Das Lüdenscheider Traditionsunternehmen Selve hat am Donnerstag Unterlagen aus 150 Jahren Firmengeschichte an das Stadtarchiv Lüdenscheid übergeben. Für Stadtarchivar Tim Begler war das ein historischer Moment. „Das ist ein Highlight in 20 Jahren als Stadtarchivar“, sagte er.

Mittlerweile steuert das von Ernst Selve gegründete Unternehmen auf seinen 160. Geburtstag zu. „Ein für Lüdenscheid bedeutendes Unternehmen mit einer bedeutenden Geschichte“, so ordnete Museumsleiter Dr. Eckhard Trox die Schenkung ein. Das Material, Tagebücher des Gründers, Geschäftsunterlagen aller Art, historische Fotos – all das wird das Archiv-Team in den nächsten Monaten sorgfältig aufarbeiten. Ab wann das Firmenarchiv, das in den Räumen an der Kerksigstraße einen eigenen Bestand bilden wird, zu Forschungszwecken zugänglich gemacht werden kann, ist noch offen. „Die Arbeit daran wird eine ganze Weile dauern.“

Vieles von dem historischen Material, unscheinbar in acht Pappkartons angeliefert, ist in die Festschrift zum 150. Jubiläums des Unternehmens eingeflossen. Verfasst wurde sie von Dr. Federica Weil Marin, Ururenkelin von Ernst Selve. Sie war mit ihrer Mutter Neisa Wiel Marin, vierte Generation der Gründerfamilie, Ludger Stracke (kürzlich ausgeschiedener Selve Geschäftsführer)  und Christian Hoffmann (kaufmännischer Geschäftsführer) zur Übergabe gekommen.

Christian Hoffmann und Ludger Stracke bewundern historische Fotos.
Foto: Wolfgang Teipel / LokalDirekt

Das Erbe ist übrigens schon gut geordnet. Dr. Federica Weil Marin ist Archäologin und versteht sich bestens im Umgang mit historischen Stücken. Das älteste Dokument ist der handgeschriebene Original-Kaufvertrag vom 18. März 1866, als Ernst Selve von der Witwe Peter Brüninghaus Drahtwerke und Grundstücke im später Augustenthal genannten Flurstück erwarb.

Die Unterlagen belegen, dass „Made in Lüdenscheid“ schon im 19. Jahrhundert weltweit ein Begriff waren. Bereits im viktorianischen Zeitalter wurden „Schuhknöpfer in allen Größen u. Façons, blank poliert sowie vernickelt“ auf dem Seeweg nach Buenos Aires oder nach Philadelphia in den soeben gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika verschifft.

Die Dokumente, darunter zahlreiche Bauzeichnungen und -genehmigungen, geben Aufschluss über die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens und zeigen immer wieder die Verbundenheit der Familie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So existierte in den 1930er Jahren ein Selve-Frauenchor unter der Leitung von Rose ten Bruggencate.

Firmengründer Ernst Selve zählt wie Gustav Selve, den Dr. Eckhard Trox am Donnerstag den „Krupp des Sauerlandes“ nannte, zu den bedeutenden Unternehmerpersönlichkeiten aus der Region. Für sein Heimatdorf Augustenthal hat er sich immer mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit eingesetzt. Dazu zählt beispielsweise auch sein Engagement für den Bau des damaligen Schienenstrangs der Kreis Altenaer Eisenbahn (KAE) von Werdohl nach Augustenthal. „Man kann sagen, dass die KAE damals die Industrie in der Region gerettet hat“, stellte Museumsleiter Dr. Eckhard Trox fest. Ernst Selve unterstützte weiter den Schulbau ebenso wie den Bau der Versetalsperre.

Damals fuhr noch die Kreis Altenaer Eisenbahn durchs Versetal.
Foto: Wolfgang Teipel / LokalDirekt

Unternehmen und Familie, das ging oft Hand in Hand. Neisa Weil-Marin erinnerte sich am Donnerstag daran, wie sie im Büro ihres Vaters schon als Kind endlose Zahlenkolonnen addiert oder „mit Leidenschaft Bleistifte angespitzt“ hatte.

„Dass man es schafft, 160 Jahre erfolgreich am Markt zu agieren“, ist für Christian Hoffmann, Geschäftsführender Gesellschafter, auch einer starken Bindung zur Belegschaft zu verdanken. „Uns war immer wichtig, dass Selve eine Familie war“, betonte auch Neisa Wiel-Marin, Vertreterin der vierten Generation der Gründerfamilie und ehemalige Gesellschafterin. Sich zu kümmern, gehöre zur DNA der Firma. Vor diesem Hintergrund sei es ihr wichtig gewesen, dass die Unterlagen zur Geschichte des Unternehmens in Lüdenscheid bleiben.

Tradition und Innovation – das geht bei Selve zusammen. Das Unternehmen stellt heute hochwertige Antriebe und Steuerungen für Rollläden und den textilen Sonnenschutz sowie mechanische Rollladenbauteile her. Im Bereich Rollladengurtwickler gilt Selve als Weltmarktführer.