Bereits in der sechsten Generation tritt die Familie Sarelli mit ihrem bunten Programm auf. „Vor Corona hatten wir noch eine größere Truppe, aber die wirtschaftliche Lage hat uns gezwungen, den Zirkus zu verkleinern und damit auch die Familie zu trennen“, bedauert Gino Sarelli. Das große Zelt und einige Wagen wurden verkauft, um Geld zu sparen. Kleiner als jetzt, mit sechs aktiven Künstlern, geht es aber nicht mehr.
Dass auch die Tiere – Ponys, Pferde, Kamele und Lamas – abgegeben wurden, war nicht nur der finanziellen Situation geschuldet. „Tierschützer haben unsere Wagen und Plakate beschmiert und sogar einmal nachts die Tiere frei gelassen. Die haben wir dann gemeinsam mit der Polizei von einem Autobahnzubringer zurückholen müssen. Da hätte sonst was passieren können“, ärgert sich Patriarchin Franziska Sarelli noch heute. „Dabei haben wir unsere Tiere wirklich geliebt. Ich bin mit Tieren im Zirkus aufgewachsen und wir haben sie immer gut behandelt“, ist sie sich sicher.
Jetzt ist nur noch der harte Kern um Franziska Birkelmeier – alias Sarelli -, die die Moderation der Vorstellungen übernommen hat, übrig geblieben. Ihr Sohn Gino, Feuerschlucker, Messerwerfer und Akrobat in einer Person, ging in der Coronazeit, ebenso wie sein Bruder Justin und Schwager Dominik, einer „normalen“ Tätigkeit nach. Er gibt auch zu, dass „man bei der schwierigen Wirtschaftslage schon mal ans Aufhören denkt“. „Aber das normale Leben ist nichts für uns. Wir sind Zirkusmenschen durch und durch“, meinte Dominik, der in der Zirkusmanege auf einem Brett auf Rollen stehend in luftiger Höhe jongliert. „Da fällt uns die Decke auf den Kopf. Jeder Tagesablauf war wie der vorherige, da fehlen die Herausforderungen, die das Zirkusleben mit sich bringt.“
Eine Herausforderung wie beim Aufbau des Zeltes in Kierspe. „Wir konnten nicht sofort beginnen, da wir von der Stadt noch keine Auskunft darüber hatten, wo auf dem Schützenplatz eventuell Leitungen verlegt sind. Die dürfen wir natürlich mit unseren Befestigungselementen nicht beschädigten“, erklärt Gino Sarelli. Obwohl es für den Zirkus immens wichtig ist, dass das Zelt so früh wie möglich steht – es ist die auffälligste Reklame dafür, dass der Zirkus in der Stadt ist – ist die Familie der Gemeinde dankbar für die Einladung, überhaupt in Kierspe gastieren zu dürfen. „Die Stadt kannte uns noch vom letzten Jahr und wusste, dass wir unseren Platz sauber verlassen. Für uns ist das selbstverständlich, für andere Unternehmen leider wohl nicht immer. Das erschwert oftmals die Zusage für einen Platz“, sagt Franziska Sarelli.
Auch wenn das Zirkusleben nicht immer leicht ist, möchte keines der Familienmitglieder, von der Oma bis zu den jüngsten Kindern, auf diese Lebensform verzichten. „Selbst wenn wir im Winterquartier sind, bleiben wir in unseren Wohnwagen“, erzählt Franziska Sarelli. „In einer richtigen Wohnung zu leben, wäre uns viel zu eng.“
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Den größten Unterschied zwischen Touren und Winterquartier erlebt die achtjährige Sarah. Während der Reisezeit wird sie über die „Schule für Zirkuskinder“ unterrichtet. Zweimal pro Woche kommt ein Lehrer mit einem Wohnmobil, das als Klassenzimmer eingerichtet ist, zum Zirkus. Von acht bis 14 Uhr wird sie dann in allen Fächern unterrichtet und bekommt für die Tage bis zum nächsten Besuch genügend Arbeitsmaterial. „Das ist anstrengender als ein normaler Schulbesuch. Aber es ist gut, dass die Kinder inzwischen die Möglichkeit haben, über die Zirkusschule jeden Schulabschluss bis zum Abitur zu erreichen“, freut sich ihre Mutter Amanda, die in der Show unter anderem als Seiltänzerin und Akrobatin auftritt, wobei sie sogar schon von ihrer knapp zweijährigen Tochter begleitet wird.
