Für Bürgermeisterin Birgit Tupat war es ein schönes Geburtstagsgeschenk. Und auch die meisten anderen Zuschauer des Prozesses vor dem Oberverwaltungsgericht Münster waren am Ende gut gelaunt. Denn: Der Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Arnsberg für den Ausbau der B236 in der Ortsdurchfahrt Nachrodt-Wiblingwerde ist rechtmäßig. Dies hat das Oberverwaltungsgericht mit dem am Freitagnachmittag verkündeten Urteil entschieden und die Klage eines Anwohners abgewiesen.

Schon um 7.45 Uhr machten sich die Nachrodt-Wiblingwerder auf den Weg. Mit dabei Bürgermeisterin Birgit Tupat, der CDU-Fraktionsvorsitzende Philipp Olschewski, Gerd Schröder, Fraktionsvorsitzender der SPD, Sonja Hammerschmidt und Christoph Schulte von der UWG, Claus Vogel und Armin Speckmann von der FDP und Unternehmer-Paar Birgit und Uwe Hell. Auch Aykut Aggül fuhr nach Münster - allerdings allein. Sein Mitfahr-Angebot wurde nicht angenommen. Auch schloss er sich nicht den anderen an und reiste vor der Urteilsverkündung ab. Angereist war zudem der Grundstückseigentümer, der gegen das Land NRW geklagt hatte. Für die Gegenseite saßen einige bekannte Gesichter im Publikum. Beispielsweise Steffen Scholz, Niederlassungsleiter von Straßen.NRW.

Verhandelt wurde eine Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zur Neuerrichtung einer Lennebrücke, dem Abbruch der alten Brücke und die unterirdische Verlegung einer Gasleitung sowie die Beseitigung von einer unübersichtlichen Kurve. Diesen Beschluss gab es seitens der Bezirksregierung im August 2024 und wurde unmittelbar danach angefochten. Nun die Verhandlung.

Der Vorsitzende Richter Dr. Bodo Willms eröffnete die Sitzung pünktlich um 10.30 Uhr. Richter Andreas Herzig hatte die Funktion des Berichterstatters und erörterte noch einmal zusammenfassend die Positionen der Klage. So gab es zig Punkte, die aus Klägersicht gegen den Beschluss sprechen. Es gab Bedenken beim Umwelt- und Artenschutz, Immissionsschutz, beim Wasserrecht oder auch beim Denkmalschutz. Bemängelt wurde seitens des Klägers beispielsweise die damit verbundene Fällung einer 300-jährigen Eiche. Seltene Bäume, wie beispielsweise eine Asiatische Sicheltanne, die im Park des Hauses Nachrodt steht, seien durch die vermehrten Abgase in Gefahr. Auch werde er als Waldbesitzer stark eingeschränkt, da Langholztransporte mit der neuen Straßenführung vom Dümpel aus nicht mehr möglich seien. Das Biotop Klaras Höhe sei nicht vollumfänglich involviert worden, die Ausgleichsflächen sind nicht korrekt, da sich eine Wasser-/Uferfläche nicht durch einen Buchenwald ersetzen lasse und vor allem seien Alternativen zum Neubau nicht ausreichend untersucht worden - wie beispielsweise eine Sanierung im Bestand.

Wie umfangreich die Klage ist, wurde deutlich, als alle Prozessbeteiligten gleichzeitig in die Beiakte schauen wollten. 2000 Seiten umfasst diese. Die Ladezeit auf den Laptops betrug mehrere Minuten.

Vor der Erörterung erklärte Richter Willms: "Wir treffen hier heute keine politische Entscheidung, ob die Straße gebaut werden darf oder nicht. Hier geht es darum, zu prüfen, ob dadurch das Recht des Klägers eingeschränkt wird." Er fragte auch noch einmal, ob es Gesprächsangebote zur Einigung gegeben habe. Dies Verneinte der Rechtsanwalt des Klägers. Helmut Kürzel, Dezernent der Bezirksregierung, erklärte in der Pause: "Das stimmt. Aber die Frage lautete, ob es seit der Klage Versuche der Einigung gegeben habe. Das war nicht der Fall. Davor natürlich sehr wohl. Aber wir sind an einem Punkt, wo ich klar sagen muss, dass wir nicht auf einem Basar sind."

Einige Nachrodt-Wiblingwerder verfolgten die Verhandlung in Münster.
Foto: Machelett

