CDU-Ratsherrin Tanja Edelhoff hatte das Wort ergriffen. Sie selbst lebt am Kreinberg. „Da wohnen Menschen. Diese Menschen sind allen völlig egal“, erklärte sie. Grund für ihre Verzweiflung ist der stockende Wiederaufbau nach der Flut im Bereich Kreinberg/Eickhoff/Hallenscheid. Die Zufahrten sind kaputt. Die Straßen wurden noch immer nicht richtig hergestellt. Aktuell sieht die Straße auf den ersten Blick gut aus. Sie ist aber an einigen Stellen unterspült und verengt. Nur Anlieger dürfen den Weg akutell nutzen. Keine schweren Fahrzeuge. Nun ging es in Sachen Wiederaufbau eigentlich endlich voran – doch jetzt bringen Naturschutz-Maßnahmen die dringend erforderlichen Maßnahmen erneut ins Stocken, betroffen ist die Maßnahme am Kreinberger Weg. Während Betriebe um Existenzen bangen, der Rettungsdienst immer wieder größere Probleme hat, Fahrradfahrer nicht sicher fahren können, die Landwirte verzweifeln und Autos der Anwohner häufig in der Werkstatt sind, diskutieren Behörden über einen Tunnel für Feuersalamander – und das noch mindestens ein Jahr. Die Gemeinde kann dabei nur zusehen. Die Lokalpolitik ist einmal mehr machtlos. Es wird noch Monate dauern, bis dort Bagger für die Menschen anrücken. Erst sind die Feuersalamander an der Reihe.
Ingenieur Olaf Schwarz von der Consulting und Engineering GmbH (C&E) war bereits in der vergangenen Woche vor Ort und berichtete im Planungs-, Bau- und Umweltausschuss vom aktuellen Stand in Sachen Wiederaufbau nach der Flut: „Es gibt am Kreinberger Weg das Problem, dass dort ständig Feuersalamander auf die Straße laufen.“ Das heißt, alles, was bisher erfolgte, ist ersteinmal hinfällig. Nun muss sich erst um die Amphibien gekümmert werden, gegebenenfalls ein Tunnel errichtet werden – aber zu allererst muss eine Untersuchung erfolgen und ein Gutachten erstellt werden. Dauer: Mindesten ein Jahr.
„Das kann ich jetzt nicht glauben“, meinte Gerd Schröder, Vorsitzender des Planungs-, Bau- und Umweltausschusses. Er hielt die Aussage zunächst für einen Scherz und war damit nicht allein. Doch es war kein Scherz. In der Ratssitzung am Montagabend wurde erneut hitzig diskutiert. „So eine Artenschutzprüfung dauert mindestens ein Jahr. Es ist auch noch nicht klar, ob sich die Maßnahme nur auf den Feuersalamander konzentrieren muss“, erklärte Bürgermeisterin Birgit Tupat. Verständnis hat auch sie nicht. „Dann soll man sowas ganz am Anfang sagen, dann hätte das längst alles erfolgen können. So machen wir uns alles schwer. Die Straßen sind kaputt und es zieht sich wie Kaugummi. Wir haben jetzt vier Jahre nach der Flut, da fehlen mir wirklich die Worte“, sagte Tupat. Denn der Gemeinde sind die Hände gebunden. Würde sie eigenmächtig handeln, wären die Fördergelder – ohne die die Maßnahme nicht finanzierbar ist – weg. In Zeiten leerer Kassen wäre die Maßnahme somit nicht realisierbar. Die Kommunalpolitiker können somit nur fassungslos zuschauen.

Den Ursprung hat das Problem wohl in einer Meldung des Naturschutzbundes. Mitglieder hatten die Salamander gesehen und waren besorgt. Sie regten eine Sperrung der Straßen in den Abendstunden an, um den Salamendern das Queren der Straße zu ermöglichen. Es gab einen Termin mit der Gemeinde, die das jedoch ablehnte, da es sich dabei unter anderem um wichtige Rettungswege handele – und dort eben auch Menschen leben. Daraufhin wendeten sich die Naturschützer an die Untere Naturschutzbehörde, die daraufhin aktiv wurde – und das Drama nahm seinen Lauf.
