Die Sondersynode des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg hat bei ihrer Tagung am 2. September eine heikle Mission abgeschlossen. Mit großer Mehrheit stimmte sie dem Beschlussvorschlag des Kreissynodalvorstandes zu, verbindliche regionale Kooperationsräume zu schaffen, um so auf den Pfarrermangel zu reagieren. Dies teilt der evangelische Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg in einer Pressemitteilung mit.
Gleichzeitig schlossen sich die Synodalen damit den von der Landeskirche entwickelten Pfarrstellenkorridor-Zahlen an, die eine möglichst gerechte flächendeckende Versorgung mit Pfarrerinnen und Pfarrern gewährleisten sollen, heißt es weiter.
Abkehr vom Sonderweg
Der neue Kurs sei für viele überraschend gekommen. Ursprünglich habe nach einem älteren
Beschlussvorschlag bei der Leitung der Ev. Kirche von Westfalen beantragt werden sollen, den Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg als Pilotprojekt „Alternative Strategien im Ländlichen Raum“ einzurichten und entsprechend zu fördern. Von diesem Sonderweg habe sich Superintendent Dr. Christof Grote verabschiedet, nachdem er vor wenigen Wochen zusammen mit Vertreter des Kreissynodalvorstandes ein ausführliches Gespräch mit der Leitung der Landeskirche geführt hatte.
Während der Tagung in Meinerzhagen habe er den Synodalen vorgeschlagen, diesen und einen weiteren Beschlussvorschlag zurückzuziehen und durch drei neue zu ersetzen. Sie lauten im Wortlaut:
1.Die Gemeinden des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg bilden – unter
Berücksichtigung der voraussichtlich zu erwartenden Gemeindeglieder- und
Pfarrstellenzahlen (2030 bei 60.000 Gemeindegliedern 15 Pfarrstellen, 2035 etwa 11-12
Pfarrstellen) – verbindliche regionale Kooperationsräume. Dabei wird auch das
Miteinander von Pfarrstellen und IPPT-Stellen bedacht. Für die Entscheidungsfindung
kann Unterstützung durch den Kirchenkreis und externe Moderation in Anspruch
genommen werden. Wenn bis zum 30. Juni 2023 keine Zuordnung erfolgt ist, entscheidet der
Kreissynodalvorstand nach Anhörung der betroffenen Gemeinden.
2. Die Kreissynode des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg bittet die Kirchenleitung,
ihre Werbung für kirchliche Berufe zu intensivieren, weitere Anreize für solche Tätigkeiten
zu schaffen und auch weiteren Möglichkeiten für den Zugang zum Pfarramt und zu IPPT-Stellen
(z.B. AbsolventInnen von Bibelschulen) zu eröffnen.
3. Die Kreissynode des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg bittet die Kirchenleitung,
für den regelmäßigen Erfahrungsaustausch zu Umsetzung und Entwicklung im
Personalbereich und für die Beratung weiterführender Ideen in der EKvW Sorge zu tragen
Die Synodalen des Ev. Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg hatten sich vor der Sondersynode in Meinerzhagen bei mehreren Tagungen kritisch mit dem von der Landeskirche beschlossenen Modell auseinandergesetzt. Bei der Synode im Mai dieses Jahres hatte Pfarrer Martin Pogorzelski als Vorsitzender des Perspektiv- und Strukturausschusses deutlich gemacht, welche Konsequenzen dieses Modell für die einzelnen Gemeinden des heimischen Kirchenkreises haben würde. Daraufhin war die Sondersynode einberufen worden, dessen Ziel der Beschluss zu einem Antrag an die Kirchenleitung sein sollte.
