Das Gespräch beginnt auf dem Flur – mit einer Entschuldigung. „Sorry“, sagt Sebastian Wagemeyer, ehe er Ilyas Gerzen und seine Mutter Valentina begrüßt und in sein Büro bittet. „Ich hatte noch einen wichtigen Anruf in einer dringenden Angelegenheit. Das hat leider länger gedauert.“ Für den jungen Besucher aus Köln ist die rund 15-minütige Verzögerung kein Problem. Er weiß, dass der Terminkalender eines Bürgermeisters in der Regel voll und dicht getaktet ist. Dass wichtige Themen spontan dazwischenkommen können, ist ihm auch bewusst.
Das hat ihm erst wenige Tage zuvor auch Andreas Wolter erklärt. Der ist als Bürgermeister einer von insgesamt vier Stellvertretern der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rekers. Eine gute Stunde lang unterhielt sich Wolter mit Ilyas Gerzen. Für den Zwölfjährigen war es der zweite Besuch in der Schaltzentrale einer Kommune. Ohne die Corona-Pandemie wären es mehr geworden, sagt Ilyas Gerzen jetzt, der auch schon eine Führung durch das Bundeskanzleramt mitgemacht hat.

An den ersten Besuch bei einem Bürgermeister kann er sich übrigens noch gut erinnern: Vor fast auf den Tag genau 50 Monaten, im Alter von sieben Jahren, ließ er sich vom damaligen Bürgermeister Dieter Dzewas erklären, was ein Verwaltungschef zu tun hat.
Jetzt ist er in seine Geburtsstadt zurückgekehrt. Weil er erfahren möchte, was seitdem passiert ist in Lüdenscheid. Und wie Dzewas´ Nachfolger die vielen Herausforderungen bewältigt. Davon gebe es jede Menge, sagt Wagemeyer. Und zählt auf: Corona, die Hochwasser-Katastrophe im Sommer 2021, der Krieg in der Ukraine, die Unterbringung von Flüchtlingen. Und natürlich das seit fast zwei Jahren anhaltende Dauerthema: die Vollsperrung der A45 und der Neubau der Talbrücke Rahmede.

„Seitdem ich im Amt bin, muss ich mit einer Krise nach der anderen umgehen“, seufzt Wagemeyer und lächelt. Ob ihm der Job trotzdem Spaß mache? Ja, sagt der Bürgermeister. Und wie würde er seine Arbeit beschreiben? „Schön und anstrengend.“ Umso wichtiger sei es für einen Bürgermeister, „ein funktionierendes Team“ zu haben, denn: „Alleine schaffst du diesen Job nicht“, betont der 47-Jährige.
Ilyas Gerzen nickt. Der Sechstklässler möchte später gestalten, vorneweg gehen und Entscheidungen treffen. So wie sein großes Vorbild Konrad Adenauer, der erst Kölner Oberbürgermeister und schließlich erster Bundeskanzler war. Über den liest der Junge viel. Auch Geschichte und Politik interessieren den jungen Kölner brennend, der sich darüber hinaus lieber Nachrichtensendungen als Filme oder Serien anschaut. Der ernsthaft und bereits sehr reif wirkt. Und forsch zur Sache geht. Kaum hat er am Besprechungstisch in Sebastian Wagemeyers Büro Platz genommen, fragt er: „Sollen wir schon mal mit den Fragen beginnen?“
Das macht er dann auch. In dem rund 45-minütigen Gespräch geht es um die Autobahnbrücke und den Verkehr in Lüdenscheid, um Partnerstädte, das Schulwesen, die Feuerwehr sowie Klima- und Umweltschutz. Und natürlich um die Frage, welche Fähigkeiten ein Bürgermeister haben muss. Sebastian Wagemeyer überlegt kurz. Dann sagt er: „Du musst in der Lage sein, verschiedene Positionen verstehen und verschiedene Interessen ausgleichen zu können. Es gibt viele Menschen und Ideen, und du musst zwischen ihnen vermitteln und Entscheidungen treffen.“ Dafür brauche es „viel emotionale und soziale Intelligenz“.
Abschließend zeigt Sebastian Wagemeyer seinem jungen Besucher den Ratssaal. Erklärt ihm, wie sich der Rat der Stadt zusammensetzt und welche Aufgaben das Gremium übernimmt. Und lässt ihn auf dem Stuhl Platz nehmen, auf dem der Bürgermeister sitzt und Sitzungen leitet. Ilyas Gerzen grinst erst vorsichtig. Dann strahlt der Zwölfjährige über das ganze Gesicht und schaut in das leere Rund. „Hier möchte ich auch mal sitzen und entscheiden“, sagt er.
Bis dahin ist es zwar noch ein langer Weg für den Kölner. Aber, das hat er kurz zuvor verraten, einen ersten womöglich wichtigen Zwischenschritt hat er bereits hinter sich: Vor wenigen Wochen ist er zum Klassensprecher gewählt worden. Damit hat er seine erste verantwortungsvolle Position inne.