Menschen mit Demenz werden – mangels Alternativen – oftmals in vollstationären Pflegeeinrichtungen untergebracht. „Im Regelbetrieb bleibt dort aber kaum Zeit, dementiell Erkrankte individuell und ihren besonderen Bedürfnissen entsprechend betreuen zu können“, sagt Bernd Lauermann.
Vor allem im Anfangsstadium der Demenz oder bei nur leichter Pflegebedürftigkeit sei es aber wichtig, ihnen ein sicheres soziales Umfeld zu bieten. Und einen strukturierten Alltag zu ermöglichen, in dem sie ihre noch vorhandenen motorischen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten abrufen können.
Selbstbestimmt und doch in Gemeinschaft
Bernd Lauermann weiß wovon er spricht: Seit 2006 leitet er das „Haus Waldfrieden“ in Halver, hier leben aktuell 84 überwiegend dementiell erkrankte oder nach einem Schlaganfall beeinträchtigte Menschen in insgesamt neun Hauswohngemeinschaften. In jeder dieser wirtschaftlich autarken „Senioren-WGs“ teilen sich sechs bis acht Bewohner eine geräumige Wohnküche sowie einen Wäsche- und Vorratsraum. Ausreichend Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten bieten ihnen die Einzelzimmer mit eigenem Bad
Neues Zuhause toleriert alte Gewohnheiten
„Wer in eine unserer Hausgemeinschaften einzieht, kann ähnlich wie in seinem früheren Zuhause leben“, beschreibt Lauermann beim Ortsbesuch von LokalDirekt das innovative Konzept. Jeder Bewohner kann sich einbringen wie und wann er möchte. „Es gibt keine bestimmte Zeit, zu der sie geweckt werden. Wer gern etwas länger schläft, dem sei es gegönnt.“
Auch haben die Senioren größtenteils die Möglichkeit, sich ihren Alltag individuell zu gestalten. Sie können ebenso ihren gewohnten Haushaltstätigkeiten nachgehen, wie sie auch ihre bevorzugten Freizeitbeschäftigungen beibehalten können: malen, lesen, musizieren, im Garten arbeiten oder auf dem gut 12.500 Quadratmeter großen Gelände an der frischen Luft spazieren gehen: „Im Grunde können unsere Senioren hier ihre Gewohnheiten und Alltagsrituale beibehalten“, so Lauermann. Ein Bewohner falte zum Beispiel stets – aus eigenem Antrieb heraus – für alle seine Mitbewohner die frisch gewaschenen Socken zusammen: „Einfach weil er für diese „Aufgabe“ auch in seinem früheren Familienalltag zuständig war.“
Für die für Demenzkranke wichtige Orientierung und Struktur im Alltag sorgt ein festes Team aus Betreuern und Pflegefachkräften pro Wohngemeinschaft: „Es gibt bei uns so gut wie keine Personalfluktuation. Das schafft Vertrautheit und gibt den Bewohnern auch emotionale Sicherheit.“ Denn Lauermann ist es wichtig, dass sie sich trotz ihrer Erkrankung „angenommen und ernst genommen fühlen“, weitestgehend selbstbestimmt leben und sich innerhalb des „Quartiers“ frei bewegen können.
WGs hauswirtschaften autark
Dazu gehört auch, dass es keine Großküchenversorgung oder eine Zentralwäscherei gibt. Jede WG hat ihre eigene Haushaltskasse und entscheidet selbst, was auf den Speiseplan kommt. Geschnippelt, gekocht und gegessen wird gemeinsam mit den Betreuern. „Es kommt aber auch mal vor, dass ein Bewohner aus Haus A zum Mittagessen die Quartiersnachbarn in Haus B besucht, weil es dort seine geliebten Pfannkuchen gibt“, schmunzelt Lauermann.
Wenn Bernd Lauermann von einem „Quartier“ spricht, dann meint er damit, dass es sich zwar um ein zum größten Teil offenes, aber dennoch geschütztes Wohnumfeld für Menschen mit dementieller Erkrankung handelt: „Die Wohngemeinschaften stellen die Nachbarschaft dar, in der sie sich meist schon nach kurzer Eingewöhnungsphase zuhause fühlen.“
Straßen, Bänke, Spazierwege
Die zumeist einstöckigen und barrierefreien Häuser sind um einen großen Gemeinschaftsplatz herum gebaut, das großzügige Grünflächenareal – mit eigenen, fiktiven ‚Straßennamen‘, gepflasterten Spazierwegen und zahlreichen Sitzgelegenheiten – ist mit einem niedrigen Zaun eingefasst.