Während der Winterpause besucht Sarah die örtliche Schule. Damit sie einen fließenden Übergang hat, kontaktiert der Lehrer der Zirkusschule die dortigen Lehrer und gleicht den Unterrichtsstoff ab. „So kann sich Sarah in Deutsch etwas zurücknehmen, wenn sie dort Vorsprung hat, und dafür in Mathe mehr Gas geben. Im letzten Jahr hat das sehr gut geklappt“, erzählt ihre Mutter.
Sarah freut sich vor allem aus einem Grund auf die Regelschule: „Da treffe ich meine Freunde wieder“, lacht sie. Dass das nicht das ganze Jahr über möglich ist, macht sie aber auch nicht traurig. „Ich habe ja in vielen Städten Freundinnen. Mit denen telefoniere ich ganz oft oder wir schreiben uns per WhatsApp.“ Ihr Vater Gino bestätigt das. „In manchen Orten sind wir kaum auf den Platz gefahren, da kommen die Freundinnen dann auch schon. Und entweder besucht Sarah die Mädchen in deren Zuhause oder sie verbringen viel gemeinsame Zeit bei uns im Zirkus.“
So vermisst die Achtjährige auch den großen Familienclan, der vor Corona gemeinsam aufgetreten ist, nicht allzu sehr. „Wir treffen die Familie ja regelmäßig“, sagt Gino Sarelli. „Dann zeigen sich die Kinder gegenseitig, was sie in der Zwischenzeit Neues gelernt haben und alle anderen wollen es nachmachen. So wachsen die Kinder ganz automatisch in das Zirkusleben und die Auftritte hinein. Keiner wird hier gezwungen, etwas zu machen. Ganz im Gegenteil. Ist ein Kind mal krank, müssen wir ihm gegenüber schon starke Überzeugungsarbeit leisten, dass es dann halt nicht auftreten kann und ein anderes Familienmitglied einspringt.“
Hinter diese Aussage verbirgt sich auch das Erfolgsgeheimnis des kleinen Zirkusses. Jeder kann alles. Egal ob Messerwerfen, Jonglage, Akrobatik – bei dieser Familie kann jeder für jeden einspringen und seinen Part der Vorstellung übernehmen. Nur so kann die Zirkusfamilie Tag für Tag ein Programm in die Manege bringen, das die Zuschauer überzeugt. „Wenn jemand mit schlechter Laune auftreten würde, weil er an diesem Tag, warum auch immer, nicht in die Manege will, dann würden das die Zuschauer merken.“ Schwierig wird es allerdings, wenn sein Bruder Justin ausfällt. Den Part des Clowns „Beppo“, den er übernommen hat, kann man nicht lernen. „Clown muss man sein!“, sagt Gino Sarelli. „Man muss überzeugen und mitreißen können.“
Ob der Zirkus überhaupt noch eine Zukunft hat? – Diese Frage wurde schon dem Großvater von Gino Sarellli gestellt und der Artist beantwortet sie heute so: „Wenn die Konjunktur wieder anzieht und die Leute mehr Geld in der Tasche haben, dann kommen sie auch zu uns. Aktuell muss jeder sparen. Das merken wir natürlich. Wenn in einer Stadt vor drei Wochen ein Dorffest war, brauchen wir unser Zelt gar nicht erst aufzustellen. Dann ist das Geld, das für Freizeitaktivitäten beiseite gelegt wurde, weg.“ Der Familienrat der Sarellis hat aber beschlossen, dass sie weiter machen werden. Denn, so sagen sie unisono: „Wir leben unseren Traum“.
Infos:
Vorführung
vom 1. November bis 11. November
Donnerstag bis Samstag um 16 Uhr
Sonntag um 11 Uhr
Eintritt:
Ermäßigungskarten liegen in den örtlichen Geschäften aus und wurden in Schulen und Kindergärten verteilt.
Erwachsene: 18 Euro, abzüglich 2 Euro bei Vorlage der Ermäßigungskarte
Kinder: 17 Euro, abzüglich 2 Euro bei Vorlage der Ermäßigungskarte
zu den Familienvorstellungen am Donnerstag und Samstag: 15 Euro für alle