Die evangelische Kirchengemeinde Kierspe muss sich von Gotteshäuser trennen. Der Verkauf der Christuskirche scheiterte im Frühjahr. Margarethenkirche und Servatiuskirche sind wegen hoher Kosten für Reparaturen und Unterhalt für die Gemeinde nicht wirtschaftlich. Den historischen Wahrzeichen von Kierspe und Rönsahl droht der Verkauf. Die Gemeinde setzt nun auf Schwarmintelligenz, um Konzepte für die Zukunft der Kiersper Kirchen zu finden.

Wer muss weg - Margarethe, Servatius oder beide? Die Frage erschütterte die Gläubigen in der Versammlung am Sonntag, 2. Juni: Ein Gotteshaus zu verkaufen oder gar zwei - für viele undenkbar. Computerbearbeitete Fotos führten vor Augen, wie die Ortskerne von Kierspe und Rönsahl ohne die Jahrhunderte alten Kirchen aussähen. Im Stadtbild würde etwas fehlen. Das geht sogar Leuten so, die nicht Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Kierspe sind, weiß Anja Rentrop vom Presbyterium: "Emotional tut es gut, zu wissen, dass auch Menschen, die nichts mit uns als Gemeinde zu tun haben, an unseren Kirchen hängen. Leider sind wir an einem Punkt, wo das nicht mehr hilft."

1147 erstmals erwähnt, ist die Margarethenkirche die älteste der drei evangelischen Kirchen. Ihr Westturm mit der Zwiebelhaube ist das Wahrzeichen von Kierspe Dorf.
Foto: Kowalski

Die Zahlen sprechen für sich: Aktuell hat die Gemeinde knapp 5300 Mitglieder. Etwas mehr als die Hälfte zahlt Kirchensteuer. Die Servatiuskirche in Rönsahl hat einen Sanierungsbedarf von rund 910.000 Euro. Die Sanierung der Margarethenkirche in Kierspe Dorf soll 1,65 Millionen Euro kosten. Laut Anja Rentrop handelt es sich um erhaltende Maßnahmen. "Die könnten wir vielleicht sogar stemmen, in einem riesigen Kraftakt, mit Spenden und anderen Finanzierungsarten." Allerdings würden die laufenden Kosten für den Unterhalt der denkmalgeschützten Kirchen die Möglichkeiten der Kirchengemeinde übersteigen.

Die Servatiuskirche war einst dem Heiligen Servatius gewidmet. Nach einem Brand wieder errichtet, prägt sie seit 1768 das Stadtbild in Rönsahl.
Foto: Kowalski

Viel Zeit sei nicht mehr, teilte Pfarrer George Freiwat mit, schlimmstenfalls müssten Entscheidungen noch in diesem Jahr gefällt werden. Zunächst hatte die Gemeinde darauf gesetzt, mit dem Verkauf der Christuskirche die beiden älteren historischen Kirchen retten zu können. Im Frühjahr platzte der Deal mit der Christlichen Gemeinde Halver Oberbrügge, weil die denkmalschutzrechtlichen Auflagen den Käufer abschreckten.

Anja Rentrop engagiert sich im Presbyterium. Die Ingenieurin legte Fakten und Zahlen offen und hofft auf Ideen: "Wir setzen auf Schwarmintelligenz."
Foto: Kowalski

Jetzt hat die Gemeinde eine Umfrage gestartet. Anja Rentrop erläuterte: "Wir setzen auf die Schwarmintelligenz der Kiersper und überhaupt aller, die wir mit der Umfrage erreichen." Es würden Flyer verteilt. "Und jeder, wirklich jeder, ist eingeladen, auf den Flyern und auf der Internetseite der Kirchengemeinde Vorschläge für den Erhalt der Kirchen und für Finanzierungsmodelle zu machen." Hier geht's zur Umfrage: ev-kirche-kierspe.de/umfrage/

Vorschläge in der Gemeindeversammlung

Weil die Christus-, die Servatius- und die Margarethenkirche denkmalgeschützte Gebäude sind, solle die Kirchengemeinde prüfen, ob sie das Problem an die Denkmalschutzbehörden abgeben könne, schlug ein Teilnehmer der Versammlung vor. Dann läge der Fall zunächst bei der Stadt Kierspe, die ebenfalls knapp bei Kasse ist. Ein anderer Besucher der Gemeindeversammlung meinte, alle drei Kirchen könnten erhalten werden: mit der Gründung von Fördervereinen, die Fördergelder für energieeffiziente und klimagerechte Sanierungen und für die kulturelle Nutzung beantragen, sowie mit 5000 neuen Mitgliedern. Woher die kommen sollen - daran arbeite er noch.

Für die Nutzung der Kirchen ist die Evangelische Allianz - Christen der evangelischen Kirchen und der freien Gemeinden - ebenso denkbar wie die Ökumene von evangelischer und katholischer Kirche. Aus der katholischen Kirchengemeinde kam bei der Versammlung das Angebot, die Ökumene in Kierspe breit aufzustellen. Allerdings ist damit das Problem der Finanzierung nicht gelöst: Die Kirchensteuer von Katholiken fließt nicht an die evangelische Kirchengemeinde. Freikirchen setzen sich seit jeher für eine Trennung von Kirche und Staat ein und haben keine Einnahmen aus Kirchensteuer. Ob ihre Finanzierungsmodelle und Managementkonzepte ein gangbarer Weg sein könnten, blieb bei der Versammlung offen.

Die Kiersper Protestanten übten auch Selbstkritik. Eine Frau zweifelte: "Es gelingt uns nicht, Menschen, die zweifeln, in der Gemeinde zu halten oder sie bei uns aufzunehmen. Wo sind die jungen Menschen? Warum erreichen wir sie nicht?" Andere stellten in Frage, dass Gottes Haus eine Kirche sein muss. Eine Rönsahlerin erklärte: "Falls es in Rönsahl so kommt, dass wir Gebäude verkaufen, würde ich mich eher von der Servatiuskirche trennen und das Gemeindehaus behalten, weil dort die Menschen sind. Christus ist immer dahin gegangen, wo die Menschen sind. Das sollten wir auch tun."