Viele Wege führen dazu, ein Ehrenamt auszuführen. Bei dem Ehepaar Anne und Herbert Müller kommen gleich mehrere Gründe zusammen. „Ich hab schon immer ehrenamtlich gearbeitet“, erzählt Herbert Müller, der unter anderem seit Jahren als Organist immer wieder in der katholischen Kirche spielt oder Vorsitzender des Imkervereins Halver-Schmidthausen war.
Auch Anne Müllers Leben ist vom Ehrenamt – und hier sogar auf internationaler Ebene – geprägt. 1991 war sie Mitbegründerin der UN-Women, einem Komitee zur Unterstützung der Frauen weltweit und der UNO in New York als Schirmherr. Noch heute ist sie dort Kassenprüferin.
Seit drei Jahren machen sich der 85-jährige Oberstudienrat a.D. und seine gleichaltrige Ehefrau aber für ein weiteres Ehrenamt in Halver stark. Als ehemalige Lehrer wurden beide gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, die Flüchtlingshilfe Halver als Deutschlehrer zu unterstützen.
Herbert Müller, als ehemaliger Pädagoge für Deutsch und Englisch und Anne Müller, als ehemalige Lehrerin für Deutsch und Geschichte, mit einer Zusatzausbildung als Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, schienen geradezu prädestiniert für diese Aufgabe. Nach kurzer Überlegungszeit sagten beide zu, dieses Amt zu übernehmen.
„Es ist aber ganz klar, dass man keine Lehrerausbildung haben muss, um den hier lebenden Flüchtlingen beim Erlernen der deutschen Sprache zu helfen“, sind sich beide einig. „Einige der hier angekommenen Menschen sind ja auch Analphabeten oder beherrschen zumindest die lateinische Schrift nicht. Da sind Einfühlungsvermögen und viel, viel Geduld wichtiger als eine pädagogische Ausbildung, um gemeinsam mit ihnen Erfolge zu erzielen.“ Ihre anfänglichen Kurse in dieser Richtung haben sie inzwischen an andere Vereinsmitglieder abgegeben, um in ihren jetzigen Stunden Schüler zu unterrichten, die schon fortgeschrittenere Kenntnisse haben.
„Am Anfang hatten wir – wie viele andere ehrenamtlichen Deutschlehrer in der Flüchtlingshilfe auch – eine große Fluktuation in der Gruppe. Es war ein Kommen und Gehen“, erinnern sie sich. „Aber das ist im Ehrenamt so, man muss auch Rückschläge einstecken können“, wissen beide aus vielen Jahren Ehrenamtstätigkeit. Das Ehepaar hat sich von dieser ersten Erfahrung aber nicht entmutigen lassen. „Das Wichtigste ist, das Gefühl zu haben, dass man etwas Sinnvolles tut.“
Bei den regelmäßigen Treffen mit den anderen Deutschlehrern der Gruppe wurde ihnen schnell klar, dass die vielen Wechsel nicht nur in ihrer Gruppe passierten. Viele Neuankömmlinge wollen an den Sprachkursen, die ja auch unbürokratisch und kostenlos angeboten werden, teilnehmen. Dann ziehen sie aber um, müssen eventuell die verpflichtenden Kurse besuchen oder finden Arbeit – es gibt unendlich viele Gründe, warum die Teilnehmer nicht regelmäßig kommen.
Aber die Hartnäckigkeit von Anne und Herbert Müller zahlte sich aus. Inzwischen haben sie einen festen, wenn auch kleinen, Schülerstamm. „Wir haben fünf Teilnehmer, die regelmäßig kommen, auch wenn sie den offiziellen B2 Kurs besuchen. Dort wird im Stoff sehr schnell vorangegangen. Damit sind viele Schüler überfordert und sie freuen sich dann, wenn wir die Übungen in unserem Kurs nochmal nacharbeiten, ihre Fragen beantworten und ihnen somit auch mehr Sicherheit vermitteln“, sagen beide.
Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn auch wenn die Lerngruppe klein ist, sind die Wissensstände sehr unterschiedlich. „Da ist es manchmal schwer, alle unter einen Hut zu bringen. Aber mit gegenseitiger Rücksichtnahme der Teilnehmer untereinander klappt auch das.“
Was beiden wichtig ist zu betonen: „Man muss kein Lehrer sein, um diese Aufgabe zu übernehmen!“ Es sei allerdings hilfreich, den Umgang mit Sprache gewohnt zu sein. Wichtiger jedoch seien Verständnis, Taktgefühl, Ausdauer und auch eine Prise Humor. „Vor allem muss man erkennen, wo die Probleme liegen und korrigieren, ohne zu kränken“, betonen sie und weiter: „Vor allem ist es wichtig auch zu schauen, wo man mal Fehler stehen lässt, um die Motivation nicht zu nehmen.“
Einen wichtigen Teilaspekt des Unterrichts, das Üben der richtigen Aussprache, könne jeder übernehmen. Viele der Schüler tun sich besonders schwer mit den Umlauten in der deutschen Sprache. „Besonders das ‚Ü‘ können die meisten nicht aussprechen. Und falsch ausgesprochene Wörter können zu gravierenden Missverständnissen führen“, wissen sie aus eigener Erfahrung.
„Lehrmaterial gibt es genügend, da muss man sich keine eigenen Gedanken zu machen und die anderen Deutschlehrer aus der Gruppe der ehemaligen Flüchtlingshilfe sind auch zur Stelle, wenn man mal Unterstützung braucht“, machen sie anderen Menschen Mut, sich auch ehrenamtlich einzubringen. „Und man muss auch mal den bequemen Sessel verlassen“, ist Herbert Müller überzeugt.
„Ein Ehrenamt läuft dann richtig, wenn die Freude an der Arbeit den damit verbundenen Stress überwiegt“, bringt Herbert Müller seine Intention, sich ehrenamtlich zu engagieren, auf den Punkt. „Und gerade die Flüchtlinge geben einem so viel zurück. Sie sind einfach dankbar, dass wir ihnen helfen und diese Dankbarkeit lassen sie einen spüren.“
Für Anne Müller kommt eine weitere Motivation hinzu, Flüchtlingen zu helfen. „Ich bin selbst in Schlesien geboren. Mit sechs Jahren bin ich als Flüchtlingskind über Thüringen nach Westdeutschland gekommen. Ich kenne das Gefühl fremd zu sein.“ Und damit kennt sie auch die Angst, die die Flüchtlinge vor den Einheimischen und den vielen gänzlich neuen Lebensumständen haben.
„Wir können mit unserem Deutschkurs zwar helfen, eine kleine Barriere zu überwinden, aber die Angst, die können wir nicht nehmen, dazu sind wir ein zu kleines Rädchen im System. Da müsste hier in Deutschland noch viel mehr gemacht werden“, wünscht sich Herbert Müller.
In loser Reihenfolge stellt LokalDirekt in dieser Serie Ehrenamtler aus dem Verbreitungsgebiet vor. Wer sind sie, welches Ehrenamt bekleiden sie und wozu dient es der Gesellschaft? Was treibt sie an und was erwarten sie von der Gesellschaft? Dieser und weitere Fragen wollen wir beantworten.
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