„Die politische Debatte in Deutschland – egal ob im Bundestag oder in den digitalen Netzwerken – ist enorm aufgeheizt. Dies gilt auch für Halver. In vielen Äußerungen auch prominenter politischer Vertreter sowie Journalisten wird der Eindruck erweckt, Deutschland stehe unmittelbar vor der Wiedererweckung des Dritten Reichs.
So hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Halver auf Facebook bedeutungsschwer zugestanden, dass man anderer Auffassung sein könne als er – dann werde man eben später anhand des Berges von sechs Millionen Stiefeln erkennen, wohin die politische Urteilsfähigkeit der Andersdenkenden geführt habe.
Es sei ihm die Herabsetzung politisch divergierender Positionen verziehen – er weiß es vermutlich halt einfach nicht besser. Schließlich befindet er sich ja auch in bester Gesellschaft mit anderen Vertretern seiner Partei sowie den Grünen. Und innerhalb der Blase von SPD und Grünen erscheint vielen derzeit jedes negative Superlativ recht, wenn es darum geht die politischen Mitbewerber verächtlich zu machen und die Dramatik der Situation zu beschreiben.
Ausgrenzung, Verächtlichmachung und Demonstrationen sind keine Antwort auf politische Fragestellungen
In einem jüngst im Focus veröffentlichten Kommentar der Journalistin Julia Ruhs (Bayerischer Rundfunk), der aus meiner Sicht eine präzise Beschreibung der politischen Realität darstellt, wird sehr klar und deutlich herausgestellt, wer eine wesentliche Verantwortung für das Erstarken der AfD trägt- es sind diejenigen, deren Antworten auf die Positionen der AfD ausschließlich Ausgrenzung, Verächtlichmachung und Demonstrationen sind.
Natürlich kann man gegen die AfD demonstrieren- aber zugleich muss dann auch ein klarer Gegenentwurf zu den politischen Positionen aufgezeigt werden, um dem Souverän (den Wählern) aufzuzeigen, wie die Alternative zur AfD aussieht. Aber halt – das hat man ja getan, indem man erklärte, dass die Alternative zur AfD das Verharren im Status Quo war. Dies war zumindest das Prinzip der letzten Jahre.
Erzählung der Wiedererstehung des Dritten Reichs verfängt bei Wählern nicht mehr
Über Jahre hinweg bestand der Versuch, die AfD durch obengenannte Verhaltensmuster zu schwächen. Das funktionierte teilweise sogar, weil die Erzählung der Gefahr der Wiedererstehung des Dritten Reichs verfing.
Nun gelingt das aber nicht mehr- die Menschen wollen mehrheitlich eine andere Politik und sie wollen auch nicht mehr darauf warten, dass Grüne und SPD einer Salami-Taktik gleich, homöopathische Veränderungen am Zuwanderungsrecht beschließen und jede tiefgreifende Reform zu faschistoidem Gedankengut erklären.
CDU hat durch ihr Vorgehen insbesondere ihre Unabhängigkeit von SPD und Grünen dokumentiert
Die CDU hat sich durch ihre Haltung und das Verhalten der letzten Tage unabhängig von SPD und Grünen gemacht, die sogleich einen Machtverlust befürchten. Um diesen zu verhindern, ist ihnen offenbar jedes Mittel recht. So mobilisieren sie zu diesem Zweck ihre Anhänger und lassen Parteibüros besetzen und Wahlkampfstände überfallen. Das alles ist offensichtlich nach ihrer Lesart durch die Behauptung gedeckt, nur auf diese Weise die Auferstehung des Dritten Reichs verhindern zu können.
Der AfD muss man begegnen, indem man ihren Forderungen die Substanz entzieht
Ich halte eine Zusammenarbeit mit der AfD ebenfalls für problematisch und gegenwärtig unvorstellbar, weil die AfD antieuropäisch und gegen den westlichen Wertekanon gerichtet positioniert ist. Zugleich fühlt sie sich China und Putins Russland zugewandt – alles Gründe, die AfD aus meiner Überzeugung abzulehnen.
Es wäre aber töricht, diese Ablehnung ausschließlich zum Ausdruck zu bringen, indem ich demonstriere und die AfD ausgrenze und verächtlich mache.
Stattdessen halte ich es für geboten, den Positionen der AfD die Substanz zu entziehen.
So muss z.B. die Erkenntnis, dass die EU eine dringende Reform benötigt eben auch in Taten umgesetzt werden. Wie wäre es zum Beispiel daran mitzuwirken, dem EU Parlament eine echte Gesetzgebungskompetenz für seine eigenen Angelegenheiten zu geben?
Oder eben – zurück nach Deutschland blickend – das dysfunktionale Ausländerrecht zu reformieren und Kontrolle über die Grenzen zurückzubringen und auf diese Weise an der Wiederherstellung des Rechtsstaates im Zusammenhang mit der Zuwanderungspolitik zu wirken, wie es die CDU unlängst getan hat.
Dadurch, dass SPD und Grüne der CDU die Unterstützung versagt haben, wurde der AfD, die den Positionen der CDU natürlich zustimmen musste, eine enorme Bedeutungsschwere zuteil.
Da nun eine Mehrheit in der Mitte und links der Mitte nicht mehr zu erzielen war, lag für Grüne und SPD natürlich auf der Hand, dass die CDU ihr Vorhaben beerdigen müsse – was für eine totalitäre Haltung. Antidemokratischer geht es nicht. SPD und Grüne halten auf diese Weise die absolute Mehrheit der Deutschen in ihrer politischen Geiselhaft.
Hätten sie mit der CDU gestimmt oder einen substantiellen Gegenentwurf eingebracht, hätte man der AfD eine empfindliche Schwächung beifügen können.
Man hätte viele Wählerinnen und Wähler zurückgewinnen können, die zwar eine andere Zuwanderungspolitik wollen, die aber ansonsten nicht Putin und China zugeneigt sind und in Europa eine Chance und nicht das Verderben sehen.
Chance vertan! Die politische Mitte hat sich unfähig gezeigt und letztlich vermutlich auf diese Weise die AfD gestärkt.
Kein Grund zur Panik – die Verfassung weist eine enorme Resilienz gegenüber Extremisten auf
Anders als Grüne und SPD sehe ich aber dennoch keinen Grund in Panik zu verfallen. Wer unsere Verfassung, die von ihren „Vätern“ bewusst als Bollwerk gegen den Faschismus konzipiert wurde und unser Verwaltungsrecht kennt, darf mit Zuversicht nach vorne blicken, dass Deutschland auch in Zukunft ein demokratischer und rechtsstaatlicher Staat sein wird- auch wenn die AfD vielleicht bei dem ein oder anderen Vorhaben aufgrund ihrer Stärke entscheidend eingreift.
So hat sie es auch unlängst im Zusammenhang mit der bevorstehenden Debatte über weitere Militärhilfen für die Ukraine getan. Die AfD hob an der Seite von SPD und Grünen die Beschlussfähigkeit des Bundestages auf, um eine Entscheidung über weitere Militärhilfen für die Ukraine zu verhindern. SPD und Grüne fanden an diesem Zusammenwirken mit der AfD nichts Anstößiges. Warum auch – sie haben schließlich ihre eigenen Interessen vertreten und hatten dank des Partners an der Seite eine Mehrheit organisiert – das nennt man wohl Demokratie.„
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