Es ist 7.30 Uhr. Mila liegt noch unter den Bäumen auf der großen Wiese und schläft. Pedro spielt mit seinem Kumpel Hennes. Wild galoppieren die Ponys über die Weide, steigen sich an und raufen miteinander. „Pedro und Hennes sind zusammen seit sie wenige Tage alt sind. Das sind die besten Kumpels, die spielen jeden Tag so wild“, erzählt Hofchefin Lydia Schmitz. Charakterlich könnten die beiden Ponys unterschiedlicher wohl nicht sein. Dennoch sind sie zusammen ein echtes Dreamteam. Denn beide haben das, was Lydia Schmitz lachend „das Ausflugs-Gen“ nennt: „Die beiden sind gerne unterwegs und es stresst sie nicht. Sie sind von ihrem Charakter einfach offen und dabei zugleich aber super sensibel.“ Gemeinsam gehen sie auch heute auf Tour. Es geht nach Schalksmühle ins Seniorenzentrum Reeswinkel.
Doch erst einmal steht Putzen auf dem Programm. Die Hufe werden gewaschen – aber nicht eingeölt. „Ginge es um Optik, käme noch Huföl drauf. Aber Mila wird heute auch ins Gebäude gehen. Daher geht es in erster Linie um Sauberkeit“, erklärt die Hofchefin. Mila genießt die Wellnessbehandlung und döst. Draufgänger Pedro ist derweil damit beschäftigt, seinen Putzbeutel auszukippen. Er hat den Beutel zwischen den Zähnen und schlackert ihn, bis die Bürsten herausfallen: „Perdo ist einfach ein Quatschkopf“, erzählt Schmitz lachend. Ein Quatschkopf ist auch sein Kumpel Hennes. Doch der wäre nicht geeignet für die Aufgabe als Therapiepony. „Pedro ist charmant dabei. Hennes eher rüpelig. Der ist auch nicht böse. Aber eben nicht so sensibel. Pedro merkt, wenn sein Gegenüber schwach oder eingeschränkt ist. Hennes merkt es auch, würde es aber ausnutzen, um Quatsch zu machen“, erklärt Lydia Schmitz den Unterschied zwischen den Ponys. Ein gutes Therapiepony müsse mit Freude dabei sein. Brav sein alleine reiche nicht aus: „Dann würde das Pferd, weil es gut erzogen ist, seinen natürlichen Charakter vermutlich unterdrücken. Spaß hätte es aber nicht. Und Spaß bei der Arbeit ist super wichtig, das kennen wir ja auch von uns selbst.“

Etwa 45 Minuten später sind die Ponys bereit zur Abfahrt. Pedro und Mila laufen bereits alleine in Richtung Anhänger. Am Strick führen ist nicht nötig. „Die wissen genau, was wir jetzt machen. Anhängerfahren ist für sie kein Stress, sondern positiv behaftet. Was auch daran liegt, dass wir das von Anfang an mit allen Ponys üben“, erklärt Lydia Schmitz. Auf der Fahrt nach Schalksmühle mümmeln die beiden genüsslich ihr Heu. Es ist nicht weit und in Lüdenscheid ist ausnahmsweise kein Stau. Gute 20 Minuten später sind die Drei am Ziel.
Dort werden die Ponys bereits erwartet. Die Bewohner, die noch mobil sind, haben sich im Hof versammelt. Viele kennen die Ponys noch von ihrem letzten Besuch. Pedro und Mila werden freudig begrüßt. Geduldig gehen sie von einem Senior zum nächsten. „Ich war früher Hufschmied. Aber so kleine Hufe habe ich nie gemacht. Das muss eine echte Herausforderung sein“, erzählt ein Bewohner lachend. Er sitzt in seinem Rollstuhl und tätschelt Mila den Hals: „Ein schönes Pony. Aber etwas dick.“ „Ach was, das muss sich eine Dame nicht gefallen lassen“, sagt die Frau nebenan. Die beiden kommen über das Pony in ein ganz zwangloses Gespräch, erzählen aus ihrer Kindheit, in der Pferde in der Landwirtschaft noch eine Rolle spielten.
Einige Bewohner nutzen den Besuch, um mit den Ponys eine kleine Runde im Hof Spazieren zu gehen. Langsam und vorsichtig begleitet Pedro eine Frau am Rollator. „Pedro ist an sich schon ein sehr einfühlsames Pony. Er nutzt die Schwäche des Menschen nicht aus und wird nie dominant. Aber natürlich gehört auch ein wenig Training dazu. Am Rollator oder Rollstuhl dürfen die Ponys unter keinen Umständen ziehen oder drängeln“, erklärt die Expertin. Mal eben einen Grashalm zupfen oder vor Schreck ein Hüpfer zur Seite, könne die Senioren schon aus dem Gleichgewicht bringen – auch wenn die Ponys klein sind.

