Herr Siol, eigentlich hat der Osterhase doch gar nichts mit dem christlichen Auferstehungsfest zu tun – trotzdem ist er heutzutage nicht mehr von Ostern wegzudenken. Wie passen der Osterhase und die Kirche Ihrer Meinung nach zusammen?
Pfarrer Michael Siol: Die Kirche ist immer auf der Höhe der Zeit. Kirche findet immer da statt, wo die Menschen sind, mit dem, was die Menschen auch bewegt. Von daher ist die Kirche nicht grundsätzlich gegen Dinge, die nicht ursprünglich aus der Bibel stammen. Das Bild vom Hasen und den Eiern, das neue Leben, das im Frühling aufblüht, passt wunderbar zu der christlichen Auferstehungsbotschaft, bei der auch neues Leben aus dem Grab hervorgeht. Also: Das passt schon.
Sie sind also nicht sauer auf den Osterhasen?
In keinster Weise. (lacht).
Aber drängen Osterbräuche wie diese nicht die Bedeutung der christlichen Feiertage, also die Auferstehung Jesu, eher in den Hintergrund?
Die Bräuche sorgen auch dafür, dass Ostern nach wie vor als großes Fest wahrgenommen wird. Und das freut mich. Wenn ich das mit anderen christlichen Festen wie Weihnachten vergleiche, wird eine besondere Aufmerksamkeit auf das Fest gelenkt, beispielsweise dadurch, dass, ähnlich wie der Schoko-Nikolaus, auch Schoko-Eier in den Supermärkten zu finden sind. Ich sehe das auch als Chance, im Gegensatz zu Himmelfahrt oder Pfingsten, wo es diese Aufmerksamkeit eben nicht gibt.
Apropos Schoko-Eier: Wie stehen Sie persönlich zu dem Konsum an Ostern, der immer mehr an Bedeutung zu gewinnen scheint?
Ich sehe es so ähnlich wie Weihnachten. Unsere Kinder bekommen Schoko-Ostereier, genauso wie sie an Weihnachten Schoko-Weihnachtsmänner bekommen. Schön finde ich es, wenn man es schafft, den Link hinzukriegen. Es gibt zum Beispiel diese Feinheit, dass man Schoko-Nikoläuse anstatt Schoko-Weihnachtsmänner verteilt, um auf die Bedeutung des Nikolaus hinzuweisen. Ähnlich ist es an Ostern auch. Vieles, was wir an Symbolen mit dem Fest verbinden, weist auf die ursprüngliche Bedeutung von Ostern und Karfreitag hin – wie zum Beispiel das Kreuz oder Engel, die als Glaubenssymbole weit verbreitet sind.
Viele verbinden die Feiertage mit arbeitsfreien Tagen, ausschlafen und Beine hoch. Wie versuchen Sie als Pfarrer Menschen den Glauben während der Osterzeit, Stichwort Gottesdienste, näher zu bringen?
Wir haben sehr unterschiedliche Gottesdienste, weil die Menschen sehr unterschiedlich sind. Wir versuchen eben, für jeden etwas Passendes zu finden. Wir haben dieses Jahr den Familiengottesdienst, der normalerweise am Ostersonntag um 11 Uhr war, um eine Woche vorgezogen, damit dieser nicht in den Osterferien liegt, wo viele Familien im Urlaub sind oder ihren Ostersonntag anders verplant haben – und das war ein voller Erfolg! Am letzten Sonntag waren 130 Leute in der Hülscheider Kirche, darunter um die 40 Kinder. Als wir den Gottesdienst am Ostersonntag gemacht hatten, waren in der vergangen Jahren kaum Familien da. Bei solchen Angeboten versuchen wir natürlich, auf die Menschen zuzugehen und es entsprechend zu gestalten. Vor der Realität darf man die Augen nicht verschließen.
Dazu kommen die klassischen Gottesdiensten, wie zu Karfreitag oder am Ostersonntag. Und regionale Traditionen, wie die Osternacht in Hülscheid am Karsamstag um 21 Uhr. Das ist ein sehr stimmungsvoller Gottesdienst, der in einer komplett dunklen Kirche beginnt. Stück für Stück wird die Kirche durch Kerzen immer heller, um sich daran zu erinnern, dass durch Jesus neues Licht und Wärme in die Welt kommt. Das wird an diesem Tag erlebbar . Am Ostermontag feiern wir den Gottesdienst immer im Feuerwehrgerätehaus in Winkeln – auch ein Zeichen, dass Kirche nicht nur hinter ihren Mauern bleibt.
Warum ist es so wichtig, Ostern jedes Jahr aufs Neue zu feiern?
Eigentlich feiern wir Christen jeden Sonntag Ostern. Jeder Sonntagsgottesdienst ist ein kleiner Abglanz des Osterfestes. Deswegen ist der Sonntagsgottesdienst auf den Wochentag der Auferstehung gelegt – und daran können wir uns nicht oft genug erinnern. Im Grunde können wir jeden Tag für das Leben danken, das Gott schenkt. Und einmal im Jahr machen wir das im Besonderen, eben zu Ostern. Das ist ein angenehmer Rhythmus, damit es etwas besonderes bleibt – wie der eigene Geburtstag.
