbelastung durch die Borkenkäferkalamität auch hoffnungslos unterschätzt. Hätte ich das vorher absehen können, dann wäre es wie in allen anderen FBGen kein Ehrenamt, sondern ein regulärer Minijob geworden. Aber das Thema ist jetzt durch, die Holzverkäufe sind schon in 2023 dramatisch zurückgegangen.
Außerdem halte ich das Solidarprinzip für sehr wichtig. Wir sollten so lange wie möglich versuchen, unsere Aufgaben selbst zu erledigen, egal ob in der FBG oder auch im Wasserbeschaffungsverband. Fusionen kommen noch früh genug.“
Die Waldbauern haben in den vergangenen Jahren viel mitgemacht. Die oft so sicher geglaubte Altersvorsorge ist verschwunden. Erst Kyrill, dann der Borkenkäfer. Jetzt sollen sie aufforsten und die Anforderungen sind hoch, vom Ertrag werden die wenigsten selbst noch etwas haben. Warum sollten sie den Glauben an den Wald nicht verlieren und was tut die FBG, um sie zu motivieren und weiter an die Sache zu glauben?
„Das ist ein schwieriges Thema für mich. Ich bin eher der Verwalter als der Gestalter. Als FBG können wir nur auf die diversen Förderprogramme aufmerksam machen, bei der Wiederbewaldung muss jeder Waldbesitzende selbst aktiv werden, es läufts nichts direkt über die FBG. Zum anderen können wir nur unseren Dienstleister (Christof Schäfer) bitten, die Waldbesitzenden so aktiv wie möglich zu unterstützen. Ich befürchte allerdings, dass große Flächen, vor allem bei Kleinwaldbesitzenden, nicht gezielt aufgeforstet werden, sondern man den Wald einfach wachsen lässt. Motto: ,Grün wird es von ganz alleine‘. Stimmt, aber ein wirtschaftlich nutzbarer Wald entsteht dadurch nicht. Muss aber auch nicht, dies entscheidet jeder für sich. Wichtig für mich ist aber der Fortbestand unserer Solidargemeinschaft FBG. Ich hoffe, dass es uns gelingt, die Waldbesitzenden als Mitglieder in unserer FBG zu halten. Weil es wichtig ist, weil es richtig ist, weil es gut für unsere Wälder ist, weil es Sinn macht, etwas gemeinsam anzupacken statt alleine zu resignieren.“
Warum ist es in Tagen wie diesen vielleicht sogar doch toll Waldbesitzer zu sein?
„Der Wald ist unser größtes Erholungsgebiet. Jeden Tag nutzen Zehntausende oder Hunderttausende den Wald zum Spazierengehen, Wandern, allein oder in Gruppen, mit Hund, mit Pferd, mit Fahrrad, zum Sammeln von irgendetwas oder einfach nur zum Wohlfühlen. Dieser Wald bietet uns vielfältige Rohstoffe aus heimischer Produktion und wir können dies vollständig kontrollieren. Keine Regenwaldvernichtung, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung, etc.
Dieser Wald muss uns, der gesamten Bevölkerung, erhalten bleiben. Als Waldbesitzender kann ich selbst meinen Wald gestalten. Wie soll er aussehen, was soll dort wachsen. Die Bedeutung des Ökosystems Wald für unser Klima, unsere Gesellschaft ist kaum zu beschreiben. Einen kleinen Teil davon mein Eigentum nennen zu dürfen, finde ich toll.“

Was bedeutet Wald für Sie persönlich?
„Die wirtschaftliche Nutzung ist vorbei, ich habe keine Fichten mehr. Die Eichen und Buchen taugen nur als Brennholz und die Flächen, wo wir mal Weihnachtsbäume angebaut haben, hat Amprion in Beschlag genommen. Emotionen gibt es viele. Mein Großvater August Grote hat mich als Kind mit in den Wald genommen, mir die Grenzen gezeigt und mir auch das Arbeiten im Wald beigebracht. Das vergisst man nie. Ich war mein ganzes Arbeitsleben Schreibtischtäter. Der Wald war immer mein Workout und das habe ich sehr genossen. Auch einfach mal nur dasitzen, und das Leben und Treiben im Wald betrachten.“
Von einer Krise in die nächste. Gibt es Momente, wo Sie am liebsten alles hinwerfen würden? Und wenn ja, was hält Sie dann doch davon ab?
„Tatsächlich ist mir dieser Gedanke in den letzten fast fünf Jahren noch nicht gekommen. Falls es mal schwierig wird, kann ich mich mit unserem ersten Vorsitzenden Ernst-Ulrich Pühl und Christof Schäfer besprechen, wir sind ein wirklich gutes Team.“
Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Wenn Sie sich von der Politik etwas wünschen könnten, was wäre es?
„Die Politik hat zur Zeit bedeutend größere Themen als den Wald. Ich würde mir aber wünschen, dass wir nicht vergessen werden. Die überwältigende Mehrheit der Waldbesitzenden kann Krisen wie den Borkenkäfer und die Folgen des Klimawandels nicht allein bewältigen. Wir brauchen die Unterstützung des Staates.“
Und was wünschen Sie den Waldbauern?
„Bleibt in der FBG, unterstützt uns wo erforderlich. Macht mit, beteiligt Euch, dann macht es auch Spaß etwas für Euch zu machen. Frohe Weihnachten und ein gutes und gesundes neues Jahr.“
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