„Spätestens ab der dritten Generation ziehen viele Unternehmen den Schlussstrich oder verkaufen den Familienbetrieb weiter“, sagt Harald Rutenbeck, geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens Wilhelm Rutenbeck, und hebt die Besonderheit der Schalksmühler Firma hervor.
Schaut man auf die Historie von Rutenbeck, dann ging das traditionelle Unternehmen einen anderen Weg. Über fünf Generationen hinweg konnte die Familie Rutenbeck den Betrieb aufrecht erhalten – und hielt auch in krisengeprägten Zeiten zusammen.

„Der familiäre Zusammenhalt ist sicherlich ein Grund, warum es 150 Jahre funktioniert hat. Wenn man in die Geschichte anderer großen Unternehmen blickt, dann ist die fünfte Generation schon außerordentlich selten“, erzählt Holger Rutenbeck, einer von drei Cousins der fünften Generation, stolz.
Nach den Gründerjahren folgt der Gründerkrach
1873 – das Jahr der Unternehmensgründung und des Gründerkrachs. In diesem Jahr macht sich Wilhelm Rutenbeck, geboren 1845/gestorben 1907, im Oedenthal bei Schalksmühle (heute Lüdenscheid) mit einem kleinen Schmiedebetrieb selbstständig.
Er beginnt mit der Serienherstellung von Hämmern und anderen Werkzeugen. Im gleichen Jahr brechen weltweit die Finanzmärkte ein. Nach der wirtschaftlich erfolgreichen Gründerzeit folgt der Gründerkrach – eine Zeit, die von Unsicherheiten und Existenzängsten geprägt war.

Nach dem Tod des Gründers übernimmt Sohn Gustav Rutenbeck den Schmiedebetrieb im Jahr 1907 – die zweite Generation steigt ein. Gustav Rutenbeck wird zwischen 1910 und 1916 Vater von drei Söhnen: Karl-Wilhelm, Alex und Emil.
Gründung der Chemiefabrik Dr. Franz & Rutenbeck
Während Gustav Rutenbeck unverändert den 1907 übernommenen elterlichen Betrieb führt, schlägt sein Sohn Alex andere Wege ein. Er gründet gemeinsam mit Dr. Hermann Franz die chemische Fabrik Dr. Franz & Rutenbeck. „Historisch gesehen ist die Gründung der Fabrik im Jahr 1935 eines von vielen Meilensteinen im Unternehmen“, sagt Harald Rutenbeck.
Doch es läuft nicht so wie geplant. Dr. Franz scheidet kurz nach der Gründung wieder aus, Alex Rutenbeck verunglückt noch im Gründungsjahr im Unternehmen tödlich. Daraufhin übernimmt der jüngste der drei Rutenbeck-Brüder, Emil, im Alter von gerade einmal knapp 20 Jahren die Führung des noch jungen Unternehmens. Bohnerwachs, Schuhcreme, Zahnpasta und Rasierseife gehören damals zur Produktlinie. Zu Kriegszeiten stellt das Unternehmen unter anderem Schulungsartikel für Luftschutzübungen her.

