Das Sterben ist ein Teil des Lebens und doch berührt es jeden auf besondere Weise. In stillen Räumen der Pflegeheime, auf Friedhöfen, bei Abschieden in der Familie oder in Hospizen wird der letzte Weg begleitet – geprägt von Ritualen, Entscheidungen und Momenten voller Nähe und Verlust. Wie Menschen sterben, trauern und erinnern, erzählt viel über das Leben selbst. Für die Reportagereihe „Wie sterben Menschen heute?“ besuchten die LokalDirekt-Volontäre Amaris Seegmüller und Paul Hösterey sowie Praktikantin Carlotta Warmuth Einrichtungen, die täglich mit dem Lebensende konfrontiert sind. Teil 7 der Serie umfasst einen Besuch auf dem katholischen Friedhof in Halver.
Es ist ein grauer Freitagnachmittag Anfang November. Der Wind trägt das letzte Herbstlaub über das Gelände. Neben der Firma „Escha“ führt ein langer, gepflasterter Weg hinab zu den Grabstätten des Friedhofs. Der Weg ist ruhig, von Bäumen umgeben, deren Äste längst kahl und von ihren Blättern befreit. Das leise Rascheln des Laubes auf dem Boden fügt sich in die Stille des Ortes ein.
Direkt neben dem Eingangstor steht ein kleines, unscheinbares Häuschen. Es ist in einem cremigen Weiß mit braunen Akzenten gestrichen und fügt sich harmonisch in das Bild des Friedhofs ein. Das Häuschen wirkt ein bisschen wie die Grenze zwischen dem Trubel draußen und der Ruhe hier auf dem Friedhof.
Unterhalb dieses Häuschens erwarten uns Marina Wegerhoff und Ulrich Genster. Beide begrüßen uns mit einem freundlichen Lächeln, das die kühle Novemberatmosphäre für einen Moment erwärmt. Marina Wegerhoff ist die Leiterin der Friedhofsverwaltung. Sie trägt ein schlichtes Outfit, das zu ihrer ruhigen und zugleich einladenden Art passt. Ulrich Genster, der Friedhofsgärtner, erscheint in seiner Arbeitskleidung – wetterfest und praktisch. Die beiden sind eng mit dem Friedhof verbunden und sorgen dafür, dass dieser Ort der Stille und des Gedenkens stets gepflegt und ordentlich bleibt.
Verwaltung und Pflege – Zwischen Trauer und Ordnung
Nachdem wir den kleinen Eingangspavillon betreten haben, nehmen Marina Wegerhoff und Ulrich Genster Platz an einem Tisch im Büro, das inmitten des Friedhofs liegt. Die Atmosphäre hier ist ebenso ruhig wie der Friedhof selbst, doch die beiden sind jederzeit aktiv, um diesen Ort in Ordnung zu halten. Wegerhoff beginnt, mit ruhiger Stimme über ihre Aufgaben zu sprechen, während Ulrich Genster sich entspannt zurücklehnt und aufmerksam zuhört. Ihre Arbeitsbereiche mögen verschieden sein, doch sie ergänzen sich – beide tragen auf ihre Weise dazu bei, dass dieser Ort der Erinnerung und Stille erhalten bleibt.
„Ich bin für die Gebührenbescheide zuständig“, sagt Marina Wegerhoff, während sie die Hände auf dem Schoß zusammenfaltet. Ihr Blick ist aufmerksam auf das vor ihr auf dem Tisch liegende Papier gerichtet. „Das bedeutet nicht nur, dass ich diese verfassen muss, sondern auch, dass ich sicherstelle, dass die Zahlungen eingehen.“ Sie schaut kurz auf. „Darüber hinaus kümmere ich mich um die Rechnungen des Friedhofs und stehe den Angehörigen bei Fragen zu den Gräbern zur Seite.“ Ihre Stimme klingt ruhig und bestimmt, und ihre Hände verschränken sich kurz auf dem Tisch.
