Es ist etwa 4.30 Uhr am 8. Juni 2023. Ein Polizeiauto ist auf Streife an der Heedfelder Straße unterwegs. Plötzlich kommt den beiden Beamten ein hochmotorisierter Wagen mit offensichtlich überhöhter Geschwindigkeit entgegen. Der Polizist am Steuer merkt sich sofort das Nummernschild. Zudem erkennt er den Fahrer aus vorhergegangenen Verkehrskontrollen wieder. Der Raser bremst beim Anblick des Streifenwagens zunächst ab. Als die Beamten ein Stückchen hinter der Aral-Tankstelle wenden, um den Flitzer zu verfolgen, tritt dieser wieder aufs Gas. Er biegt rechts auf die Straße Hohe Steinert ab. Dann fährt er nach links und falsch herum auf die Einbahnstraße Am Gölling. Kurz darauf verliert die Polizei das Fahrzeug aus den Augen. Es ist einfach zu schnell.
Der Angeklagte schweigt
Eine Halterabfrage führt zu einem 30-jährigen Halveraner. Die Polizei konfrontiert den Mann an dessen Wohnanschrift mit dem Vorwurf des unerlaubten Autorennens. Der 30-Jährige sagt nichts. Das hält er auch in seinem Strafprozess im Amtsgericht Lüdenscheid so. Vom Angeklagten ist nichts zu hören. Sein Anwalt erklärt, sein Mandant sei am Tattag mit zwei Freunden unterwegs gewesen. Jeder habe mal am Steuer gesessen. Der 30-Jährige allerdings nicht zu den in der Anklage genannten Uhrzeiten.
Nach dem Vorfall an der Heedfelder Straße war das Navigationsgerät des Wagens ausgelesen worden. Dabei war herausgekommen, dass das Auto gegen 4 Uhr auf der A45 Richtung Lüdenscheid vor der Lennetalbrücke von 107 auf 181 und von 90 auf 245 km/h beschleunigt worden war. In der Baustelle war der Wagen dann mit 163 statt 80, und 157 statt erlaubten 60 km/h unterwegs. Auf der Heedfelder Straße waren es um die 98 und auf der Straße Am Gölling bei erlaubten 30 64km/h schnell.
Drei Polizisten und die beiden vom Angeklagten als seine Begleiter in der Tatnacht angegebenen sind als Zeugen geladen. Während die Streifenwagenbesetzung mit leichten Abweichungen in ihren Aussagen den Hergang – wie oben dargestellt- beschreibt, hüllen sich die beiden anderen Zeugen in Schweigen. Und das dürfen sie auch. Ein Zeuge muss nämlich dann nichts sagen, wenn er sich selbst strafrechtlich belasten müsste. Die beiden mutmaßlichen Begleiter des Angeklagten sollen in der Tatnacht ja am Steuer gesessen haben. Damit steht ihnen im Gericht das Recht, zu schweigen zu. Davon machen beide Männer Gebrauch.
„Das Ganze muss Renncharakter haben“
Nach den Zeugenvernehmungen fasst der Richter das Ergebnis der Beweisaufnahme zusammen. Zur Fahrt auf der Heedfelder Straße: „Der Nachweis eines Rennens dürfte wahrscheinlich nicht zu führen sein.“ Zwar sei der Angeklagte zu schnell gefahren. „Aber das macht ja nicht das Rennen aus. Das Ganze muss Renncharakter haben.“ Das läge nicht vor. Denn laut Paragraph 315d StGb sei es dann ein Rennen, wenn sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewege, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Das könnte im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden, gibt der Richter zu. Was die Fahrt auf der Autobahn beträfe, so der Richter weiter, sei gar nicht klar, wer wirklich am Steuer gesessen hatte. Ergebnis: Freispruch für den nicht vorbestraften Halveraner.