„Das macht mir Angst. Das macht mich sprachlos. Ich bin bei jeder Meldung, die herein kam, sprachloser geworden. Wo führt das hin?“, sagte Bürgermeisterin Birgit Tupat. Mit 17,7 Prozent ist die AfD die zweitstärkste Partei in Nachrodt-Wiblingwerde. Da rückt das starke Ergebnis der CDU, die sich um 4,06 Prozentpunkte im Vergleich zur Europawahl 2019 verbessern konnte, glatt in den Hintergrund. In vier Wahllokalen war die CDU vorne, dann die AfD vor der SPD. In den Wahlbezirken „Jugendzentrum“ und „Grundschule Nachrodt“, war jedoch die AfD vorne und zwar mit 37,43 und 30,11 Prozent.
Alle Wahlbezirke in der Übersicht:
Was auffällt: Die AfD ist dort stark, wo die Wahlbeteiligung am geringsten ist. Im Jugendzentrum lag sie gerade einmal bei 25,64 Prozent und in der Grundschule Nachrodt bei 36,25 Prozent. Außerdem gibt es ein klares Berg-Tal-Gefälle. Denn in Wiblingwerde ist die AfD zwar auch zweitstärkste Kraft, jedoch mit deutlich weniger Prozenten, nämlich 21,13 Prozent im Gemeindehaus und 17,95 Prozent in der Turnhalle. Am schwächsten schnitt die AfD bei den Briefwählern ab. Dort knackte sie in keinem der beiden Bezirke die Zehn-Prozent-Marke. Bei den Briefwählern ist die SPD die zweitstärkste Partei hinter der CDU.
„Das ist heftig, die AfD ist die zweitstärkste Partei in Nachrodt-Wiblingwerde – dabei sind die hier doch eigentlich gar nicht vorhanden. Wir sind alle geschockt und können es uns einfach nicht erklären“, sagt die UWG-Fraktionsvorsitzende Petra Triches. Sie fragt sich, wo die derzeitigen Parteien die Wähler nicht mitgenommen haben. Das Ergebnis lasse sich nicht allein auf Protestwähler schieben, die unzufrieden mit der Ampel auf Bundesebene sind. Jetzt sei es an den demokratischen Parteien, sich zusammenzusetzen und Wege gegen den Rechtsruck zu finden.
Gerd Schröder, Fraktionsvorsitzender der SPD, zeigte sich nicht ganz so überrascht. Er freute sich zunächst über die relativ hohe Wahlbeteiligung. Zum Ergebnis der AfD sagte er: „Es ist nicht überraschend. Die Hochrechnungen im Vorfeld ließen es erahnen. Wir werden uns auf andere Zeiten einstellen müssen. Der Frust der Wähler ist groß. Aber natürlich muss ich deswegen nicht zwingend AFD wählen.“
Das schlechte Ergebnis seiner Partei sieht Schröder als Abstrafung der Regierungsarbeit und kann diese in Teilen auch nachvollziehen. „Unser Bundeskanzler hat nicht immer glücklich agiert und nicht gut kommuniziert. Angela Merkel hat auch nicht viel gesagt, aber immer noch mehr als Olaf Scholz“, sagte Schröder.
Der fraktionslose Aykut Aggül hätte nicht erwartet, dass die AfD in Nachrodt-Wiblingwerde zweitstärkste Kraft wird. So einen hohen Pozentsatz habe er nicht erwartet. „Das ist ein ganz bitteres Ergebnis für die demokratischen Parteien. Wenn es so weiter geht, werden wir die Demokratie auf Landes- und Bundesebene aus den Händen verlieren“, erklärte der Nachrodter. Natürlich sei klar zu sehen, dass die Wähler die Ampel-Parteien abgestraft hätten. Dennoch mache ihm das Ergebnis persönlich Angst: „Als ich die Wahlunterlagen im Amtshaus abgegeben habe, habe ich mich gefragt in welche Richtung wir jetzt eigentlich gehen, wenn die AfD zweitstärkste Kraft ist.“ Warum gerade in Nachrodt die AfD so gut abschneidet, kann er nicht erklären. Er tippt auf eine hohe politische Unzufriedenheit, die zu einer Protestwahl geführt habe.
Ähnlich sieht das auch der CDU-Parteivorsitzende Klaus-Dieter Jacobsen: „Da wird aus Protest gewählt und damit auf politische Parolen eingegangen. Mit tut das persönlich weh, dass da kurzfristig aus der Wut gehandelt wird.“ Er freute sich natürlich über das gute Abschneiden seiner CDU – insbesondere im Bereich der jungen Wähler unter 30 Jahren. „Wir sind auf dem richtigen Weg. Ich hoffe, dass alle die, die unentschlossen waren, bei der nächsten Wahl zu uns kommen“, sagt Jacobsen.
Claus Vogel, Vorsitzender der FDP, warnt davor, den Wählerwunsch in Frage zu stellen: „Wer die AfD wählt, hat sich aktiv dafür entschieden. Ich deute dies wirklich als Kritik an der Ampel und der fehlenden definierten und polarisierenden Position der zu wählenden Alternativen.“ Persönlich finde er das gute Ergebnis der AfD „fürchterlich“. Und erklärt, dass das eine sehr kurzsichtige Wahl mit hoher Brisanz auf der europäischen Politikebene sei. „Ich glaube, dass sich viele Konsequenzen als böse herausstellen könnten. Es wurden viele leere Versprechungen gemacht, die nicht zielführend sind“, sagt Vogel. Er sei erschüttert und erschrocken, dass die AfD mit ihrer Polemik so viele Menschen erreicht habe und eine realpolitischer Ansatz der demokratischen Parteien immer weniger Zuspruch finde. Vogel: „Diese Wahl ist ein Zeichen für ein undefinierbares Unwohlsein mit der aktuellen Politik. Das ist eine Protestwahl und die ist gefährlich – ein Spiel mit dem Feuer.“