„Da schwirren 100 Boote drumrum“, schildert Seidel den „Star-Rummel“ um den Großsegler. Der Werdohler, selbst Segler, weiß um die Risiken dabei. Die kennen auch Skipper und Crew auf der „Gorch Fock“.
Sechs Rudergänger an drei Steuerrädern halten die Dreimast-Bark auf Kurs. Der wird ihnen fortlaufend aus dem Navigationsraum übermittelt. Jeweils zwei Ausgucke an der Steuer- und der Backbordseite achten darauf, dass sich Bark und Boote nicht in die Quere kommen. „Das alles auf engsten Raum“, ist der Werdohler fasziniert von Routine und Präzision an Bord.
Zweite Fahrt auf dem Schulschiff
Für ihn war es bereits die zweite Fahrt auf dem weißen Schmuckstück der Marine. Dabei ging es unter Motor rund 70 Seemeilen über die Ostsee. Der Grund: an Bord war nur 60 der 80-köpfigen Stammbesatzung. Zu wenig, um auf dem Dreimaster die Segel zu bergen, insbesondere wenn sie nass sind. 400 Kilogramm wiegt einer der „Lappen“ – trocken. Bei Nässe kommen nochmal 200 Kilogramm dazu. Pro Rahsegel sind bis zu 14 Personen nötig, die in die 40 Meter hohen Masten aufentern müssen, um die Segel zu setzen oder zu bergen. Ein Kraftakt. Immer gilt: eine Hand für den Menschen, eine Hand fürs Schiff.
Zum Segeln braucht es dann auch die 120 Offiziersanwärter, die in die Masten steigen. Sie werden auf dem Schiff für künftige Führungsaufgaben bei der Marine ausgebildet. „Wer unsicher ist, wird nicht hochgeschickt“, hat der Werdohler auf seiner ersten Tour gelernt. Er konnte im Juni 2015 schon mal auf dem Schulschiff mitfahren – damals unter Segeln.
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„Auf einem Großsegler mitzufahren, beindruckt schon“, sind Detlef Seidel die Touren noch präsent. Zwischen beiden liegt eine lange, aufwändige Sanierung des Segelschulschiffs, die sich der Bund 135 Mio. Euro kosten ließ. Kalkuliert waren 10 Mio. Euro. Für die Gäste an Bord war der Aufwand kaum sichtbar. Das weiße Schmuckstück der Marine hat im Dock „abgespeckt“. Die „Gorch Fock“ ist „wohl etliche Tonnen leichter geworden“, schätzt Detlef Seidel. Karbon statt Stahl. Neue Technik. Seefahrtsromantik und „die Knochenarbeit sind geblieben“, meint der Werdohler.
Training für Führungskräfte
Messing putzen, Taue aufschießen, Decksdienst. Ein Vokabular, wie man es aus Büchern kennt. Klassische Seemannschaft. An Bord der Bark ist das noch Alltag. „Die Mannschaften haben die Abläufe drin, alles ohne Hektik. Vieles muss noch per Hand gemacht werden“, schildert Seidel das Bordleben. Die Ausbildungstörns gehen über drei Monate. Den Vorgesetzten liefern sie wichtige Erkenntnisse über Eignungen und Fähigkeiten der künftigen Führungskräfte. Wer dann mit acht bis zehn Personen in einem Raum in Hängematten schlafen, auf Freizeitmöglichkeiten weitgehend verzichten muss und bei jedem Manöver auf andere angewiesen ist, „zeigt dabei, ob entsprechende soziale Kompetenz und Teamfähigkeit vorhanden sind“, schildert Seidel den Sinn der Ausbildung auf dem Segler.
Der Kontakt kam über eine Informations-Wehrübung zustande. Damit wollten die verschiedenen Waffengattungen der Bundeswehr Führungskräften der Wirtschaft die Bundeswehr näherbringen. Detlef Seidel, der als Jurist beim Arbeitgeberverband beschäftigt war, bewarb sich und wurde im Oktober 1995 für zwölf Tage zu einer Wehrübung eingeladen – als Oberleutnant zur See mit entsprechendem Sold und Schulterklappen. Die hat er fein säuberlich archiviert im Ordner. Geboten wurde den Übungsteilnehmern das ganze Marine-Spektrum mit Besuch der Marineflieger in Jagel, mit Hubschrauber-Aufnahme auf See, Besuch bei Kampfschwimmern. „Wir hatten Zugang zu jeder Einheit“, so Seidel.
Sprungbrett für Job in der Wirtschaft
Danach wurde der Werdohler Mitglied des Vereins „Reunion Marine“, einer Vereinigung ehemaliger Teilnehmer von Informationswehrübungen für zivile Führungskräfte. Ihre Mitglieder sehen sich als Bindeglied zwischen Marine und Gesellschaft. Im Zuge der Kontaktpflege konnte der Werdohler so auch zweimal auf der „Gorch Fock“ mitfahren.
Beeindruckt haben ihn Kompetenz der Mannschaft und das Klima an Bord. „Keine Kommis-Atmosphäre wie man vermuten könnte“, so Seidel. Man habe mit jeden reden können und „alle konnten sich gut artikulieren.“ Ausbildung und Kompetenzen, die die Kadetten vermittelt bekommen, qualifizieren sie auch als Führungskräfte, sieht Detlef Seidel in den Kontakten eine Win-Win-Situation. Die jungen Menschen lernten schon früh Verantwortung für Menschen und Material zu übernehmen, auch unter Druck kühlen Kopf zu bewahren und Entscheidungen zu treffen. Das mache sie für die Wirtschaft interessant, wenn sie bei der Bundeswehr ausscheiden.
INFO
- 1958 in Dienst gestellt, Baukosten: 8,5 Mio. €
- 3-Mast-Bark, 23 Segel, 2037 m2
- Heimathafen Kiel, Marienschule Mürwik unterstellt
- Grundinstandsetzung von 2015 bis 2021, veranschlagt waren 10 Mio. € bei Endkosten von 135 Mio. Euro.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gorch_Fock_(Schiff,_1958)