„Ich werde dir das Kind aus dem Bauch schneiden. Ich hole es früher, als es kommen sollte. Ich werde dir die Kehle durchschneiden. Ich werde dich abschlachten, wie es mein Onkel mit anderen gemacht hat.“ Diese Worte unglaublicher Brutalität schmettert ein 46-Jähriger in der Nacht auf den 23. Juni in der gemeinsamen Wohnung in Lüdenscheid seiner damals im achten Monat schwangeren Freundin entgegen.
Doch bei verbaler Gewalt bleibt es nicht. Der Mann versucht, der Frau in den Bauch zu treten. Sein Opfer kann ausweichen. Ein Schlag trifft sie aber an der Schulter. Der mit 2,76 Promille betrunkene Täter drückt die Geschädigte am Nacken zu Boden. Glücklicherweise bleiben außer Schmerzen keine Verletzungen zurück. Auch dem Baby im Mutterleib hat der Angriff nichts anhaben können. Und dennoch endet das Ganze für eine Unbeteiligte in psychologischer Behandlung: Die zwölfjährige Tochter muss alles mit ansehen. Sie ist es auch, die die Polizei alarmiert.
Der 46-Jährige muss sich für sein Verhalten im Amtsgericht Lüdenscheid verantworten. Dort gibt er vor, nicht mehr zu wissen, was er getan hatte. „Ich hatte viel getrunken.“ Aufgrund einer Erkrankung habe er nicht mehr wie gewohnt arbeiten und Geld verdienen können. Das habe ihn fertig gemacht: „Ich bin eigentlich ein fürsorglicher Mensch. Ich bin es gewohnt, meine Familie zu versorgen. Wenn meine Frau keine Lust hat, zu arbeiten, muss sie das auch nicht. So soll sich um die Kinder kümmern. Aber das Arbeiten ging durch meine Krankheit nicht mehr. Wir haben von Krankengeld gelebt.“
Zwölf Jahre lang hätten sie ohne Verhütung miteinander geschlafen, ohne, dass etwas passiert sei. „Und ausgerechnet dann kommt sie an und sagt, es kommt noch ein Kind. Das Konto war schon im Minus“, gibt der Angeklagte den Grund für den Griff zum Alkohol an. Hinterher habe er sich bei ihr entschuldigt. Dass seine Tochter alles mitbekommen hatte, täte ihm unendlich leid, so der Lüdenscheider. Dann betritt die Geschädigte den Zeugenstand. Mit ihrer Aussage beeindruckt sie alle Prozessbeteiligten. Zunächst windet sie sich, will nicht sagen, was in der Tatnacht passiert war. Doch dann atmet sie tief durch und spricht offen über das Geschehen und ihr Leben.
15 Jahre sei sie mit dem Angeklagten zusammen gewesen. Am Anfang habe Alkohol keine Rolle gespielt. Doch dann sei sein Bruder gestorben. Da sei er dem Alkohol verfallen: „Er sollte nicht trinken. Sobald er trinkt, wird er aggressiv. Dann kommt eine böse Seite raus.“ Die habe sie immer öfter zu spüren bekommen. So grausam und unfassbar die Drohungen des 46-Jährigen für andere klingen mögen, für die Zeugin sind sie nicht neu. Aber sie wisse um die Wirkung dieser Worte: „Am Anfang war es verstörend. Dann gewöhnt man sich dran. Irgendwann ignoriert man es.“ Allerdings habe ihre Ignoranz eine schlimme Folge gehabt.
Als der Angeklagte gemerkt habe, dass seine Formulierungen an der Zeugin abprallten, sei die Tochter ins Visier ihres Vaters geraten. Auch die Zwölfjährige habe Beleidigungen abbekommen. „Das hat sie mitgenommen. Da bin ich hochgegangen. Das habe ich nicht zugelassen. Ich hatte die Kraft, zu gehen…meine Mutter nicht“, lässt die 40-Jährige durchblicken, dass sie Gewalt aus ihrer Familie kennt. Zur Tatzeit sei sie gerade dabei gewesen, mit der Tochter aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, sich vom Angeklagten zu trennen. Das habe ihm zugesetzt.
Jetzt lebe sie in einer eigenen Wohnung. Der Lüdenscheider dürfte seine Kinder jederzeit sehen. „Wenn er nüchtern ist, ist er ein guter Mensch“, betont die Zeugin. Sie seien getrennt, aber was die Zukunft bringt, könnte sie nicht sagen. Wenn der Angeklagte eine Alkoholtherapie machte, wäre sie durchaus bereit, ihm noch eine Chance zu geben. Wie groß ihr Interesse an einer Strafverfolgung sei, will der Vertreter der Staatsanwaltschaft wissen. „Jetzt ist die Wut weg. Ich habe keinen Hass. Ich habe selber zugelassen, dass er das mit mir gemacht hat. Das war mein Verschulden“, erklärt die 40-Jährige. Staatsanwalt und Richterin sind der Zeugin sehr dankbar. „Sie haben meinen tiefsten Respekt, dass Sie hier heute so offen ausgesagt haben. Sie haben uns sehr geholfen“, sagt die Vorsitzende. Sie stellt das Verfahren am Ende gegen Zahlung von 300 Euro an den Spiel- und Kindernestverein vorläufig ein.