„Es kann sein, dass uns ein bisschen warm wird“, sagt Birgit Tupat und schnürt sich noch einmal die Trekkingsandale etwas enger. Sie nimmt uns mit auf ihre persönliche Auszeit-Runde. „Das sind gut 45 bis 50 Minuten. Danach ist der Kopf frei und die Gedanken sind sortiert“, erzählt sie. Für sie die perfekte kleine Runde nach Feierabend. Gerne mit Freunden, oder ihrem Lebensgefährten – aber auch immer mal einfach allein.
Wir starten direkt an ihrer Haustür. Es geht durchs Dorf. Weit kommen wir nicht. „Hallo Birgit“, ruft ein kleines Mädchen, das mit dem Fahrrad vorbei düst. „Hallo, na, wie war deine Geburtstagsfeier?“ „Super, ich habe ein neues Kuscheltier. Das heißt Emil und ist ein Walfisch“, erzählt das Mädchen begeistert. „Und weißt du was? Oma ist heute da.“ Schnell entsteht ein kleines Gespräch zwischen den beiden. Für das Kind ist es eine ganz normale Unterhaltung mit der Frau von nebenan, nicht mit der Bürgermeisterin. Und für die Bürgermeisterin? „Na für mich auch. Rennerde ist richtig jung geworden. Viele junge Familien, viele Kinder. Am Nachmittag ist hier richtig Leben auf der Straße. Ich finde das toll.“ Alle Kinder kennen die Bürgermeisterin. Oft sitzt sie in ihrem Garten, der direkt an der Fahrradrennstrecke liegt. Früher, erinnert sie sich, habe sie dort auch viel gespielt. „Hier an der Mauer haben die Jungs immer mit Spielzeugautos gespielt und Rennstrecken gebaut. Da habe ich immer gerne mitgespielt. Bei uns zuhause gab es immer nur Puppen. Aber die Autos fand ich klasse.“
Weiter geht es zum nächsten Gartenzaun. „Hallo Birgit.“ Schallt es wieder aus einem Garten. „Hallo, geht es dir wieder besser?“ Das nächste Gespräch. Wieder geht es nicht um Politik, sondern um Gesundheit, Enkelkinder und private Umbaupläne. Birgit Tupat wurde im Wahlkampf oft vorgeworfen, unnahbar zu sein. Die Rennerder bestätigen das ganz offensichtlich nicht. Eine gute halbe Stunde ist vergangen, bis wir den Wald erreichen. Um Politik ging es noch nicht. „Ich bin ganz froh, dass ich hier eigentlich nur ich bin. Also die private Birgit. Natürlich bekomme ich auch mal Fragen. Das kann von ,warum wurde die graue Tonne nicht abgeholt` bis zu konkreten Fragen zu politischen Themen alles sein.“ Aber das ist gut so. Das Leben hier auf und mit dem Dorf erdet. Ich interessiere mich wirklich für die persönlichen Geschichten hinter den Zäunen. Und nicht als Bürgermeisterin, die Wissen für den Wahlkampf sammelt, sondern als Birgit Tupat, die Nachbarin.“
Und nicht nur die Rennerder kennen die private Birgit Tupat. Auch die Hunde. Wir sind gerade oben am Wald angekommen, da kommen zwei große Hunde auf Birgit Tupat zu gerast – nicht weil sie unerzogen sind, sondern einfach, weil sie sich freuen und sich ihre Streicheleinheit abholen. „Das sind Oskar und Jasper“, verrät die Bürgermeisterin und knuddelt die beiden Rüden, die dann aber lieber schnell weiter spielen.

Wenn sie zurück auf ihre Zeit im Amt blickt, ist sie mit sich im Reinen. Entscheidungen bereut sie nicht. „Nachrodt-Wiblingwerde hat sich entwickelt. Es ist viel passiert. Wir waren vor zehn Jahren noch im Stärkungspakt, Das wird manchmal vergessen. Und doch ist richtig viel passiert. Stillstand gab es nicht.“ Der Waldweg führt derweil hinab in Richtung Steinbruch Lasbeck. Es geht um Rückblicke, Ausblicke, Qualifikationen, Schwierigkeiten im Amt, Schwächen und natürlich ganz viel Politik. Zwischendurch Pausen. „Wenn man hier im Frühjahr steht und sieht wie langsam die Blätter grün werden – das ist einer meiner Lieblingsplätze.“ Immer wieder halten wir an, halten Inne. Wichtig – auch abseits des Wahlkampfs. Birgit Tupat reflektiert viel. „Wenn ich schwierige Gespräche hatte, anstrengende Sitzungen oder sich ein Berg von Problemen auftürmt, brauche ich manchmal einfach diese Ruhe, diese Erdung.“
Politik ist weit von dem entfernt, was man allgemein als stressfrei bezeichnet. Die finanzielle Lage macht ein Gestalten kaum noch möglich. Manchmal sind die Gespräche zermürbend – selbst für den Außenstehenden. Förderrichtlinien, Gesetze, Bürokratie. „Ja, natürlich sind die finanziellen Einschränkungen immens, und natürlich würde man sich mehr wünschen. Mehr Wünsche gehen immer. Aber ich glaube, wir haben doch in den letzten Jahren viel bewegt.“ Erst die Diskussion mit den maroden gemeindeeigenen Gebäuden, doch jetzt beim Aufbau, da sehe man das was passiert und was dennoch möglich sei. „Mir ist es wichtig, im Rahmen des Möglichen zu gestalten“, sagt die Bürgermeisterin und verweist auf das Neubaugebiet Am Alten Sportplatz in Wiblingwerde. „Da gab es einen Plan, aber ich habe das dann angeschoben, dass es auch voran ging. Und in der Zeit, sind da ruckzuck elf Häuser für Familien entstanden. So etwas ist toll.“
