Die einen finden es falsch, die anderen sehen auch einen Nutzen. Für die meisten Befragten liegt die Wahrheit wohl dazwischen. Bürgermeisterin Birgit Tupat sieht beispielsweise durchaus eine Berechtigung von Cannabis im Bereich der Schmerztherapie. „Ich habe Bekannte, denen das geholfen hat“, erklärt sie. Sicherlich beuge eine solche Legalisierung auch dem Schwarzmarkt vor. Allerdings sehe sie die allgemeine Legalisierung eher kritisch: „Cannabis ist eben auch ein Rauschmittel. Die Wirkung wird so bagatellisiert. Natürlich ist ein offener Austausch über Konsum und Wirkung sinnvoll und gut. Aber es führt auch dazu, dass der Einstieg selbstverständlicher wird. Hemmschwellen, die der eine oder andere durch das Verbot noch hatte, werden abgebaut.“ So sieht es auch Gerd Schröder, Fraktionsvorsitzender der SPD: „Ich habe da meine Zweifel. In Kalifornien ist es schon lange im medizinischen Bereich legal. Das halte ich für sinnvoll. Aber rein für den Rauschkonsum halte ich das nicht für sinnvoll und solche Clubs für nicht erforderlich. Ich würde so einem Club nicht beitreten.“ Ob das Ziel erreicht werde, Cannabis so von der Straße zu holen, bezweifle er.
„Cannabis macht viel kaputt. Andererseits ist der Konsum so vielleicht mehr unter Kontrolle“, sagt Petra Triches, Fraktionsvorsitzende der UWG. Grundsätzlich sei sie der Meinung, dass jeder, der Cannabis konsumieren möchte, es auch bekommt – ob legal oder nicht. Insofern sei das Thema nicht wegzudiskutieren. „Eigentlich wollen wir die Menschen davon fernhalten. Es ist nicht gesund. Aber wenn es erlaubt ist, dann ist das so“, sagt sie. Komplett dagegen sind Aykut Aggül (fraktionslos) und Philipp Olschewski (CDU). „Wir lehnen die geplante Cannabis-Ausgabestelle entschieden ab. Statt Drogenkonsum zu erleichtern, sollten wir in Prävention und Aufklärung investieren“, betonte Olschewski. Die Legalisierung verharmlose die Risiken des Drogenkonsums und setze falsche Anreize – besonders für Jugendliche. „Wir hoffen sehr, dass die zukünftige Bundesregierung diese unverantwortliche Entscheidung wieder rückgängig macht“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende.
„Die Cannabis-Freigabe oder einen Cannabis-Social-Club in Nachrodt-Wiblingwerde zu haben, ist das Gegenteil von Suchtprävention. Die schweren Folgen daraus werden wir vor Ort in der Kommune tragen und spüren“, meint Aykut Aggül. Die Gesundheit der Bürger, insbesondere der Kinder und Jugendlichen müsse an erster Stelle stehen. Aggül: „Das Gesetz zur Freigabe von Cannabis ist meiner Meinung nach unzureichend und einseitig formuliert. Cannabis-Social-Clubs werden junge Menschen nicht von Drogen fernhalten, sondern führen sie an den Konsum heran.“
Matthias Lohmann (fraktionslos) findet die deutlichsten Worte: „Kiffen ist ein Thema und es soll mir keiner sagen, dass das keine Einstiegsdroge ist.“ Er sei seit 26 Jahren Lehrer und ist Leiter einer Berufsschule, die jeden Tag rund 2000 Schüler besuchen. „Außer an Karneval hatte ich noch keine alkoholisierten Schüler. Aber wir haben ständig zugekiffte Schüler“, berichtet er. Die Legalisierung von Cannabis sei eine der vielen Fehlentscheidungen der derzeigen Regierung. „Aber wir müssen uns jetzt der Politik von Herrn Lauterbach beugen. Rat und Verwaltung können die Gesetzgebung ja nicht aushebeln. Der Social Club ist ein legal betriebenes Geschäft“, betont Lohmann. Der Social Club sei also im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten entstanden und mache so sein Geschäft. Das Grundproblem sei somit die Legalisierung als solche.
Gudrun Reinecke-Bartelt, Schulleiterin der Lenneschule, hat noch keine bekifften Schüler im Unterricht erlebt. Dennoch ist sie kritisch: „Die Legalisierung und solche Clubs sind nicht gut. Da werden Tür und Tor geöffnet.“ Es sei nun ein Leichtes an Cannabis zu kommen. „Die werden ja verführt. Das Problem wird so bagatellisiert. Die Gefahr rückt in den Hintergrund“, sagt die Schulleiterin.