Ulrich Genster, der Friedhofsgärtner, sitzt rechts neben ihr am Tisch und nickt leicht. Er hat sich etwas zurückgelehnt, während er der Friedhofsverwalterin aufmerksam zuhört. „Die Arbeit ist schon sehr vielseitig“, fügt er hinzu, seine Hände ebenfalls auf dem Tisch ineinander verschränkt. „Ich kümmere mich nicht nur um die pflegefreien Gräber, sondern auch um die gesamte Friedhofsanlage – die Wege, die Hecken, den Rasen.“ Ein kurzes, beinahe schüchternes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er hinzufügt: „Ich räume auch den Müll weg, der hier und da mal landet, und hebe die Gräber für Bestattungen aus.“
Marina Wegerhoff fährt fort und zeigt dabei mit einem Nicken auf den Friedhof, der durch das Fenster des kleinen Büros zu sehen ist. „Auf diesem Friedhof unterscheidet man grundsätzlich zwischen zwei Grabtypen: pflegefreien Gräbern und solchen mit Gestaltungsmöglichkeiten. Die Gräber mit Gestaltungsmöglichkeiten wählen die Angehörigen selbst aus. Diese sind entweder als Einzel-, Doppel- oder Familiengrab verfügbar und können frei gestaltet werden.“ Sie hebt eine Hand, als ob sie das Bild eines perfekt gepflegten Grabs im Kopf hat. „Die Angehörigen übernehmen die Verantwortung für die Pflege des Grabes und eventuelle Schäden“, erklärt sie. „Wenn diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen wird, erinnere ich die Angehörigen daran und versende Mahnungen.“ Ein kleines Lächeln huscht über ihre Lippen: „In der Regel zeigen die meisten Verständnis, entschuldigen sich und bringen das Grab wieder in Ordnung.“
Ulrich Genster nickt zustimmend, ohne ein Wort zu sagen. Er schaut aus dem Fenster, als würde er das Gelände im Blick behalten. Marina blickt zurück auf ihn, als sie fortfährt: „Wer sich nicht um die Pflege kümmern möchte, entscheidet sich für ein pflegefreies Grab. Hier ist keine individuelle Gestaltung möglich, und auch das Dekorieren mit Blumen oder anderen Gegenständen ist untersagt.“ Sie spricht ruhig, fast so, als würde sie daran erinnern, dass der Friedhof nicht nur ein Ort des Gedenkens ist, sondern auch eine gewisse Ordnung und Struktur beinhaltet.
Genster, der ab und zu mit der Hand den Kragen seiner Jacke glattzieht, fügt hinzu: „Die pflegefreien Gräber sind meine Aufgabe. Ich halte den ganzen Friedhof in Schuss, sorge dafür, dass alles ordentlich aussieht, die Wege frei sind und die Hecken geschnitten werden. Ich mache alles, damit der Friedhof gut aussieht und die Menschen einen schönen Ort der Ruhe vorfinden.“ Während er spricht, ist sein Blick ruhig, fast nachdenklich, als ob er jedes Detail der Anlage vor seinem inneren Auge sieht.
Wenn der Friedhof lebendig wird
Die Arbeit auf dem Friedhof ist also nicht nur geprägt von Akten und Pflegeaufgaben. Zwischen Rechnungen, Mahnungen und Hecken schneiden gibt es auch Momente, in denen der Friedhof lebendig wird – wenn Menschen hierherkommen, um ihrer Angehörigen zu gedenken und die Stille des Ortes für einen Moment mit Leben zu füllen.
Nicht nur für Marina Wegerhoff ist der Friedhof ein Ort der Erinnerung. Während sie in einem ruhigen Moment die auf dem Tisch vor ihr liegenden Unterlagen ordnet, erzählt sie mit einem leichten Lächeln von den besonderen Momenten, die der Friedhof bietet: „An Allerheiligen sind wirklich viele Menschen hier“, verrät sie. Ihre Stimme nimmt einen sanften, nachdenklichen Ton an. „Also, das ist wirklich schön. „Dann, wenn es dunkel wird und nachher die Kerzen überall leuchten an den Gräbern, das sieht einfach klasse aus.“ Sie sieht aus dem Fenster, als ob sie das Bild der leuchtenden Kerzen vor sich sieht. „Später zelebrieren wir dann auch immer den Gottesdienst hier auf dem Friedhof. Wir sprechen alle zusammen mit dem Pater ein Gebet und oft wird auch zusammen gesungen. Anschließend zieht er dann durch die ganzen Reihen und segnet die Gräber mit Weihwasser. Meistens fangen wir so um halb fünf an und brauchen ungefähr eine Stunde. Dann wird es ja um die Zeit meist schon dunkel und das sieht dann auch immer wirklich schön aus.“
Es sind nicht nur die Zeremonien, die den Friedhof zu einem besonderen Ort machen. Wegerhoff spricht mit einem nachdenklichen Lächeln weiter: „Wirklich viele kommen auch von außerhalb hier zu den Gräbern. Da trifft man oft alte Bekannte wieder und kommt ins Gespräch. ‚Ach, du bist auch wieder hier‘ und sowas halt. Das finde ich persönlich immer sehr schön.“
Doch der Friedhof ist nicht nur an Feiertagen ein Ort der Begegnung. Auch außerhalb der besonderen Anlässe ist er gut besucht. Ulrich Genster, der sich während des Gesprächs immer wieder nach draußen wendet, als würde er den Friedhof im Blick behalten, fügt hinzu: „Sowohl junge als auch alte Menschen kommen hier auf unseren Friedhof.“ Er schaut mit einem prüfenden Blick auf den weitläufigen Platz. „Ich sehe es ja immer. Es ist doch noch gut frequentiert. Es gibt viele, die kommen sogar täglich. Das lässt auch nicht nach, würde ich sagen.“
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Ort der Stille und Erinnerung – eine ganz besondere Grabstätte
Zwischen all den täglichen Aufgaben auf dem Friedhof – von den Pflegearbeiten bis zu den Begegnungen mit den Besuchern – gibt es Momente, die immer noch besonders berühren. Was bei so einer Arbeit am meisten bewegt, sind nicht die Wege oder Gräber selbst, sondern die Geschichten und Schicksale der Menschen, die hier gedenken.