Auf dem Gelände gibt es einen Hühner- und einen Kaninchenstall sowie kleine Gartenparzellen: „Viele unserer Bewohner kümmern sich gerne um die Tiere oder haben Freude daran, Gemüse und Blumen zu pflanzen und zu pflegen“, hat Lauermann beobachtet. Wer möchte, wird zum Wochenmarkt, zu kulturellen Veranstaltungen oder ins Café begleitet: „Die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gesellschaft erhält bei Demenzkranken die Lebensfreude.“
Daher legt die Einrichtungsleitung viel Wert darauf, dass die Bewohner Kontakt zu Familie, Freunden, Vereinen oder ihrer Kirchengemeinde halten: „Besucher können sich hier gerne in das Tagesgeschehen einbringen“, sagt Lauermann. „Eine Runde Skat spielen mit dem Vater oder mit der Mutter in der Küche einen Kuchen backen, in der Caféteria Geburtstage mit der ganzen Familie feiern, auf der Terrasse grillen – all das ist selbstverständlich möglich.“
Mieter mit ambulanter Pflege
Was der große Unterschied zu herkömmlichen Pflegeeinrichtungen ist: Die Bewohner (beziehungsweise deren Angehörige) schließen keinen Heimvertrag, sondern einen Mietvertrag ab. Alle benötigten Pflege- oder sonstige Hilfsleistungen können modular dazu gebucht werden. „Entweder über unseren eigenen ambulanten Pflegedienst oder über einen beliebigen anderen ambulanten Anbieter“, betont Lauermann. Auch Ärzte, Fachärzte, Physiotherapeuten oder Dienstleister wie beispielsweise Fußpfleger oder Friseure sind frei wählbar und kommen ins Haus.
„Wir betreuen Menschen mit Demenz im Anfangsstadium ebenso wie mit fortgeschrittener Erkrankung, stellen die ständige Anwesenheit von Fachpflegekräften sicher und gewährleisten eine palliativmedizinische Begleitung in der letzten Lebensphase“, betont Lauermann.
Pflege, Betreuung und Service-Wohnen
Das Konzept des Halveraner „Haus Waldfrieden“ will Lauermann auch auf dem derzeit ungenutzten Bethel-Areal in Breckerfeld-Zurstraße umsetzen. Entstehen soll hier – größtenteils in Bungalowbauweise – ein Quartier mit Wohngemeinschaften für insgesamt 54 an Demenz erkrankte Menschen. Hinzu kommen 24 seniorengerechte „Service-Wohnungen“ für Angehörige oder nur teilweise Pflegebedürftige. „Mit der neuen Einrichtung würden gut 80 Arbeitsplätze, darunter auch Teilzeitstellen, geschaffen“, sagt Bernd Lauermann. „Unser Wunsch ist es, die Bewohner dann auch in das ‚Dorfleben‘ und die bereits vorhandenen Angebote für Senioren integrieren zu können.“
Änderung des Bebauungsplans
Die Breckerfelder Stadtvertretung hat am 12. Dezember 2023 bereits dem Entwurf zur Änderung des Bebauungsplans hinsichtlich der baulichen Nutzung zugestimmt, denn: „Bisher war es als Sondergebiet für eine Heil- und Pflegeanstalt (Anstalt Bethel) ausgewiesen. Der damals verfolgte planerische Wille beziehungsweise Leitgedanke, der die Pflege und Heilung von Menschen zum Inhalt hatte, hat sich nicht wesentlich verändert“, heißt es in der öffentlich einsehbaren Bekanntmachung.
Einladung zur Bürgerversammlung
Nun sollen in einer Bürgerversammlung auch den betroffenen Bewohnern des Ortsteils Zurstraße und allen anderen Interessierten das Bauvorhaben vorgestellt und die Auswirkungen der vorgesehenen Bebauungsplanänderung erörtert werden. Neben Bernd Lauermann als Investor werden auch Vertreter des Architekturbüros H+B Stadtplanung und aus der Stadtverwaltung anwesend sein. Im Anschluss soll es für die Bürger Gelegenheit geben, sich zu äußern oder Fragen zu stellen.
Die Bürgerversammlung am Montag, 5. Februar, beginnt um 19 Uhr und findet im Mehrzweckgebäude Zurstraße, Waldbauerstraße 18, statt.