Der 7. Oktober 2025 wird in die Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Herdecke eingehen. Es ist der Dienstag, an dem um 12.03 Uhr in der kleinen Mittelstadt, erst recht aber für die Feuerwehr, der Ausnahmezustand hereinbricht. Das Einsatztagebuch listet vier Einsätze innerhalb von 90 Minuten auf – zwei davon sind Großeinsätze, von einem, dem Messerangriff auf die designierte Bürgermeisterin Iris Stalzer, wird wenig später ganz Deutschland sprechen.
In Herdecke gibt es die klassische ehrenamtliche Freiwillige Feuerwehr und einige wenige hauptamtliche Tagdienstkräfte. Die Hauptamtlichen – sehr vereinfacht erklärt - reichen aus, einen freistehenden brennenden Müllcontainer zu löschen.
Um 12.03 Uhr erreicht die Feuerwehr die Alarmierung zum Wohngebiet Oberer Herrenteich. Die „First Responder“ werden zum Einsatz gerufen. Das ist immer dann der Fall, wenn die normalen Rettungsmittel (d.h. Rettungswagen) gerade nicht abkömmlich sind. Dann rücken ausgebildete Feuerwehrkräfte mit einem Löschfahrzeug und einem kleineren medizinischen Equipment aus, um Erste Hilfe zu leisten und die Zeit bis zum Eintreffen weiterer Kräfte rettend zu überbrücken.
Als First Responder rückt in Herdecke die Feuerwehrbesatzung mit dem Kleineinsatzfahrzeug aus und trifft am Haus der Politikerin zusammen mit der Notärztin ein. Sie finden die schwerstverletzte designierte Bürgermeisterin vor und stehen vor der Aufgabe, gemeinsam mit der Notärztin lebensrettende Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Die Erstversorgung der 57- jährigen Patientin wird vorgenommen. Aufgrund der schweren Verletzungen wird ein Rettungshubschrauber angefordert; angesichts der schlechten Wetterlage sei diese Anforderung schwierig gewesen, berichtet die Feuerwehr.
Der Rettungshubschrauber Christoph Dortmund landet auf der Bleichsteinwiese. Nach der Maximalversorgung der Patientin durch das Rettungsdienstteam wird die Patientin mit dem inzwischen verfügbaren Rettungswagen aus Wetter zum Bleichstein gefahren und in den Hubschrauber umgelagert. Ein weiteres Löschfahrzeug der Feuerwehr sichert die Landestelle; die Mannschaft unterstützt die Umlagerung der Patientin und baut gegen Paparazzi und Neugierige einen Sichtschutz auf. Denn: An der Einsatzstelle läuft „ein sehr hohes Medienaufgebot“ auf, formuliert die Feuerwehr zurückhaltend.
Der Rettungshubschrauber wird nach einer weiteren Versorgung der Patientin eine Bochumer Klinik anfliegen. Um Angehörige kümmert sich ein Notfallseelsorger. Nach dem Abflug der Schwerstverletzten wird es Zeit, dass die Einsatzkräfte Zuwendung erfahren. Am späten Nachmittag wird eine Einsatznachbesprechung mit Beteiligung von geschulten PSU-Kräften (Psychosoziale Unterstützung) durchgeführt. Wer Schlimmes gesehen hat, soll sich aussprechen können, bevor die Bilder sich unauslöschbar ins Unterbewusstsein hineinfressen.
Mit dem Einsatz im Haus der designierten Bürgermeisterin ist es an diesem Dienstag in Herdecke bei weitem nicht getan. Der Einsatz ist nur der Beginn einer Großlage, wie sie am Institut der Feuerwehren NRW in Münster – der Landesfeuerwehrschule – geübt werden und die man für irreal halten würde.
Während des laufenden Einsatzes wird um 12.40 Uhr ein weiterer Großeinsatz gemeldet. Auf der Ruhr wird ein leeres Kanu hinter dem Zweibrücker Hof gesichtet. Es wird eine hilflose Person im Wasser angenommen. Von dem laufenden Einsatz müssen Kräfte abgezogen werden.
Der Einsatzleiter lässt daraufhin „Gesamtalarm“ für die Feuerwehr Herdecke auslösen. Das am Hubschrauberlandeplatz Bleichstein befindliche Löschfahrzeug entsendet zudem Fußtrupps zur Menschenrettung. Vor Ort an der Ruhr wird nach Personenbefragung festgestellt, dass offenbar Jugendliche das Kanu vorsätzlich ins Wasser geschoben haben. Eine Gefahrenlage kann danach ausgeschlossen werden. Das Kanu wird von der Feuerwehr geborgen.
Aufatmen. Jedoch: Es reicht noch nicht. Während der beiden laufenden Großeinsätze werden zwei Ölspuren gemeldet, die um 13.03 Uhr und 13.32 Uhr abgearbeitet werden müssen. Im Feuerwehrbericht liest sich das so: „Aufgrund der hohen Einsatzdynamik und mehrerer Folgeeinsätze stellte die Abarbeitung der Lagen eine besondere Herausforderung dar.“
Die Herdecker Feuerwehr hat an diesem Dienstag alles gegeben. „Ich möchte die hohe Einsatzdisziplin und –bereitschaft aller Beteiligten bei dieser außergewöhnlichen Lage ausdrücklich loben“, sagt der Einsatzleiter später. Herdeckes Beigeordneter Dennis Osberg dankt am späten Nachmittag den zahlreichen haupt- und ehrenamtlichen Einsatzkräften für ihren intensiven und engagierten Einsatz.
Hintergrund:
https://lokaldirekt.de/news/bluttat-von-herdecke-iris-stalzer-ausser-lebensgefahr-tochter-tatverdaechtig
https://lokaldirekt.de/news/update-5-offenbar-familiaerer-hintergrund-messerattentat-auf-designierte-buergermeisterin-von-herdecke