Das erste Hindernis ist die Rampe, die ins Rathaus führt. Noch schaffe ich es, mich hier hoch zu drücken, aber in sechzig Jahren wird das wahrscheinlich anders aussehen. Heute sitze ich für eine Stunde im Rollstuhl – Grund dafür ist die Seniorenbeiratssitzung der Stadt Kierspe. Dessen Mitglieder hatten sich am Donnerstag, 23. Mai, unter dem Thema “ Barrierefreiheit“ getroffen. Im Anschluss luden Bärbel Balke und Michael Borchert, Einrichtungsleiter des AWO-Seniorenzentrums, zu einem Stadtspaziergang rund ums Rathaus ein – im Rollstuhl.
Also ging es raus aus dem Rathaus, die Rampe herunter. Anders als beim Hochfahren, wo ich Sorge hatte nach hinten umzukippen, muss ich nun bremsen. Auf der Rampe nimmt der Rollstuhl schnell Fahrt auf. Das nächste Problem folgt kurz danach: Den großen Rucksack mit Kamera, Schreibzubehör und vielen weiteren Sachen für den Termin möchte ich vor der Runde durch Kierspe ins Auto bringen. Doch selbst die Autotür zu öffnen wird zur Herausforderung. Zum einen stört der Rucksack auf dem Schoß, auf den Rücken setzen kann ich ihn mir im Rollstuhl aber nicht. Zum anderen stehe ich mir selbst im Weg, komme aber sonst nicht an den Griff der Autotür ran. Bereits nach weniger als 50 Metern brauche ich das erste Mal wirklich Hilfe.
Weiter geht es auf dem Springerweg in Richtung katholische Kindertagesstätte. Das Kopfsteinpflaster bereitet zwar keine Probleme, angenehm ist das Schaukeln jedoch nicht. Die einzelnen Steine spürt man wesentlich deutlicher als bei einer Fahrt mit dem Auto – trotz geringerer Geschwindigkeit. Der Fußweg zwischen Glocken- und Springerweg hält dann wieder eine neue Hürde bereit: Er ist zu einer Seite leicht abschüssig, der Rollstuhl will immer wieder dorthin ausscheren. Am Ende des Weges wartet die katholische Gemeinde St. Josef, ein Ziel für viele ältere Kiersper. Vor dem Eingang ist ein Halbkreis aus Pflastersteinen auf dem Boden, doch der kleine Bordstein verkommt im Rollstuhl auf einmal zu einer hohen Mauer. Borchert macht vor, wie man den Bordstein hoch kommt – rückwärts und mit viel Kraft. Auch er braucht dafür mehrere Versuche, für viele ältere, so berichten die anwesenden Mitglieder des Seniorenbeirats, die teilweise selbst im Rollstuhl sitzen, ist selbst diese Kante nicht ohne Hilfe zu bewältigen.
Über den Glockenweg hinweg geht es auf den Parkplatz des REWE – wenn uns nicht die Entwässerungsrinne im Weg steht. Auch diese kleine Kuhle macht den kleinen, vorderen Rollen des Rollstuhls Probleme.
Die Ausschusssitzung wird begleitet von Helmut Heidemann, der sich fleißig Notizen macht. Er ist beim städtischen Bauamt beschäftigt, hat bereits im Vorfeld an vielen Stellen in der Stadt daran gearbeitet, diese für alle Bewohner begehbar zu machen. So zum Beispiel das Umfeld des ZOB inklusive der barrierefreien WC-Anlagen.
Nachdem jedoch die Entwässerungsrinne überwunden ist, steht einem Einkauf im REWE nichts mehr im Weg – zumindest vom Parkplatz aus ist das Geschäft über zwei automatische Schiebetüren zu erreichen. Wer jedoch als Rollstuhlfahrer mit dem Bus anreist und an der Friedrich-Ebert-Straße an der Bushaltestelle „Bremicker“ aussteigt, wird mit dem nächsten Problem konfrontiert.
Zwar gibt es einen Aufzug, mit dem man die Verkaufsräume erreicht, jedoch verbirgt sich dieser hinter einer schweren Tür. Diese ist für Rollstuhlfahrer nicht alleine zu öffnen. Eine Klingel oder ein Türöffner ist nicht vorhanden, Rollstuhlfahrer sind hier auf die Hilfe von Mitbürgern angewiesen. Das Problem hat Balke schon mehrfach beim Marktbetreiber angesprochen, bisher sei jedoch noch keine Änderung erfolgt.
Auf dem Rückweg zum Rathaus zeigen Balke und ihre etwa zehn anwesenden Mitstreiter des Seniorenbeirates noch einige weitere Beispiele, bei denen es zu Problemen kommt. Dabei ist es Balke wichtig zu betonen: „Barrierefreiheit ist nicht nur ein Thema für Senioren, sondern betrifft auch junge Mütter mit Kinderwagen.“ Auch ich habe an diesem Abend eindrucksvoll erlebt, wie viele Stolpersteine auf einem so kurzen Stück liegen. Doch der Weg in eine barrierefreie Zukunft ist nicht einfach: Viele unterschiedliche Eigentümer müssen mitziehen, es sind unzählige Parteien mit ins Boot zu holen – doch der Seniorenbeirat bringt das Thema erneut auf den und die Verantwortlichen an den Tisch.