Für eine ältere Frau im Rollstuhl ist das Führen von Pony Mila eine echte Herausforderung. „Ich kann das doch nicht“, sagt sie. Kirsten Hillebrand vom Sozialen Dienst des Hauses macht ihr Mut: „Probiere es doch einfach mal. Ich bin auch dabei.“ Vorsichtig nimmt die Seniorin den Strick in die Hand. Es ist eine kleine Anstrengung für sie. Aber es klappt. Die Mitarbeiterin schiebt den Rollstuhl. Nach ein paar Metern beginnt die Seniorin zu strahlen. „Es ist so schön zu sehen, wie die Ponys die Senioren mobilisieren und Lebensfreude bringen“, sagt Kirsten Hillebrand.
Während Pedro im Hof bleibt, stehen für Mila nun ein Spezialaufgaben an. Es geht ins Gebäude. „Wir haben ein paar Bewohner, denen es nicht so gut geht. Wo wir uns aber vorstellen können, dass sie sich freuen, wenn das Pony kommt“, sagt Kirsten Hillebrand. Völlig selbstverständlich marschiert Mila mit ihrer Besitzerin durch das Eingangsfoyer in Richtung Aufzug. Ohne zu zögern geht die Ponydame hinein und fährt hinauf auf die zweite Etage. „Wirklich vorher üben kann man das nicht. Wichtig ist, dass die Ponys überhaupt keine Probleme mit verschiedenen Untergründen haben. Der Boden klingt anders. Wir üben Zuhause, dass sie vertrauensvoll überall drüber laufen können, wo wir mit hin gehen“, erklärt Lydia Schmitz. Die Aufzugtür öffnet sich und Mila geht rückwärts raus. Zum Drehen ist es zu eng. Es geht durch einen langen Flur. „Hier wohnt eine Frau, die im Sterben liegt. Vom letzten Besuch wissen wir aber, wie sehr sie die Ponys mag“, erzählt die Mitarbeiterin. Mila kommt ins Zimmer. Ruhig geht sie an das Bett. Die Ohren gespitzt, erkundet sie neugierig, wer dort auf sie wartet. Die Frau freut sich. Hebt sogar kurz die Hand, um Mila zu streicheln. Eine Reaktion, die die Mitarbeiter lange nicht bei ihr gesehen haben. Eigentlich reagiert sie nur noch selten auf äußere Reize. Ein so herzliches Lachen haben sie in diesem Zimmer lange nicht gesehen. Zwei Minuten später ist die Frau erschöpft und dämmert vor sich hin. Mila geht.
Es geht wieder in den Aufzug. Erste Etage dieses Mal. Dort soll sie ebenfalls einer Frau eine Freude bereiten. Auch sie ist sehr schlecht dran. Mila kommt, aber es gibt keine Reaktion. „Auch das gibt es halt. Nicht jeder spricht darauf an. Dann gehen wir halt wieder“, sagt Hillebrand. Einen Stopp gibt es noch im Erdgeschoss. Dort wohnt ein Mann, dem die Schmerzen heute sehr zu schaffen machen. Er hat es nicht aus dem Bett geschafft. Über den Besuch von Mila freut er sich. Er lacht und erzählt – und vergisst für einen Moment sein Leid. „Mila ist total sensibel. Sie stellt sich schnell auf die Bewohner ein. Für das Pony sind in diesen Zimmern vor allem die medizinischen Geräte eine Herausforderung. Die Sauerstoffflaschen machen Geräusche, es blinkt und piept auch mal. Mila ist aber schon immer eher neugierig als ängstlich gewesen. Inzwischen kennt sie fast alles“, erklärt Lydia Schmitz.

Nach gut eineinhalb Stunden ist der Besuch beendet. Für die Ponys geht es zurück auf die große Weide in Rennerde. Dort können sie den Rest des Tages mit den anderen Ponys genießen. „Die beiden machen heute definitiv nichts mehr. Das ist zwar körperlich keine Belastung, aber mental schon anstrengend. Die Ponys müssen sich ja schon auch konzentrieren“, sagt Lydia Schmitz. Morgen steht für sie zum Ausgleich ein eher körperliches Programm an. Für Mila geht es an die Kutsche. Pedro geht wandern. „Jedes Pony ist anders, hat andere Vorlieben. Der Ausgleich ist total wichtig. Ebenso wie die Haltung mit viel Platz und in der Herde. Die Ponys sind ausgeglichener und gesünder“, erklärt die Besitzerin.
Während die anderen beiden entspannen, wird Nachwuchspony Fienchen geholt. Auch sie soll später Mal in der Therapie zum Einsatz kommen. „Sie ist erst drei Jahre alt. Vom Charakter her aber perfekt. Wir machen jetzt immer mal etwas Bodenarbeit mit ihr, dass sie lernt zu vertrauen. Bis sie das erste Mal mitfährt, wird es aber noch ein oder eher zwei Jahre dauern. Sie ist ja gerade erst im Pferdekindergarten und ganz am Anfang ihrer Ausbildung“, erklärt Lydia Schmitz. Fienchen stammt aus dem gleichen Stall wie Pedro. Dort seien sie eher behütet und im engen Kontakt mit Menschen aufgewachsen, was die Arbeit erleichtere. Seit zwei Jahren leben die beiden auf dem Hof in Rennerde. „Man merkt einfach, dass die beiden total aufgeschlossen sind und noch nie schlechte Erfahrungen mit dem Menschen gemacht haben. Das war bei Mila vorher ganz anders“, erzählt Lydia Schmitz. Mila stamme von einem Händler. Von ihrer Vorgeschichte ist nichts bekannt. „Als sie kam, ließ sie sich nicht einfangen und anfassen. Sie kannte einfach nichts“, erinnert sich Lydia Schmitz. Zwei Wochen sei sie einfach auf der Weide mitgelaufen. Durch ihre neugierige und offene Art habe sie schnell gemerkt, dass Menschen eigentlich spannend sind. „Als wir einmal ihr Vertrauen hatten, war es total leicht mit ihr zu arbeiten. Sie ist einfach nur lieb“, lobt die Hofbesitzerin das kleine Pony.