Zu Beginn unseres Gesprächs verweist Stelse auf die Behördenkappen an den Drehknöpfen der Heizkörper in seinem Büro. „Unsere Heizungen sind runtergedreht worden auf 19 Grad. Voreingestellt. Da kann man selber nichts machen“ – ein kleines Zeichen der Energiekrise dieses Jahres.
Ende 2022, wir ziehen Bilanz. Unvorhersehbare zwölf Monate: Nach zwei Jahren mit Pandemie-Erfahrung herrscht Krieg in Europa. Wie haben Sie die Herausforderungen erlebt?
Olaf Stelse: Corona hat uns ungewöhnlich stark herausgefordert: Lockdown, Firmenschließungen, Geschäftsschließungen, Isolation und vieles mehr. Ich habe nicht damit gerechnet, dass nach dieser Krise noch eine größere Krise folgt. Es ist erschreckend, dass so etwas in der heutigen Zeit geschehen konnte. Was in der Ukraine passiert – bei unseren direkten Nachbarn – ist unvorstellbar. Und wer ist dafür verantwortlich? Leute, mit denen man jahrelang verhandelt hat. Und trotzdem überfallen sie andere Länder. Einfach so. Das passt nicht in unsere Welt. Aber wir mussten es angehen.
Menschen aus unserer europäischen Nachbarschaft sind nach Kierspe gekommen. Wie viele Ukrainer haben Schutz in der Volme-Stadt gesucht und wie wurden sie versorgt?
Nach und nach kamen die Menschen zu uns. Unsere große Baptistengemeinde hat zwischenzeitlich rund hundert Menschen aufgenommen, ohne, dass wir etwas davon mitbekommen haben. Als die Versorgung durch die Gemeinde auf Dauer nicht mehr möglich war, haben sich die Menschen bei uns gemeldet und wir konnten sie hier anmelden und mit Wohnraum versorgen.
In der Spitze hatten wir 300 Geflüchtete in Kierspe. Zehn von ihnen befinden sich derzeit bei uns im Leistungsbezug. Einige Menschen sind wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. 270 Menschen können wir weiterhin mit Wohnraum versorgen. Darüber hinaus haben wir weitere Geflüchtete in der Betreuung. Nach 2015 und 2016 war dies wieder eine große Herausforderung für die zuständigen Sachgebiete. Dabei haben uns nach einem Aufruf aber auch viele Private geholfen. Tatsächlich konnten wir durch Private 10.000 Euro in einem Spendentopf sammeln. Daneben konnten wir mit Fördermitteln der Stadt für 50 Kinder zwei Deutschkurse neben dem regulären Unterricht anbieten. Auch Kirchen, Vereine und andere Einrichtungen haben Hilfe angeboten. Darüber freue ich mich. Ich hoffe für die Ukrainer, dass spätestens im nächsten Jahr der Krieg vorbei sein wird.
Eine Auswirkung des Krieges: die Energiekrise. Wie ist Kierspe davon betroffen?
In Kierspe sind alle gleichermaßen betroffen. Die Stadt, die Privaten, die Firmen, die mit der Vervierfachung von Preisen zu kämpfen haben. Das kann nicht nebenbei gestemmt werden. Abrechnungen Ende des Jahres, wegfallende Preisbindungen und Erhöhungen werden uns alle zum Jahresanfang treffen. Daher treffen auch wir bei der Stadt Sparmaßnahmen beim Wärmeverbrauch, Gas und Strom. Wir haben unter anderem im Rathaus auf LED-Beleuchtung umgestellt.
Kann die Stadt etwas tun, um die Energiekriese für die Bürger abzufedern?
Wir haben im letzten Rat eine Förderrichtlinie aufgelegt, mit der wir Private mit einem Bonus von 250 Euro bei der Erzeugung von regenerativen Energien zu unterstützen. Seit dem 1. Dezember können Bürgerinnen und Bürger einen Antrag auf Förderung einreichen, beispielsweise für Balkonkraftwerke, oder Photovoltaik-Anlagen oder Kraftwärmepumpen. Mit diesen Maßnahmen müssen sie einen Teil ihrer Energieversorgung nicht woanders einkaufen. Dieses Angebot aus unserem Umweltfonds wird gut angenommen.
