„Als wir geflohen sind, hätte ich nie gedacht, dass der Krieg so lange dauern würde und ich mein zweites Weihnachtsfest außerhalb der Ukraine feiern würde“, sagt Valentyna Rodzaievska in nahezu perfektem Deutsch. Als im Februar 2021 die ersten Bomben auf die Urkaine abgefeuert wurden, ergriff sie mit ihren Kindern, ihrer Schwester, ihren Neffen und ihrem Vater die Flucht. Über Polen ging es schließlich nach Deutschland. Nun, knapp zwei Jahre später, ist sie in Nachrodt angekommen. Sie hat Fuß gefasst, die Sprache gelernt, eine Arbeitsstelle gefunden, die Kinder gehen zur Schule und die Familie ist gut im Gemeindeleben integriert.
Dennoch sei es für sie nicht immer leicht, positiv zu bleiben. „Meine Kinder motivieren mich und Gott gibt mir Kraft. Jeden Tag verstehe ich, dass ich aufstehen und etwas tun muss“, erzählt die Ukrainerin. Manchmal habe sie jedoch das Gefühl, in zwei verschiedenen Welten zu leben. Zum einen lebe sie in Nachrodt ein weitestgehend glückliches, sicheres und normales Leben. Sie wisse aber auch, dass in ihrer Heimat Kiew Menschen nachts nicht einfach ruhig schlafen dürfen, weil es täglich Rakentenangriffe gibt.

Sie denke immer wieder auch an die Soldaten, die auf dem Feld frieren und ihr Land schützen. Einer von ihnen ist ihr Mann Hryhoriy. „Ich hoffe, dass dieser Horror bald ein Ende hat und alle Verteidiger wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren“, sagt Valentyna Rodzaievska. Sie selbst danke Gott immer wieder dafür, dass sie und ihre Familie in Sicherheit seien und auch für die Menschen, die sie in Nachrodt unterstützen. Aus ehrenamtlichen Helfern wurden inzwischen echte Freunde.
Dennoch falle es ihr schwer, für die Zukunft zu planen. Oft sei ihr das Leben „zu verwirrend“. Der Krieg habe ihr ganz bewusst gemacht, wie wertvoll die Zeit mit der Familie ist. Valentyna Rodzaievska: „Wir müssen jeden Tag glücklich und erfüllt leben. Denn man weiß nie, was einen morgen erwartet.“ Inzwischen sei Nachrodt für sie ein Ort, den sie ihr Zuhause nennt und wo sie sich durchaus wohl und willkommen fühle. Heimat, das sei noch einmal etwas anderes.
Weihnachten feiert die Familie wie die deutschen Familien: Heiligabend und an den Feiertagen. „In diesem Jahr feiert die Ukraine auf offizieller Ebene auch Weihnachten mit der zivilisierten Welt und wir sind keine Ausnahme“, betont die Mutter. Das Fest am 6. Januar zu feiern, wie es eigentlich in der Ukraine üblich war, kommt für sie nicht mehr in Frage. Ein gemeinsamer Feiertag mit den Russen sei undenkbar.
Die Magie des Weihnachtsfestes in Europa habe sie schon immer fasziniert. Die festliche Atmosphäre mit den ganzen Lichtern sei besonders. Auch sie lasse sich trotz aller Sorgen von der Weihnachts-Euphorie anstecken: „Es gibt ein festliches Abendessen mit der Familie und Geschenke für die Kinder.“ Was sie sich fürs neue Jahr wünscht? „Dieses Jahr warten wir auf den Sieg der Ukraine“, sagt die Ukrainerin voller Überzeugung. Denn dann sei sie wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden vereint. Gerade ihren Mann vermisse sie sehr. „Videoanrufe laufen leider nicht stabil, da die Kommunikation dort anders ist. Wir beten jeden Tag, wir glauben, dass alles gut wird.“

Dieses Jahr habe die Familie Glück gehabt und ihr Mann habe einen Kurzurlaub von der Front genehmigt bekommen. „Wir haben eine unvergessliche Zeit mit der ganzen Familie hier in Deutschland verbracht“, erinnert sich Valentyna Rodzaievska. Nachrodt sei für sie inzwischen ein ganz besonderer Ort. Sie genieße die Natur und nutze die gute Verkehrsanbindung – dankbar sei sie aber vor allem für die Menschen um sie herum. „Ich schätze es als großes Glück, dass wir uns in einer so freundlichen Umgebung befinden.“ Auch sei sie sehr glücklich in Nachrodt Arbeit gefunden zu haben. „Ich bin sehr dankbar für diese Gelegenheiten, die mir hier geboten werden. Ich lerne weiter Deutsch – Deutsch ist eine sehr schwere Sprache.“ Aber sie bringe sich im Gegenzug auch ein. Engagiere sich, wo Hilfe gebraucht werde, und nutze ihre Kreativität in der Marketingagentur, in der sie arbeite.