„Wer sind die Menschen mit den gelben Westen, die an einer langen Leine hinter einem Hund herlaufen?“ Diese Frage mag sich so mancher Halveraner stellen, wenn er Anja Milk und ihre Trainingsgruppen durch den Park oder die Stadt laufen sieht.
Mantrailing – so nennt sich diese Art von Hundesport, die Leben retten kann. Frei übersetzt heißt das so viel wie „Menschenspur“ – und beschreibt damit schon ziemlich genau, was die Hunde tun. Kurz gesagt: Sie suchen Menschen. Fertig ausgebildet kann ein Mantrailer zum Beispiel einen Bewohner eines Seniorenheims, der den Weg zurück nicht mehr gefunden hat, aufspüren. Aber auch ein Kind, das sich im Wald verlaufen hat oder ein Jogger, der beim Sport gestürzt ist und sich in seiner Lage nicht mehr bemerkbar machen kann, sind solche „Suchobjekte.“ Immer häufiger werden dann die Mantrailer – und vor allem ihre Hunde – zu Helden, weil sie die vermisste Person gefunden haben.
Seit 2018 Ausbilderin
Anja Milk bildet solche Such-Teams aus. Sie hat 2018 eine Ausbildung zum Mantrailer gemacht und sich 2019 mit ihrer Schule „Suchhundeausbildung Anja Milk“ selbstständig gemacht. Neben dem Mantrailing kann sie auch Hunde in der sogenannten Geruchsdifferenz ausbilden. „Das ist das, was man zum Beispiel von Drogen- oder Sprengstoffsuchhunden kennt. Sie sind auf einen Geruch konditioniert und können Gegenstände, die vergleichbar riechen, dann aufspüren“, erklärt sie dieses Prinzip.

Beim Mantrailing bekommen die Hunde eine Geruchsprobe der zu suchenden Person. Das kann ein Taschentuch, ein Kleidungsstück oder auch nur ein Schlüssel sein, den diese Person kurz vor ihrem Verschwinden berührt hat. „Ein einmaliges, kurzes Riechen reicht den Hunden, Geruchspartikel der zu suchenden Person aufzunehmen. Im Gegensatz zum Menschen, der rund fünf Millionen Riechzellen besitzt, haben Hunde – je nach Rasse – 125 bis 220 Millionen Riechzellen“, beschreibt Anja Milk den großen Vorteil, den Hunde den Menschen gegenüber haben. „Wenn der Mensch sich bewegt, verteilt er eine Duftspur mit seinen individuellen Merkmalen. Dieser Spur kann der Hund – je nach Wetterlage – auch nach zwei oder Tagen noch folgen.
Dieses Talent der Hunde wird auch von Polizei und Rettungsdiensten gern genutzt. Hauptkommissar Nils Haböck, Leiter der Halveraner Polizeidienststelle, hat Anja Milk durch Zufall einmal bei ihrem Training beobachtet. Er hat gleich nachgefragt, welche Ausbildung sie da gerade mit den Hunden macht. „Sie erzählte mir, dass sie auch auf dem Gelände und in den Gebäuden der Halveraner Seniorenzentren Bethanien und Waldfrieden ausbildet, die Hunde und ihre Hundeführer sich dort also inzwischen sehr gut auskennen“, berichtet er vom Beginn der Zusammenarbeit der Halveraner Polizei mit der Suchhundegruppe.
Polizei nimmt Anja Milk ins polizeiliche Einsatzsystem auf
„Natürlich ist es schwierig, eine Privatperson in den Polizeiapparat zu integrieren“, sagt er weiter, aber nach einer gründlichen Überprüfung wurde Anja Milk ins polizeiliche Einsatzsystem aufgenommen. Natürlich hat die Polizei auch ihre eigenen Hundestaffeln, aber für Nils Haböck war ausschlaggebend, dass Anja Milk und ihre Teams im Ernstfall einen kurzen und schnellen Weg zum Einsatzort haben. „Sie kennen hier auch die kleinen Wälder, Bäche oder Abhänge, wo jemand stürzen könnte. Und je eher wir eine vermisste Person finden, um so besser ist es.“ Für den Hauptkommissar wäre es kontraproduktiv, erst auf die Hundestaffel der Polizei warten zu müssen. „Bisher hatten wir noch keinen Einsatz mit den Hunden von Anja Milk, aber das ist gut so. Ich bin immer froh, wenn wir keine Vermissten haben. Wenn dieser Fall aber doch einmal eintreten sollte, haben wir jetzt mit Frau Milk ein gutes Einsatzmittel an der Hand“, freut er sich.
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Im Prinzip können Hunde jeder Rasse als Mantrailer ausgebildet werden. „Aber dabei sollte auf jeden Fall der Tierschutz beachtet werden. Rassen, die zuchtbedingt schon schlecht Luft bekommen, wie Möpse oder Französische Bulldoggen, sollten besser auf diese Nasenarbeit verzichten, denn sie ist für den Hund sehr anstrengend“, warnt Anja Milk. „Solche Rassen würde ich auch nicht in meine Ausbildung nehmen. Mantrailing ist für die Hunde ein Hochleistungssport, auch wenn es für den Laien nicht so aussieht“
Diese Beschäftigung lastet die Hunde auf jeden Fall aus. „Von vielen meiner Teilnehmer höre ich später, dass der Hund nach einer Viertelstunde Suchen später den ganzen Nachmittag verschlafen hat“, erzählt die Trainerin. „Das bedeutet für den Hundeführer im Endeffekt aber auch, dass er zu Hause dann einen entspannten und ausgelasteten Hund hat. Und die Bindung zwischen Mensch und Hund ist wieder ein Stück enger geworden, denn der Hundeführer muss „lesen“ können, was sein Hund ihm anzeigt, daraus die richtigen Schlüsse ziehen und reagieren. Mantrailing funktioniert nur als Team!“
Auch Angsthunde profitieren
Auch sogenannte Angsthunde profitieren von der Arbeit als Mantrailer. „Wenn sie verstanden haben, dass sie einer bestimmten Spur folgen sollen, fokussieren sie sich komplett darauf. Dann blenden sie auch das vorbeifahrende Fahrrad oder andere Hunde vollkommen aus. Diese Erfahrungen, dass ihnen in solchen Situationen nichts passiert, können sie dann auch in ihrem Alltag wieder abrufen und weniger ängstlich auf diese Reize reagieren.“

Anfangen können die Hunde diesen Sport in jedem Alter. Welpen sollten sich allerdings erst einmal im neuen Zuhause gründlich eingelebt haben. Mit circa 15 Wochen können sie dann schon mit dem Training – natürlich erst mal mit ganz kurzen Stücken – beginnen. „Das Schöne ist, dass die Hunde das Mantrailing auch bis ins hohe Alter praktizieren können und somit vom Welpen bis zum Senior eine Aufgabe haben. Denn die Nase ist beim Hund der erste Sinn der funktioniert und der letzte Sinn, der bis zum Tode arbeitet“, bestätigt Anja Milk.