Um die Menschen über verschiedene Möglichkeiten zu informieren, veranstaltet unsere Klimaschutzmanagerin Silja Hohmann Informationsangebote zu Energieeinsparungen. Aktuell sucht sie Bürgerinnen und Bürger, die sich selbst zu Solar-Experten ausbilden lassen und für eine erste Beratung in Sachen Photovoltaik zur Verfügung stehen. So hilft unser Klimaschutzkonzept auch beim Energiesparen.
Bürgerinitiative ist also beim Energiesparen und beim Klimaschutz gefragt. Was tut die Stadt noch?
Nach vielen Maßnahmen wird nun die Gründung einer Gesellschaft für Windkraft-Anlagen auf Kiersper Stadtgebiet und zur Gewinnung von regenerativen Energiequellen geprüft. Wir sind dazu in Gesprächen mit den Stadtwerken und anderen Partnern, die das notwendige Know-how dafür haben. Die Frage bleibt aber mit Blick etwa auf Abstandsregeln von Windrädern: Tragen die Bürger eine solche Anlage mit? Nach einem gescheiterten Versuch bin ich gespannt, wie die Akzeptanz nun aussieht.
Ein weiterer Beitrag zum Klimaschutz: Radfahren: Eine neue Rad-AG wurde gegründet. Eines ihrer Projekte: eine Verbindung zwischen Kierspe und Meinerzhagen als parallele Führung an der L528. Wann kommt dieser Radweg?
Das wüsste ich auch gerne. Ich glaube nicht, dass wir im Oktober einen Radweg an der Schnörrenbach haben werden. Aber wir sind in Gesprächen. Anfang des Jahres wird außerdem ein Radverkehrskonzept des Märkischen Kreises, an dem sämtliche Kommunen beteiligt sind, vorgestellt.
Leider gibt es immer noch bei der Umsetzung des Volmetal-Radweges im Rahmen der Regionale 2013 Probleme. Vergangenes Jahr haben wir den ersten Teilabschnitt zwischen Vorth und Sankel in Betrieb nehmen können. Die finanziellen Mittel sind vorhanden, die Streckenführungen stehen weitestgehend, leider scheitert es noch an den notwendigen schriftlichen Vereinbarungen mit den beteiligten Behörden, damit die Verhandlungen mit den Eigentümern abschließend geführt werden können.
Es gibt aber auch positive Entwicklungen beim Radfahren: Unsere Klimaschutzmanagerin kümmert sich um weitere Stellplätze und Abstellanlagen. Durch ein Leader-Projekt konnten wir schon einige Stellplätze installieren, wie vor und hinter dem Rathaus, sowie an der Gesamtschule. Eine Abstellanlage für E-Bikes wie am ZOB planen wir für das kommende Jahr an der Gesamtschule. So könnten wir neben der Schule den Bäderbetrieb und das Bürgerzentrum mit Stellplätzen versorgen.
Fahrradstellplätze finanziert durch Leader-Förderung – besteht eine große Abhängigkeit der Stadt von Fördermitteln?
Wir sind von 2023 bis 2028 sicher Leader-Region. Gemeinsam mit den umliegenden Kommunen, und nun auch mit Herscheid, können wir so überregionale Projekte umsetzen, wie die Sagenwelten und Lauschpunkte, an denen via Smartphone Informationen zu besonderen Plätzen und Gebäuden in der Stadt abgerufen werden können. Über „Kleinförderprojekte“ der Leaderförderung konnten zudem in der letzten Periode 60 Projekte von Vereinen und Institutionen unterstützt werden. Projekte bis 20.000 Euro können 80 Prozent Förderung erhalten.
Für unser Feuerwehrgerätehaus in Volme haben wir 250.000 Euro erhalten. Darüber freuen wir uns, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Zudem ist der verwaltungstechnische Aufwand eines Antrages enorm. Dabei kann man sich nicht sicher sein, dass man den Zuschlag für ein Projekt erhält. Unser Außensport ist nach zwei Anträgen nicht gefördert worden. Ich hoffe, dass das Land bei den vielen Förderprojekten merkt: Wir sind unterfinanziert. Wir haben zu wenig Geld in den Kommunen. Eine pauschale Zuweisung durch das Land mit Zweckbindung würde ich begrüßen. Ganz ohne Fördermittel würde es heikel aussehen.
