Apotheken-Sterben, Lieferengpässe, Rabattverträge, Überlastung, zu wenig Honorar, Personalmangel, Dokuwahnsinn, Retaxwahn – die Liste ist lang auf den T-Shirts von Christiane Karge und ihrem Team. Es sind die Brennpunkte, die Apotheker seit vielen Jahren in Deutschland umtreiben – besonders seit der Corona-Pandemie.
Daher ruft der die „ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände“ deutschlandweit am 14. Juni dazu auf, die Türen der Apotheken geschlossen zu lassen. Auch Karge und ihr Team wollen vor ihrer Filiale protestieren und mit Passanten über die Missstände an einem Infostand ins Gespräch kommen. Mit LokalDirekt haben Christiane und Axel Karge eine Woche vor Streikbeginn über ihren „Warnschuss“ an die Politik gesprochen.
Protest gegen die „Sparpolitik der Regierung“
„Wir protestieren für Sie gegen die Sparpolitik der Regierung, um auch in Zukunft weiter für unsere Kunden und Patienten da zu sein“, ist auf den Hinweisen zu lesen, mit denen das Team seine Filiale beklebt hat.
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„Es ist umfangreich“, skizzierte Axel Karge die brenzlige Situation der Apotheken in Deutschland während der vergangenen 20 Jahre. Besonders die Nachwirkungen der Corona-Pandemie seien für die Apotheken noch schmerzhaft zu spüren, so das Ehepaar. „Wir haben dabei geholfen, die Pandemie in den Griff zu bekommen“, betonte Christiane Karge.
„In dieser Zeit haben wir kurzfristig etwas mehr verdient trotz Kostendruck. Die Bundesregierung verwechselt dabei allerdings Erträge und Umsätze. Wir mussten zugleich Desinfektionsmittel aus der eigenen Tasche bezahlen oder selber herstellen. Wir mussten unsere Masken und Plexiglasscheiben für den Verkaufstresen kaufen. Und das zu deutlich höheren Preisen als sie heute auf dem Markt vorkommen. Nun gilt die Corona-Pandemie als Geschichte und die Hilfsmittel sind für einen Bruchteil zu bekommen“, zeigte sich Karge aufgebracht.
„80 Prozent unserer Erträge stammen aus verschreibungspflichtigen Medikamenten. Die Preise sind festgelegt. Diese hohen Preise werden nicht von uns gemacht, sondern zwischen Herstellern und Krankenkassen ausgehandelt. Nur 20 Prozent sind regulierbar. So machen wir keine Gewinne“, zeigte sie auf. Nicht verschreibungspflichtige Präparate würden der Onlinehandel und Drogeriemärkte günstiger anbieten. „Die lohnen sich für unser Sortiment gar nicht“, gibt Christiane Karge zu. „Dort werden sie unter unserem Einkaufspreis verkauft.“

„Man kann uns unmöglich als wirtschaftliche Gewinner der Pandemie behandeln. Das war ein einmaliger und kurzfristiger Effekt. Heute leiden wir, wie alle, unter den steigenden Energiekosten. Man denke nur an unser Kühlungssystem, das Medikamente unter 25 Grad-Celsius temperieren muss. Und das 365 Tage im Jahr. Das kann nicht weg-gespart werden. Dafür hat sich der Strompreis verdoppelt. Dazu kommen steigende Benzinpreise. Wir haben auch einen Botendienst und fahren oft nach Rönsahl.
