Herwig Wiedemuth braucht das Stadtradeln nicht, um Freude am Fahrradfahren zu haben. „Ganz ehrlich gesagt“, erzählt der 68-Jährige, „ist das für mich sogar eher ein eingeschränkter Spaß, denn in dieser Zeit zählt es ja vor allem, möglichst viele Kilometer zu fahren, um im Wettbewerb erfolgreich zu sein. Das ist normalerweise nicht meine Intention fürs Fahrradfahren. Aber es ist definitiv eine schöne Aktion, um Leute wieder ans Fahrrad ranzuholen.“
Er selbst fährt, solange er sich zurückerinnern kann. Besonders im Gedächtnis geblieben ist ihm dabei das uralte Hollandrad, das er als 14-Jähriger vom Großvater übernommen hat. „Das hatte gerade mal eine Drei-Gang Kettenschaltung“, erinnert er sich. „Alle meine Kumpels fuhren damals schon auf viel moderneren und technisch besser ausgerüsteten Rädern.“
Aber auf diesem ‚Fossil‘, wie er sein altes Rad liebevoll selber nennt, hat er den gesamten Märkischen Kreis beradelt. „Lüdenscheid, Altena, Werdohl, Plettenberg oder Herscheid. Das war egal. Mit meinem Rad kam ich überall hin und auch jeden Berg rauf“, erzählt er.
Da er in der Fahrradstadt Münster studierte, blieb das Zweirad immer sein treuer Begleiter. „Später war ich auch mal mit einem Mountain-Bike in den Sauerländer Wäldern unterwegs und auch Rennrad bin ich eine Zeit lang gefahren, aber mein Herz habe ich unweigerlich an mein kleines Klapprad verloren“, sagt er mit einem Blick auf sein, auf den ersten Blick unscheinbares, kleines, schwarzes Fahrrad.
40 Jahre war Herwig Wiedemuth im Vertrieb tätig. Trotz ständiger Ortswechsel wollte er aber weiter Fahrrad fahren. Was lag näher, als es mit einem Klapprad zu probieren. „Ab in den Kofferraum und mitnehmen, wohin ich auch immer musste. Nach Feierabend konnte ich dann, egal wo ich war, Fahrrad fahren“, erzählt er von dem Beginn seiner Leidenschaft für das kleine Klapprad.
Im vergangenen Jahr, so berichtet er weiter, ist er 80 Prozent seiner Fahrradkilometer auf dem Faltrad gefahren. „Mit der Acht-Gang Nabenschaltung und meinem ‚Bio-Antrieb‘ lässt sich damit hier im Sauerland alles fahren“, ist er überzeugt.
Ohne das Stadtradeln, und damit das Kilometersammeln im Hinterkopf zu haben, fährt er lieber so, dass er immer wieder Stopps einlegt und sich dann vor allem viel und gern mit den Menschen die er trifft, unterhält. „Das Stadtradeln nimmt mir ein bisschen diese Spontanität“, bedauert er.
„Das Faltrad hat einen gewissen ‚Niedlichkeitsfaktor‘“, ist er überzeugt. Wenn ich damit unterwegs bin, sehe ich überall nur lächelnde Gesichter. Fahre ich aber mit dem Rennrad, empfinde ich öfter Empörung bei anderen Verkehrsteilnehmern.“ Er weiß aber auch, dass es für ihn auf der Straße mit dem kleinen Faltrad gefährlicher ist, als wenn er mit dem Rennrad fährt. „Einen Opa auf einem Faltrad, der mit 50 km/h den Berg runtergefahren kommt, nimmt so mancher Autofahrer nicht ernst. Da wird mir auch gern schon mal die Vorfahrt genommen. Mit dem Rennrad passiert das eher weniger.“
Herwig Wiedemuth fährt am liebsten allein. So kann er jederzeit selber bestimmen, wo er einen Stopp einlegen möchte, um sich die Gegend in Ruhe zu betrachten oder mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen. „Aus meiner Familie will sowieso niemand mitfahren“, sagt er mit einem Lächeln. „Meinen Kindern und Enkeln bin ich da wohl zu fit.“ Kein Wunder, denn nach wie vor beradelt der 68-Jährige das Gebiet zwischen Remscheid, Iserlohn, Eslohe und Olpe nur mit eigener Muskelkraft.
„Ich bin ein E-Bike-Verweigerer“
„Ja, ich bin ein E-Bike-Verweigerer“, sagt er von sich selbst. „Ich hab mal gesagt, so was kommt mir frühestens mit 80 Jahren ins Haus, inzwischen glaube ich eher, dass das noch zehn Jahre länger warten muss“, schmunzelt er. Sein Ziel ist es, aus eigener Kraft oben auf dem Berg zu stehen, und das will er machen, so lange es eben geht. „Ich will mich definitiv nicht vor der Zeit selber schwächen“, so sein Credo.
Aber er ist nicht generell gegen die E-Bike-Technologie. Sie sei wunderbar für Berufspendler, die auf dem Weg zur Arbeit mit dem E-Bike nicht schwitzend im Büro ankommen. „Auch für Menschen mit eingeschränkter Kraft und Beweglichkeit ist das E-Bike wunderbar. Besser damit fahren, als sich gar nicht bewegen“, ist seine Meinung. „Allerdings sollte jeder, der sich so etwas anschafft, auch einen Kurs für Fahrtechnik und Sicherheit machen“, wünscht er sich. Vor allem älteren Menschen, die ja gerne das E-Bike nutzen, fehle es oftmals an Reflexen und dem technischen Vermögen. „Und dann wird es gefährlich.“
Und Herwig Wiedemuth denkt noch einen Schritt weiter. „Ich sehe für die Zukunft eine riesige Müllhalde voller Elektroschrott auf uns zukommen. Die E-Bike Batterien verlieren schon nach wenigen Jahren an Power und werden dann ersetzt. Mein altes Hollandrad war dagegen für 40 Jahre gut. Das schafft kein E-Bike“, warnt er.
Einen ähnlich kritischen Blick richtet er auch auf das Stadtradeln, obwohl er die Aktion an sich für sehr gut hält, um zum einen mehr Menschen fürs Fahrradfahren zu begeistern und andererseits der Politik aufzuzeigen, welche Verbesserungen in der Rad-Infrastruktur noch nötig sind. „Aber dass durch das Stadtradeln CO2 gespart wird, halte ich für nicht nachvollziehbar“, überlegt er, denn 95 Prozent der Strecken, die er für das Stadtradeln fährt, hätte er mit dem Auto gar nicht erst gefahren. „Aber“, so relativiert er direkt, „das ist tatsächlich eine Umweltentlastung durch die, die jetzt mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu Schule oder Arbeit fahren.“