Während Emil Rutenbeck die chemische Fabrik seit 1935 leitet, steigt Karl-Wilhelm Rutenbeck 1939 in den elterlichen Schmiedebetrieb ein – die dritte Generation entsteht. Er modernisiert das Produktportfolio durch die Herstellung von Press- und Spritzformen für die aufstrebende Kunststoffindustrie. Fünf Jahre später stirbt Karl-Wilhelm Rutenbeck 1944 in Polen. Emil übernimmt nach der Rückkehr aus dem Krieg neben Dr. Franz & Rutenbeck auch die Firma Wilhelm Rutenbeck. Er ist zu diesem Zeitpunkt der einzig verbliebener Sohn von Gustav Rutenbeck.
Einstieg in die Fernmeldetechnik
Zwei Jahre nach dem Krieg, 1947, steigt das Unternehmen in die Fertigung fernmeldetechnischer Produkte ein – ein weiterer Meilenstein für das Unternehmen. „Wir haben die Dinge, die wir machen, zu 95 Prozent selbst entwickelt und entworfen. Dadurch hatten wir einen sehr guten Einstieg in die Fernmeldetechnik, die seiner Zeit noch in Staatshoheit lag“, erklärt Harald Rutenbeck.
Das Unternehmen folgt bei der Entwicklung der Produkte der Telefonleitung vom Telefonmasten in die Wohnung. Zwischen 1947 und 1979 gehören darüber hinaus Ausstattungsteile für die Kfz-Industrie zur Produktpalette: Die Rede ist von Aschenbechern, Armlehnen, Armaturenknöpfe und Fensterheber. Beliefert werden unter anderem Borgward, Opel, Ford und Glas (1966 durch BMW übernommen). Ab 1979 konzentriert sich das Unternehmen ausschließlich auf den immer wichtiger werdenden Bereich der Fernmeldetechnik. Ein Produkt, dass damals als auch heute fast unverändert im Sortiment der Firma Rutenbeck ist, ist die Abspannklemme – das Wachstumsmotor der 60er Jahre. „Es ist nicht oft gesehen, dass man ein Produkt über so viele Jahrzehnte durchgängig im Katalog hat“, schmunzelt Holger Rutenbeck.
Tochterunternehmen in Thüringen gegründet
Mit dem Tod von Emil Rutenbeck im Januar 1979 beginnt die vierte Generation. Seitdem führt Harald Rutenbeck als Sprecher einer zweiköpfigen Gesellschafter-Geschäftsführung, die zunächst von seinem Bruder Gero (gestorben im Jahr 2017), ab 1991 von seinem Bruder Heino ergänzt wird, das Unternehmen. Unter dem Einfluss der vierten Generation hat sich Rutenbeck vom Hersteller fernmeldetechnischer Produkte für die Deutsche Bundespost zum „innovativen Anbieter von Produkten und Systemen der Informations- und Kommunikationstechnik entwickelt“.
Im Jahr nach dem Mauerfall wird das Tochterunternehmen FMT gegründet, das mit Jahresbeginn 1991 in Marksuhl (Thüringen) den Betrieb aufnimmt. „Das war eine spannende Zeit“, erinnert sich Harald Rutenbeck zurück. 2001 wird an einem zweiten Standort im gleichen Ort ein modernes Verwaltungs- und Logistikzentrum fertiggestellt. Fast die gesamte Produktion, sowie die komplette Logistik für Rutenbeck-Produkte haben heute ihren Platz an den beiden Marksuhler Standorten. „Wir sind im Grunde, von der Organisation her, ein Unternehmen. Keiner kann ohne den anderen. Wir sind eine Einheit“, stellt Harald Rutenbeck klar.

Einstieg in die Glasfasertechnik
FMT ist seit 1991 mit Produktion, Montage und Logistik eine tragende Säule in der Rutenbeck Unternehmensgruppe. Kontinuierlicher Ausbau und Erweiterung der Produktionsstätten, sowie Investitionen in zukünftige Entwicklungen waren in den letzten 25 Jahren Wachstumsmotor für das Unternehmen und die Region.
Neben den bekannten, kupferbasierten Datennetzwerkprodukten, bietet Rutenbeck ein breites Portfolio von Komponenten der Glasfasertechnik an. Damit ist das Produktportfolio breiter als jemals zuvor in der Geschichte des Unternehmens.
Fünfte Generation: Mit Cousinen vorgesorgt
Mit Tobias, Holger und Alexander Rutenbeck übernimmt ab 2012 die fünfte Generation die Verantwortung. Seit fast 150 Jahren steht ein Rutenbeck an der Spitze des Familienunternehmens. „Durch den Eintritt der drei Cousins ist diese stolze Tradition auch für die Zukunft gesichert“. 2020 ergänzen Tobias und Alexander Rutenbeck die Geschäftsführung.

Also – was ist nun das Erfolgsrezept der Rutenbecks? „Der stetige Wandel. 150 Jahre dasselbe zu machen, wird nicht gelingen. Das man sich immer wieder an die bestehende Situation angepasst hat, die der Markt hergab, hat sicherlich dafür gesorgt, dass wir solange bestehen“, verrät Harald Rutenbeck gegenüber LokalDirekt.
Die Zukunft bleibt weiterhin ungewiss, „wer weiß, was wir in 100 Jahren produzieren?“, sagt Holger Rutenbeck. Man könne nicht in die Zukunft schauen, sondern nur Fakten auswerten und versuchen, sich darauf einzustellen. „Und das führt manchmal zu überraschenden Ergebnissen und Entscheidung“, so Harald Rutenbeck abschließend.