„Wir können doch jetzt nicht noch zwei Jahre damit verschwenden, zu gucken, wie die Salamander über die Straße laufen, dann ist die Straße komplett weg. Dort leben Menschen. Wie soll das im Winter werden?“ Tanja Edelhoff war sichtlich verzweifelt. CDU-Ratsherr Michael Schlieck konnte nur zustimmen und musste gar um Fassung ringen: „Da muss man doch jetzt wirklich mal gegen vorgehen. Auch gerichtlich. Ich dachte, ich krieg´s in Kopp, als ich davon hörte. Das geht doch nicht. Von mir aus können wir da Warnschilder aufstellen oder sonst was. Aber mir sind die Menschen mehr wert als Salamander und Kröte.“ Er sei gewiss nicht gegen Umweltschutz. Man habe in den vergangenen Jahren auch viel getan. Aus Löschteichen seien beispielsweise Biotope geworden. „Aber wir machen dem Tacke seit Jahren nun das Weihnachtsgeschäft kaputt. Der lebt davon, aber es kommt ja keiner hin. Kückelhaus kann kein Futter bekommen, Roderich keine Feriengäste. Vom Eickhoff gar nicht zu sprechen. Es kann doch nicht sein, dass wir die Menschen von der Karre fallen lassen für ein paar Salamander“, ereiferte sich Schlieck. Er sprach das aus, was offenbar alle dachten. „Wir bürokratisieren uns zu Tode. Wem soll man das noch erklären“, fragte Philipp Olschewski (CDU). „Man kriegt ja gar nichts mehr hin. Selbst für das kleinste Problem gibt es keine Lösung, weil uns die Hände gebunden werden. Da kannste eher für ’nen Salamander ’ne Brücke bauen als für den Menschen eine Straße. Wem will man das noch erklären“, sagte André Gütting (SPD).

Kommentar: Wo ist der gesunde Menschenverstand?
Es gibt Momente, da schlägt der gesunde Menschenverstand Alarm. Am Kreinberg ist dieser Punkt nun überschritten. Vier Jahre nach der Flutkatastrophe, die Straßen zerstörte und Existenzen gefährdete, steht nun fest: Bevor die Zufahrtsstraße endlich instand gesetzt werden kann, muss eine Artenschutzprüfung erfolgen. Grund ist der Fund von Feuersalamandern. Ein Jahr lang soll nun deren Wanderung beobachtet werden. Erst dann darf – vielleicht – die Planung der Straße beginnen. Vom ersten Bagger noch keine Spur.
Niemand stellt infrage, dass der Artenschutz wichtig ist. Natürlich verdienen Tiere und Lebensräume Respekt und Schutz. Doch was hier geschieht, ist ein Paradebeispiel dafür, warum Menschen das Vertrauen in staatliches Handeln verlieren. Es ist nicht vermittelbar, dass es mehr als vier Jahre gedauert hat, um überhaupt festzustellen, dass ein Gutachten nötig ist. Und es ist nicht akzeptabel, dass weitere Jahre vergehen sollen, während Anwohner, Landwirte und Betriebe weiter auf unzumutbaren Notwegen ausharren – wirtschaftlich ausbluten oder gar ihre Heimat verlassen.
Wer den Staat in solchen Momenten nicht mehr als Helfer, sondern als Bremser erlebt, verliert den Glauben an ihn. Politikverdrossenheit wächst nicht in Parolen – sie wächst in genau solchen Situationen, in denen Bürokratie menschliche Schicksale ignoriert. Und Radikalisierung beginnt dort, wo Menschen sich im Stich gelassen fühlen.
Der Märkische Kreis, die Naturschutzbehörde, die Politik vor Ort: Alle Beteiligten sind jetzt in der Pflicht, nicht nur nach Paragrafen zu handeln, sondern Verantwortung für die Menschen zu übernehmen. Artenschutz darf nicht zum Feigenblatt werden, hinter dem sich Behörden verschanzen, während eine Region langsam stirbt.
Es braucht endlich Tempo, Augenmaß und vor allem eines: gesunden Menschenverstand.