Natürlich geht es im Gespräch auch darum, wie die nächsten Jahre mit ihr an der Spitze aussehen könnten. Viele stellen auch die Frage, warum sie noch einmal antrete. Die Frage beantwortet sie ohne nachzudenken: „Weil mir Nachrodt-Wiblingwerde wichtig ist.“ Und auch weil die begonnenen Projekte, wie Hallenbad, Ausbau des offenen Ganztags, die neuen Feuerwehrgerätehäuser, Erweiterung des Neubaugebiets Niggenhuser Hof und Amtshaus wichtig seien, um Nachrodt-Wiblingwerde zukunftssicher aufzustellen und diese Projekte dürften nicht weiter ins Stocken geraten. Wichtig sei es auch, die finanzielle Situation im Auge zu behalten. „Ich glaube, dass ich da ein gutes Netzwerk aufgebaut habe, in Landespolitik und Bundespolitik, um da auch mal meinen Ärger los zu werden, aber auch um Unterstützung einzufordern.“
Das, was Birgit Tupat oft auf die Fahne geschrieben wird, ist die Verwaltungskompetenz. Bereits seit 40 Jahren arbeitet sie in der Verwaltung. Aber dennoch ist diese Kompetenz nicht alles. Was genau macht also eine Verwaltungsfachwirtin zu einer guten Bürgermeisterin? „Es ist politisch so gewollt, dass es diese Doppelspitze wie früher – mit einem Verwaltungschef und einem ehrenamtlichen Bürgermeister – nicht mehr gibt. Ich glaube, dass es gerade in so einer kleinen Kommune immens wichtig ist, dass man als Bürgermeisterin die Verwaltung kennt und versteht. Wie sagte mein Kollege aus Balve so schön? Ich bin der oberste Sachbearbeiter“, antwortet Tupat. Es sei wichtig zu wissen, welche Aufgaben in den Fachbereichen zu erledigen sind und in welcher Form. Natürlich sei auch sie nicht von Anfang an perfekt gewesen. Auch sie habe sich in den vergangenen Amtsperioden entwickelt, habe dafür extra Coachings besucht. Beispielsweise für den Bereich Führung. In großen Kommunen gebe es beigeordnete Dezernenten in den Fachbereichen, die die Arbeit machen, sodass man nicht viel kaputt machen könne. In Nachrodt-Wiblingwerde nicht. Zudem gebe es keine große Zeit für Einarbeitung. Zu viele Projekte laufen parallel. „Das ist Sachbearbeitung im gehobenen Sinn, das ist jetzt nicht irgendwelche Schreiben erstellen. Die ganze Woche über hänge ich mit in Projekten drin und hinterfrage immer wieder. Das ist einfach wichtig.“

Ein Vorwurf der Gegner: Ideenlosigkeit. Während Aykut Aggül viele kleine Aktionen - wie die Road-Dummys - präsentiert und Christian Pohlmann mit einer Hundewiese und Rastatt-Ideen wirbt, bleibt sie still. „Natürlich habe ich auch Ideen und schaue, wo ich unterstützen kann oder das Gemeindeentwicklungskonzept, in dem es mit Spiel- und Bolzplatzkonzept weiter geht. Das muss in der nächsten Amtszeit fortgeschrieben werden mit neuen Bürgerbeteiligungen. Aber bei mir läuft auch nicht alles in der Öffentlichkeit ab. Wie die Unterstützung von Vereinen und Kindergärten. Ganz vieles findet in Besprechungen statt, wo ich Lösungsmöglichkeiten aufzeige. Das dringt ja gar nicht nach außen.“ Aber warum nicht? „Das bin ich einfach nicht. Das habe ich bisher nicht getan und da fange ich jetzt im Wahlkampf nicht mit an.“ Sie erlebe, dass die Menschen oft auf sie zugehen würden, ihr Probleme mitteilen und dann gar verwundert seien, wenn die Bürgermeisterin die E-Mail persönlich beantworte.
Dass sie nicht alles in den sozialen Medien präsentiere, bedeute aber nicht, dass sie nicht nach guten Ideen suche. Beispielsweise bemühe sie sich aktuell darum, die Gemeinde für Familien stillfreundlicher zu machen. Eine Idee, die gemeinsam mit der Nachrodter Hebamme Diana May-Ganswind entstanden sei. Ziel sei es, Orte zu schaffen, wo Mütter in Ruhe stillen können. „Sicherlich ist das hier nicht vergleichbar mit einer Großstadt. Da ist in großen Einkaufszentren vielleicht eher die Nachfrage. Aber nichts destotrotz, ist es einfach gut, dieses Angebot zu haben.“ Vorstellbar wäre es im Amtshaus. Vielleicht aber auch in der Bücherei. Gerade wenn die Mutter mit mehreren Kindern unterwegs sei.
Wenn sie am 14. September für eine weitere Amtszeit gewählt werden sollte, hat sie vor allem ein Ziel: „Nachrodt-Wiblingwerde für die Zukunft sicher aufstellen. Da werde ich meine ganze Kraft reinsetzen.“