Doch, wie ist eigentlich die Realität? Werden im Umfeld von Ausgabestellen mehr Drogen konsumiert? Gibt es in dem Zusammenhang vielleicht gar mehr Kriminalität. „Das ist definitiv nicht der Fall“, sagt Lukas Borowski, Sprecher der Märkischen Kreispolizeibehörde. Allerdings habe es bisher auch so gut wie keine Berührungspunkte gegeben. „Es gibt also keine großen Erfahrungswerte. Aber weder die Polizeiwachen noch die Kollegen der Kriminalpolizei hatten bisher Probleme in diesem Bereich“, erklärt der Sprecher. Seines Wissens nach ist der Club in Nachrodt auch der erste im Nordkreis überhaupt.
Sebastian Putz, Leiter des Ordnungsamts, muss sich nun erst einmal intensiv einlesen in die Gesetzgebung: „Da hat uns unsere Regierung eine schöne Aufgabe mit auf den Weg gegeben.“ Bisher habe sich die Behörde noch nicht richtig mit dem Thema auseinandergesetzt. „Also mit der Legalisierung von Cannabis natürlich schon und wo das konsumiert werden darf. Aber wir sind so eine kleine Behörde, dass wir uns mit Clubs dieser Art noch nicht beschäftigt haben und die personellen Ressourcen woanders eingesetzt haben. Es betraf uns ja nicht. Das ist dann ab jetzt anders.“ Bisher habe es in der Gemeinde übrigens noch keine Probleme mit Cannabis gegeben.
Drogenberatung: „Die Wahrheit liegt dazwischen“
Ilona Meuser, Geschäftsführerin der Anonymen Drogenberatungsstelle des Märkischen Kreises, stimmt Birgit Tupat, Gerd Schröder und Petra Triches zu. Die Diskussion kann ihrer Meinung nach nicht mit schwarz oder weiß geführt werden, sondern habe einen großen Graubereich. „Die Wahrheit liegt – wie so oft – dazwischen“, sagt die Expertin, die seit 30 Jahren in der Drogenberatung tätig ist. „Cannabis ist seit vielen Jahren in der Mitte der Gesellschaft. Genauso wie Alkohol und Nikotin – nur spricht kaum jemand darüber“, verdeutlicht Meuser den Ausgangspunkt der Problematik. „Wir hoffen, dass mit der Legalisierung eine gewisse Sensibilität für das Thema geschaffen wird und dass wir junge Menschen früher erreichen können.“ Denn es sei einfach wichtig, sich klar zu machen, dass jedes Rauschmittel Gefahren berge. Im Rahmen der Legalisierung seien wichtige Dinge seitens des Gesetzgebers nicht gemacht worden. „Beispielsweise fehle eine deutliche Erhöhung im Budget der Drogenhilfe für Prävention. Aber es wird zu wenig aufgeklärt. Es gibt zwar Informationsmaterial, aber Jugendliche lesen das nicht“, erklärt Meuser die Problematik.
Durch die Legalisierung werde das Thema enttabuisiert. Sucht-Abhängigkeit sei immer mit Scham besetzt. Natürlich sei nicht jeder Konsument abhängig. Aber Sucht sei eine komplexe Erkrankung, da spielten verschiedene Komponenten eine Rolle, wie beispielsweise das soziale Umfeld und persönliche Erfahrungen. „Konsum an sich ist nicht das Thema. Das Thema ist, wenn Konsum in die Abhängigkeit führt. Unsere Hoffnung ist, dass wir durch die Enttabuisierung die Menschen früher erreichen und sie für einen gesunden Umgang mit Rauschmitteln sensibilisieren. Meuser: „Natürlich ist das, was sie tun, nicht verboten. Aber es birgt Gefahren, das muss man ernst nehmen und darf das durch die Legalisierung nicht wegstreichen.“ Besonders gefährdet seien junge Konsumenten. „Es gilt: Je jünger, desto gefährlicher. Das ist bei Alkohol auch so, da das Gehirn noch nicht richtig entwickelt ist“, erklärt Meuser. Wer Cannabis missbräuchlich nutze, laufe Gefahr unter langfristigen Beeinträchtigungen zu leiden: „Dazu zählen bei Cannabis Konzentrationsschwierigkeiten und Antriebsschwäche. Aber auch eine psychische Erkrankung wie eine Psychose kann in seltenen Fällen entstehen.“
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