Geschichtsunterricht zum Anfassen: Kurz vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar gab Riccardo Laubinger einen Einblick in seine bewegte Familiengeschichte.
Nahezu ehrfürchtige Stille herrschte am Dienstag, 21. Januar, in der Aula der Humboldtschule. Zu Gast war Riccardo-Lenzi Laubinger, Gründer und Vorsitzender der Sinti-Union Hessen. Im Gepäck hatte er nicht nur sein Buch „Und eisig weht der kalte Wind“, sondern auch die Geschichte seiner Familie – und eine wichtige Botschaft für die Schüler des neunten und zehnten Jahrgangs der Humboldtschule und des benachbarten Anne-Frank-Gymnasiums.
„Geschichte, an die wir uns erinnern müssen“
„Mir ist wichtig, dass ihr Schüler erfahrt, was damals wirklich passiert ist“, eröffnete Laubinger seinen knapp zweistündigen Vortrag. Seine Familie stammt aus Halver, war dort „hoch angesehen“, wie er erklärt – und dann begann der Zweite Weltkrieg.
„Mein Onkel wurde an die Front versetzt, und ein Dorfpolizist wollte sich einen Orden verdienen“, fasst Riccardo-Lenzi Laubinger den Beginn einer tragischen Familiengeschichte zusammen. Die Familie seines Onkels blieb in Halver zurück, ein Polizist sorgte dafür, dass zwei Cousinen und ein Cousin von Riccardo Laubinger nach Auschwitz deportiert wurden.
Auch Laubingers Mutter Bertha „Sichla“ Weiss wurde mit vierzehn Jahren in verschiedene Konzentrationslager in Polen verschleppt. Nach insgesamt 59 Monaten befreiten die Alliierten die damals 20-Jährige – als einzige Überlebende ihrer Familie.
Riccardo Laubinger erzählt die Geschichte seiner Familie lebhaft, auf der Leinwand hinter ihm sind Fotos zu sehen – von seiner Mutter, seinen ermordeten Cousinen, Cousins, Onkel und seinem Großvater. Die Schüler hörten aufmerksam zu, die Stimmung in der Aula war spürbar nachdenklich.
Diskriminierung endete nicht mit dem Krieg
Die Familie erfuhr auch nach Kriegsende noch Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt: So verboten seine Eltern Riccardo Laubinger, in der Schule von seiner Abstammung zu erzählen, damit sie „nicht erneut erfasst werden.“ Ein Lehrer zwang ihn trotzdem dazu, alleine zu sitzen, warnte die Mitschüler vor dem Umgang mit ihm und verprügelte den damals sechsjährigen Jungen auf brutalste Weise.
Und auch heute, so Laubinger, hat der Rassismus im Alltag noch kein Ende gefunden: Immer wieder kommt es zu Vorfällen wie Morddrohungen über das Internet; seiner Verwandtschaft wurde der Aufenthalt auf einem Campingplatz untersagt – mit der Begründung, dass „Zigeuner dort nicht erwünscht“ seien.
„Die Geschichte darf sich nicht wiederholen“
Vor der abschließenden Fragerunde richtete Laubinger einen deutlichen Appell an die Schüler: „Ihr seid unsere Zukunft. Geht wählen, und wählt gegen Rechts. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen.“ Auf der Leinwand hinter ihm unterstreicht ein Zitat von Max Mannheimer die Aufforderung: „Ihr seid nicht für das verantwortlich, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“
Am Ende der Veranstaltung konnten die Schüler dann noch ihre Gedanken und Fragen loswerden – ob Laubinger Narben zurückbehalten habe? Ja, sagte er, und beschreibt dabei mit der Hand eine große Fläche seines Unterarms. Ob er noch Menschen in Halver kenne? – Ja, in Halver liegen seine Wurzeln, wie er betonte. Und wie er das alles durchgestanden habe? – „Ohne die Unterstützung von meiner Frau und meinen Kindern hätte ich schon lange aufgegeben.“
Offensichtlich hatten die Schüler also aufmerksam zugehört. Lediglich die Frage, ob Laubinger Adolf Hitler persönlich getroffen habe, hinterließ Ratlosigkeit und Stille im Saal und die Gewissheit, dass Schulen nach wie vor wichtige Aufklärungsarbeit zu leisten haben.