Letztlich entschied das Gericht, dass die Klage abgewiesen wird. In der mündlichen Urteilsverkündung hieß es: "Das Verfahren wurde ordnungsgemäß durchgeführt. Insbesondere war es zulässig, den Ausbau der Brücke und die Verlegung der Gasleitung in einem Verfahren zusammenzufassen. Der Planfeststellungsbeschluss ist auch in materieller Hinsicht rechtmäßig. Das Vorhaben ist erforderlich, um die unzureichenden Verkehrsverhältnisse durch den Straßenverlauf mit zwei aufeinanderfolgenden 90-Grad-Kurven zu verbessern." Zudem weise die Lennebrücke aus dem 19. Jahrhundert erhebliche Schäden auf; sie ist zurzeit nur noch im Einrichtungsverkehr befahrbar. Und weiter: "Der Abbruch und die Neuerrichtung der Brücke sind gegenüber einer Sanierung der alten Brücke mit Beibehaltung der jetzigen Trassenführung vorzugswürdig. Die Bezirksregierung hat die Belange der Öffentlichkeit und der Anwohner fehlerfrei abgewogen. Hierzu zählen auch die vom Kläger angeführten Auswirkungen auf das in seinem Eigentum stehende Denkmal ,Haus Nachrodt' und die zu einer Erbbegräbnisstätte führende Lindenallee." Die neue Trasse durchschneide nur einen Teil der Lindenallee, die an dieser Stelle schon seit längerer Zeit nicht mehr als solche erkennbar sei. Auf der nach dem Abbruch der alten Brücke frei werdenden Fläche sollen zudem nach dem Planfeststellungsbeschluss beidseitig neue Linden gepflanzt werden.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann Nichtzulassungsbeschwerde erhoben werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Das Verhalten des Klägers sorgte für ordentlich Gesprächsstoff unter den Nachrodt-Wiblingwerdern.
Foto: Machelett

Für Gesprächsstoff unter den Nachrodt-Wiblingwerdern sorgten das Verhalten und die Argumente, die der Grundstückseigentümer selbst vorbrachte. Er ließ nicht nur seine beiden Anwälte sprechen, sondern mischte sich auch selbst immer wieder aktiv ein. Und wurde durchaus deutlich mit Blick ins Publikum, beispielsweise zum Ende als er sagte: "Ich möchte noch einmal etwas zur medialen Aufbereitung sagen. Es wirkt so, als möchte ich einfach mein Grundstück nicht verkaufen. Das stimmt so nicht. Herr Hell als Unternehmer hat ganz andere Interessen als ich als Denkmaleigentümer." Um das Thema Denkmalschutz ging es viel. Der Vorsitzende Richter eröffnete somit den Inhaltspunkt mit den Worten. "Herr (...) das ist Ihnen besonders wichtig." Der Kläger widersprach: "Mich stört schon, dass Sie gesagt haben, dass es mir wichtig ist. Das ist mein Recht. Ich bin gebeutelt davon. (...) Das mache ich nicht als Selbstzweck, sondern für die Allgemeinheit. Wie meine Familie das schon seit 200 Jahren macht." Wenn die neue Brücke käme, wären die räumlichen Beziehungen zerstört. "Hier wird ein Zustand für immer zerstört, da können Sie Linden pflanzen, so viel Sie wollen", sagte der Kläger. Natürlich könne er verstehen, dass die Firmen ihre Mitarbeiter und ihre Waren bekommen müssen. "Aber es wird hier ein Anfang 1900 entstandener Bereich unwiederbringlich zerstört." Da war selbst der Richter kurz ein wenig sprachlos: "Ich sitze hier auch nicht erst seit gestern, aber Denkmalschutz als Abwägungsbelang haben wir hier so auch noch nicht gehabt."

Und noch etwas hörte Richter Willms zum ersten Mal: Der Grundstückseigentümer, der auch Wald besitzt, beklagt, dass Langholztransporte durch die geänderte Zuwegung nicht mehr möglich seien. Dr. Benno Willms: "Es besteht kein Anspruch auf günstige Verkehrswege. So speziell hatten wir das auch noch nicht." Der Kläger gab jedoch zu bedenken, dass es keine alternative Zuwegung gebe.

Ein weiterer Aspekt sei der Spielplatz am Dümpel, der wegfalle. "Das stimmt natürlich nicht. Wir haben bereits mehrfach darüber gesprochen, dass ein Ersatz geschaffen wird", erklärte Bürgermeisterin Birgit Tupat im Nachgang der Sitzung.

Der Grundstückseigentümer selbst war im Nachgang sichtlich unzufrieden. Eine Stellungnahme lehnte er schroff ab.

Voller Spannung ging es zur Urteilsverkündung zurück ins Gericht. Gut zwei Stunden hatten die Richter getagt.
Foto: Machelett

Im Nachgang des Verfahrens erhielt LokalDirekt folgende schriftliche Stellungnahme von Charlotte von Löbbecke-von Campe, die wir hier im Wortlaut veröffentlichen:

"Unsere Klage gegen den ,Ausbau einer Ortsdurchfahrt':

Ein Schlag gegen alle Anwohner der Ortsdurchfahrt, gegen alle Erholungssuchenden des Naherholungsgebiets Spielplatz / Dümplerleie / Klaras Höhe! Bau eines autobahnähnlichen Beton-Brückenwerks mitten im Ort bedeutet: Noch mehr Durchgangsverkehr, gesundheitsgefährdende CO2- und Lärmbelästigung, Unfallgefahr, dadurch Minderung der Lebensqualität für die Anwohner und Bürger, Wertminderung von Immobilien, Zerstörung der Natur, weitere Ab-Trennung des Wohngebietes ,Nachrodter Feld' vom übrigen Ortsgebiet Nachrodt durch lange Fuß- und Umwege... Ist es das, was die Gemeindeverwaltung und der Rat für den Ort und seine Bürger will? Danke, dass Sie blind der Industriestimme und Presse folgen... Wie wäre es, mal mit den Bürgern vor Ort zu sprechen, zum Beispiel am Spielplatz, Dümplerleie, etc.?"