Pogorzelski: „Auf kleinstädtische Wirklichkeit Rücksicht nehmen“
Pogorzelski fasste die Überlegungen zusammen: „In den nächsten neun Jahren gehen von 33 Pfarrerinnen und Pfarrern 23 in den Ruhestand. Das habe ich auf der letzten Synode ausführlich dargelegt. Wenn ab 2031 scharf mit 12 Pfarrstellen kalkuliert würde, dann könnten wir im ganzen Kirchenkreis noch 2 Pfarrstellen besetzen.“ Idee des Antrages an die Kirchenleitung sei es gewesen, nicht nur scharf zu kalkulieren, sondern auch auf die kleinstädtische Wirklichkeit des Kirchenkreises Rücksicht zu nehmen. So könnte mit etwa 15 Pfarrstellen gewährleistet werden, „dass möglichst lange funktionierende presbyteriale Strukturen und Gesichter in den Orten bleiben.“
Verhältnis bis 2040 „radikal verschoben“
Letztlich habe sich der Kirchenkreis der Macht der Fakten beugen müssen. Oberkirchenrätin Katrin
Göckenjan Wessels stellte bei der Tagung in Meinerzhagen Prognosen und Szenarien der Pfarrdienstentwicklung bis 2040 vor. Sie war mit Dr. Hans Conring (juristisches Dezernat der
Landeskirche) und Ulf Schlüter (Theologischer Vizepräsident der Landeskirche) angereist. Demnach sei die Pfarrdienstentwicklung bis 2040 dramatisch. In diesem Jahr zählt die Ev. Kirche von Westfalen noch 2,055 Millionen Gemeindeglieder und 1503 Pfarrpersonen. Auf eine Pfarrstelle kämen zurzeit 2080 Gemeindeglieder. Bis 2040 werde sich das Verhältnis radikal verschoben haben. Laut Prognose gehörten dann noch rund 1,44 Millionen Menschen der evangelischen Kirche an. Die Zahl der besetzten Pfarrstellen der Pfarrpersonen werde sich auf 523 verringert haben. Das Ergebnis: Auf eine Pfarrstelle kämen dann 4915 Gemeindeglieder.
„Wir sind alle verbunden, auch im Erschrecken über diese Zahlen“, sagte Superintendent Dr. Christof Grote bei der Tagung in Meinerzhagen. Das zunächst angedachte Modell eines Pilotprojektes für den heimischen Kirchenkreis mache keinen Sinn, da dadurch nicht mehr Pfarrpersonen zur Verfügung stünden. „Wir sollten uns jetzt schnell auf Veränderungen einstellen“, forderte er. Jetzt gelte es, die Aufgaben und Herausforderungen anzunehmen und alle Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen.
Dickel: „Das führt zum Burnout“
Christoph Dickel, Pfarrer aus Halver, sorgt sich indes um die jungen Kollegen. Die Perspektive, in zehn
Jahren für 5000 Gemeindeglieder zuständig zu sein, führe zum Burnout. Das sei eine völlige
Überforderung, da auch ständig die Angst mitschwinge, von Verwaltungs- und Gremienarbeit
aufgefressen zu werden.
„Kooperation tut nicht weh“, erklärte in der Aussprache Ralf Ziomkowski. Er hat am Zusammengehen der drei Gemeinden Hülscheid-Heedfeld, Oberrahmede und Rahmede mitgewirkt. „Ein toller Prozess“, stellte er fest. Allerdings stehe er zur Kritik, dass sich alle Beteiligten von der Landeskirche alleingelassen gefühlt hätten. Er erwarte hier mehr Mitgefühl und vor allem praktische Unterstützung.
Reyher: Strukturreform am „Haupt der Landeskirche“
Hermann Reyher, Synodaler aus Kierspe, übte heftige Kritik. Er forderte eine Strukturreform am
„Haupt der Landeskirche“. „Es gibt zu viele Stellen für Sonderaufgaben und zu wenige für die
Gemeinden.“ Oberkirchenrätin Katrin Göckenjan-Wessels räumte ein, dass die Landeskirche erst recht spät, nämlich im Jahr 2009, mit systematischer Nachwuchswerbung begonnen habe.