Für Fahrten, die nicht verschreibungspflichtige Medikamente betreffen, müssen wir selbst aufkommen. Im ländlichen Raum kommt es schnell zu einem hohen Spritverbrauch. Auch die Lieferungen an die Seniorenheime werden nur über die Verträge mit den Heimen abgegolten. Anstatt, dass wir etwas dazu bekommen, blieb unser Honorar seit 2014 unverändert. Und seit Februar wird davon sogar noch etwas abgezwackt für zwei Jahre“, beklagte sich Karge über das zentrale Sparthema des Protesttages. „Niedrige Honorare bei hohen Belastungen“, fasste Axel Karge die Kritik zusammen. „Wir werden kaputt gespart.“
Lieferengpässe auch bei lebenswichtigen Medikamenten
Doch es zwickt und zwackt an weiteren Stellen, bei den Lieferengpässen beispielsweise. Davon sind auch lebenswichtige Medikamente wie Insulin betroffen, berichtete Christiane Karge. Die Anzahl der Hersteller schrumpfe. „Ausweichs-Medikamente sind oft deutlich teurer und dürfen nicht ohne Begründung verkauft werden“, beschrieb sie das Dilemma.
Stündlich müsse sie die Verfügbarkeit von Medikamenten prüfen. „Dabei negiert die Bundesregierung das Problem der Lieferengpässe und lässt fehlende Medikamente erst gar nicht erfassen“, platze ihr im Gespräch der Kragen, wenn sie an die alltäglichen Herausforderungen dachte. Neben den Engpässen sind auch die Lieferketten problematisch, ist sich das Ehepaar einig. „Indien und China bilden Monopole bei bestimmten Wirkstoffproduktionen. Die Welt ist von ihnen abhängig“, so Axel Karge.
Personalmangel: „Wir suchen dringend“
Zeit, Geld und Personal sind knapp. „Ich schiebe regelmäßig 60 Stunden-Wochen. Wir haben in diesem Jahr noch keine Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz bekommen“, bedauerte Christiane Karge. „Viele Probleme teilen wir uns mit den Arztpraxen. Industrie und Krankenhaus sind für den Nachwuchs attraktiver. Wir suchen dringend“, appellierte sie. Das Problem: Sobald die Türe geöffnet sei, müsse ein approbierter Apotheker anwesend sein.
Herausforderungen, die sich in der Dichte der Apotheken in Deutschland niederschlagen. Nach der Wende ist die Anzahl der Apotheken kontinuierlich gesunken. Einer ABDA-Statistik aus dem Jahr 2021 zufolge kommt Deutschland auf 23 Apotheken je 100.000 Einwohner. „Wir müssen jetzt etwas tun“, ist sich Christiane Karge sicher. Seit 1983 beobachtet sie die Trends: Seit 40 Jahren ist sie in Kierspe tätig. 2010 kaufte sie die Adler-Apotheke, doch Mitte 2018 musste sie den Standort schließen.
Es geht sogar der beliebten „Apothekenumschau“ an den Kragen. „Wir sind auf ein anderes Magazin aus Kostengründen umgestiegen“, verriet sie.
Forderungen: „Gesundheit statt Mangel“
Unter dem Motto „Gesundheit statt Mangel“ fordern Karge und ihr Team weniger Bürokratie beim Management der Lieferengpässe, einen fairen Ausgleich für die in diesem Zusammenhang geleistete Mehrarbeit, nach zehn Jahren Stillstand eine angemessene Anpassung der Vergütung sowie Planungssicherheit für eine gute Versorgung.
Christiane Karges persönlicher Wunsch: weniger Bürokratie und Verwaltung im Alltag. „Ich bin Apothekerin geworden, um Menschen medizinisch zu beraten. Da möchte ich wieder hin. Oft sitze ich nur im Büro und stehe nicht mehr hinter dem Tresen.“
Aufruf: „Macht mit!“
Die Reaktionen der Kunden auf den Protesttag seien bislang durchweg positiv. Laut Christiane Karge nehmen auch die Rauk- und die Montigny-Apotheke an der Aktion in Kierspe teil. Größere Veranstaltungen seien in Düsseldorf und Münster geplant. Auch die Nachbarkommunen Halver und Lüdenscheid würden sich dem Protesttag anschließen. „Die medizinische Versorgung ist dennoch sicher gestellt“, betonte Christinane Karge abschließend.