Gerade die Schicksale, die besonders schwer wiegen, hinterlassen oft einen bleibenden Eindruck. Ein solches Schicksal betrifft die Sternenkinder – diejenigen, die viel zu früh von uns gegangen sind. Für diese kleinen Seelen wurde auf dem Friedhof ein besonders stiller und abgeschiedener Ort geschaffen, der den Familien einen Raum für ihre Trauer und Erinnerung bietet.
Vor etwa drei Jahren wurde das Friedhofsgelände deshalb erweitert, und in einem abgelegenen, ruhig gelegenen Bereich entstand eine besondere Ruhestätte – ein Feld für Sternenkinder. Die neuen Grabstätten liegen zurückgezogen, von kleinen Hecken umrahmt, und vermitteln einen Ort stiller Trauer.
Ulrich Genster lehnt sich im Büro leicht nach vorn, die Hände auf dem Tisch verschränkt, während er spricht: „Bestattungsinstitut Friemann ist auf uns zugekommen mit der Anfrage, ob wir uns vorstellen können, ein Feld für Sternenkinder anzulegen. Daraufhin haben wir uns im Friedhofsausschuss das Okay geben lassen und den Bau gestartet.“
Er gestikuliert kurz mit einer Hand, als wolle er die Abgrenzung des Feldes in der Luft nachzeichnen. „Mit Friemann haben wir uns so geeinigt, dass wir da auch gar keine Nutzungszeit berechnen, wenn wirklich Sternenkinder dort bestattet werden. Es wird nur eine Bestattungsgebühr von 100 Euro berechnet – die Friemann sogar übernimmt, weil sie das unterstützen wollen.“ Seine Stimme ist ruhig, aber deutlich. „Deswegen ist das wirklich für Angehörige eine kostenfreie Sache. Wer so etwas benötigt, kann sich an die örtlichen Bestatter wenden. Es sind also nicht nur Friemann, sondern auch andere Bestatter hier involviert.“
Genster richtet sich kurz auf. „Zum Glück mussten wir bisher noch keine Sternenkinder bestatten. Aber man sieht ja, dass viele Menschen hierherkommen, die vielleicht so ein Schicksal erlebt haben und an diesem Ort trauern. Oft werden Kerzen oder anderer kleiner Grabschmuck niedergelegt.“
In diesem abgegrenzten Bereich liegt eine besondere Stille – ein Ort der Trauer und des Trostes, an dem Menschen innehalten, um zu gedenken.
Am Ende unseres Interviews bleibt der Friedhof nicht nur als Ort der Ruhe und des Gedenkens in Erinnerung, sondern als lebendiger Raum, geprägt von Geschichten und Schicksalen. Es sind die Menschen, die diesen Ort prägen – vom stillen Gedenken an Allerheiligen bis zu den leisen Gesprächen zwischen Besuchern. Der Friedhof ist mehr als ein Friedhof – er ist ein lebendiger Raum der Erinnerung und des Trostes, an dem Leben und Verlust miteinander verschmelzen. Ein Ort, an dem das Leben in all seinen Erinnerungen weiter bestehen bleibt.