Für Sie ein Sorgenkind: das sogenannte „49-Euro-Ticket“. Bund und Länder wollen sich die Kosten teilen – glauben Sie, die Kommunen werden mit der Finanzierung nicht belastet?
Sicherlich besteht die Absichtserklärung, dass Bund und Länder sich die Finanzierung teilen wollen, aber ich fürchte, das wird nur maximal zwei Jahre so laufen, bevor nachjustiert werden muss. Schon oft wurde eine Anschubfinanzierung versprochen und am Ende mussten wir die Kosten selber tragen. Ich befürchte, die Verkehrsbetriebe werden nicht damit auskommen. Eine zusätzliche Linie wird im Märkischen Kreis dadurch auch nicht fahren. Wir tragen jetzt schon hohe Verluste von der MVG in den einzelnen Kommunen. Dennoch lasse ich mich gern eines Besseren belehren.
Vom Sorgenkind zum Herzensprojekt 2023 …
Ganz vorne steht für mich das Innenentwicklungskonzept Kierspe Dorf. Es ist bereits ein Workshop gelaufen, in dem Bürger Ideen zur Verbesserung des Ortsteils teilgenommen haben. Zu den nächsten beiden Workshops am 10. und 17. Januar möchte ich dringlich einladen und hoffe auf mehr Bürgerbeteiligung. Wir wollen überlegen: Was soll sich in Kierspe-Dorf verbessern? In der Auftaktveranstaltung im November haben sich dazu drei Arbeitsgruppen gebildet. Themen waren: Einzelhandel, Gastronomie und sonstiges. Besonders originell: Die Idee via Smartphone über einen QR-Code-Gebäude besichtigen zu können wenn sie geschlossen sind, beispielsweise die Margarethenkirche. Der Rundling um die Kirche könnte zudem weiter aufgehübscht werden.
Andere Wünsche gestalten sich schwierig, beispielsweise etwas gegen die Ladenleerstände zu tun. Leider konnten wir etwa für die Schlecker-Filiale noch keine Lösung finden. An der Kölner Straße haben verbilligte Mieten nicht geholfen, dafür wurde dort teilweise neuer Wohnraum geschaffen.
Ein großes Thema 2022: Ein Jahr A45-Sperrung. Abhilfe soll Tempo 30 im Dorf und am Bahnhof schaffen …
Der Sachstand ist, dass wir nach unseren Messungen an den vom Durchgangsverkehr besonders betroffenen Punkten – besonders im Bereich von Kindergärten und Schulen – grünes Licht vom Märkischen Kreis für Tempo 30 bekommen haben. Wir möchten sowohl Sicherheit für die Kindergarten- und Schulkinder schaffen, als auch einen besseren Begegnungsverkehr am Viadukt in Kierspe Bahnhof für Lkw ermöglichen. Wir wollen mit Schildern auf engere Kurven und Ampeln hinweisen. So verringern wir Geschwindigkeit und Lärm. Die Schilder müssen allerdings noch genehmigt werden. Außerdem hoffen wir, den überregionalen Verkehr so abwenden zu können. Insgesamt ich muss sagen: Die Zusammenarbeit mit dem Märkischen Kreis ist in diesem Bereich sehr gut gelaufen!
Was hoffen Sie für 2023?
Ich hoffe, dass sich die Kriegssituation deutlich verbessert und sich die wirtschaftliche Lage entspannt. Ich denke auch die inflationären Preise sollten angepasst werden. Sicher sind da auch Mitnahmeeffekte festzustellen. Ich habe die Hoffnung, dass sich das bestmöglich im nächsten Jahr wandelt, dass wir alle wieder planen können. Vieles kann sich der „Kleine Mann“ im Moment nicht erlauben.
Außerdem habe die Hoffnung, dass wir Kiersperinnen und Kiersper auch im nächsten Jahr gut durch die Zeit kommen, dass wir weiterhin Ehrenamtliche haben, die so viele unterstützen, wie Hand-in-Hand, die Feuerwehr, die Ersthelfer, das DRK und andere Institutionen. Mein Dank gilt ihnen an der Stelle. Ich hoffe, sie unterstützen uns weiterhin 2023.
Vielen Dank für das Gespräch.
Ich danke Ihnen.