Wie wichtig ist das Osterfest für Gläubige in Zeiten von Krisen und Kriegen?
In der christlichen Botschaft rund um die Ostertage steckt die komplette Höhe und Tiefe eines Menschenlebens drin: Von Qual, Verrat durch beste Freunde aber auch Feiern, bis hin zum Tod, massivste Ungerechtigkeit, das Gefühl, von Gott verlassen zu sein – und dann die Botschaft, dass der Tod und alles, was wir in dieser Welt als Grenze erleben, bei Gott nicht das Letzte ist. Egal wie groß eine Freude in dieser Welt ist, Gott ist immer noch größer. Egal wie groß das Leid in dieser Welt ist, Gott ist immer noch größer.
Das ist unsere Botschaft und die passt – leider – in unsere Zeit besonders hinein. Diese Botschaft hat auch schon andere Zeiten und andere Generationen begleitet. Es hat in der Menschheitsgeschichte immer wieder dunkle Zeiten gegeben, aus meiner Sicht auch dunklere als die heutige. Karfreitag nimmt diese oft schreckliche Wirklichkeit der Welt wahr und Ostern gibt eine Hoffnung darüber hinaus: Der Tod hat nicht das letzte Wort!
Ostern ist also ein „Hoffnungsschimmer“ für diejenigen, die durch schwierige Zeiten gehen?
Definitiv. Es ist auch eine ehrliche Betrachtung, weil die Ostergeschichte – genau wie auch die Weihnachtsgeschichte – nicht nur Freude , sondern auch Leid enthält. So darf man auch in jeden Gottesdienst seine ganze Lebensgeschichte mitbringen und gerade auch das, was einem Sorgen macht. Seien es die Sorgen um die große Welt oder die Sorgen im eigenen Leben. Diese Sorgen darf man zu Gott tragen, mit dem Wissen, dass Gott da ist und auch durch die Tiefen mitgeht.
Mal eine persönliche Frage: Wie gestaltet eigentlich ein Pfarrer das Osterfest?
Ich persönlich kann von mir sagen, dass ich versuche, eine Balance hinzubekommen zwischen den Gottesdiensten einerseits, die ich wirklich von Herzen gerne feiere und mich auf die ganze Bandbreite der vielen so unterschiedlichen Gottesdienste freue. Und dem Familienleben andererseits. Die Kinder suchen am Ostersonntagmorgen die Süßigkeiten im Garten. Am Nachmittag feiern wir mit Verwandten zusammen – aber auf eine eher unspektakuläre Weise. Am Karfreitag lassen wir es ruhig zugehen. Da läuft keine Waschmaschine , kein Rasenmäher, und auch in den Kinderzimmern keine laute Musik. Ich denke es tut uns allen gut, ab und an von besonderen Festtagen aus dem Alltagstrott heraus daran erinnert zu werden, dass es wichtigeres gibt.
Abschließend, welche Botschaft möchten Sie den Schalksmühlern in dieser Osterzeit mit auf den Weg geben?
Aktuell bin ich besorgt, weil sich Gesellschaften so leicht spalten lassen, wie wir es dieses Jahr zum Beispiel im US-Präsidentschaftswahlkampf aus der Entfernung mitbekommen, aber es vor kurzem bei der Impfdebatte auch bei uns selbst erlebt haben. Grundwerte und der Respekt vor dem anderen Menschen bleiben dabei immer öfter auf der Strecke. Wenn ich mir Jesus angucke: Der hatte bei sich am Tisch sogar Platz für den, der ihn später verraten hat. Sein Leben lang hat er mit Leuten diskutiert, die anderer Meinung waren als er selbst, ohne zu sagen „die müssen weg“.
Ich wünsche mir, dass wir es schaffen von dieser Osterbotschaft etwas in unsere Zeit zu tragen. Setzt euch mit echten Menschen an einen Tisch, auch mit denen, die eine andere Meinung, einen anderen Glauben haben, als ihr selbst. Wir sind eine Menschheitsfamilie. Wichtig ist, dass wir miteinander reden. Das Internet und die sozialen Medien machen es so unendlich einfach, immer mehr und immer radikalere Argumente für die je eigene Meinung zu sammeln. Das spaltet uns aber nur weiter. Deshalb ist meine Osterbotschaft 2024: Macht‘s wie Jesus. Geht zu den Menschen in eurem persönlichen Umfeld. Hört ihnen zu, was sie bewegt. Lasst euch von dem bewegen, was ihr hört. Und sagt den Menschen, was euch wichtig ist. Ich habe vorhin von Freude und Leid gesprochen, die beide zum Leben dazu gehören. In beidem ist es so wichtig, dass Menschen da sind, mit denen wir es teilen können. Lasst uns einander solche Menschen sein.
Vielen Dank für das Gespräch.