Allein im vergangenen Jahr verordneten die niedergelassenen Ärzte in Westfalen-Lippe Betroffenen ab 20 Jahren insgesamt 71.261 Packungen ADHS-Medikamente wie zum Beispiel solche mit dem Wirkstoff Methylphenidat, der die Nervenbotenstoffe Dopamin und Noradrenalin im Gehirn erhöht. Das sind 14 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und 43 Prozent mehr im Vergleich zu vor fünf Jahren (2018: 49.736 Packungen).
„ADHS wird meistens Kindern zugeschrieben. Doch auch Erwachsene sind davon zunehmend betroffen. Die diagnostizierten und behandelten Fälle haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das spiegelt sich auch in der Zunahme der Verordnungen von ADHS-Medikamenten wieder“, sagt Tom Ackermann, Vorstandsvorsitzender der AOK NordWest.
Besonders auffällig sei der Anstieg der Verordnungen bei Erwachsenen im Alter von 30 bis 39 Jahren. Hier lag die Steigerung in 2022 im Vergleich zum Vorjahr bei 21,1 Prozent. Laut Ackermann könne die hohe Steigerungsrate auf eine größere Sensibilisierung von Ärzten und Patienten für die adulte ADHS gewertet werden.

ADHS tritt nicht nur im Kindesalter auf
Gestörte Konzentrationsfähigkeit, unüberlegtes Handeln und übersteigerter Bewegungsdrang können unter anderem Symptome der ADHS sein. Lange Zeit gingen Experten davon aus, ADHS trete nur im Kindesalter auf und wachse mit der Pubertät aus.
Last AOK sei heute erkennbar, dass ein Teil der betroffenen Kinder die Erkrankung ins Erwachsenenalter mitnehme. Hinzu komme, dass bei vielen Erwachsenen die ADHS in der Kindheit nicht erkannt wurde. Komme es im Erwachsenenalter dann zu Auffälligkeiten, könnten Betroffene sich diese nicht erklären und viele würden sich erst dann an einen Arzt wenden, wenn es zu Konflikten in der Familie oder am Arbeitsplatz kommt oder Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Suchtprobleme auftreten.
Ursachen noch unklar
Was die ADHS verursache, sei unter den Experten noch nicht abschließend geklärt. So spiele die Veranlagung scheinbar eine große Rolle. „Wahrscheinlich liegt bei ADHS eine Stoffwechsel- und Funktionsstörung im Gehirn vor. Vermutlich wird zum Beispiel der Botenstoff Dopamin zu schnell abgebaut, der für die Steuerung von Aktivität und Antrieb zuständig ist“, heißt es in einer AOK-Pressemitteilung. „Die Folge: Signale werden nicht mehr richtig übertragen, Reize unzureichend gefiltert. Bei Menschen mit ADHS funktioniert somit die Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnabschnitten nicht reibungslos.“
ADHS ist gut behandelbar
Sei die Krankheit erkannt, sei sie meist gut zu behandeln. Viele Erwachsene würden sich auch eigene Strategien suchen, wie beispielsweise Entspannungstechniken oder Sport, um damit besser umgehen zu können.
„Manche Erwachsene benötigen aber mehr Unterstützung, um die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Für sie kann eine Behandlung mit Medikamenten in Kombination mit einer Verhaltenstherapie sinnvoll sein“, so Ackermann. Wirksame Medikamente könnten die Aufmerksamkeit verbessern und die Hyperaktivität und Impulsivität mildern.
Mit steigendem Alter nehme die Häufigkeit einer ADHS-Erkrankung ab.