Die Jedermänner des Wiblingwerder Turnvereins sind schon so etwas wie ein Sondereinsatzkommando. Wenn im Dorf Hilfe benötigt wird, sind sie da. Jetzt hat der Heimatverein um Hilfe gerufen. Kurzfristig. Am Dienstag informierte der Vorsitzende Jens Grote seine Männer über die WhatsApp-Gruppe. Mittwoch sollen sie sich anstatt in der Sporthalle mit Arbeitskleidung an der Heimatstube einfinden. Die obere Etage muss geräumt werden – gesagt, getan.
Die Sachen müssen raus, weil am Montag die Sanierungsarbeiten beginnen. Es gibt Statikprobleme. Ein neues Dach muss her und die Zwischendecke wird verstärkt. Das komplette Obergeschoss muss folglich geräumt werden. Neben der sogenannten „guten Stube“, gibt es einen weiteren Raum mit unzähligen Exponaten. „Bei manchen frage ich mich, wie die da mal hochgekommen sind“, sagt Gerd Schröder mit Blick auf den komplett vollen Raum im Dachgeschoss.
In der Heimatstube geht es schon früh am Abend wuselig zu. Es werden Kisten gepackt. Martina Knipps und Kim Edelhoff sind schon eifrig dabei. Wenn die Männer kommen, müssen die Kisten fertig sein. „Vieles ist schon verpackt, aber eben nicht alles“, erzählt der Vorsitzende Gerd Schröder. Noch nicht in Kisten sind beispielsweise unzählige Bügeleisen. „Man kann da richtig schön die Entwicklung sehen, kein Modell ist doppelt – und wie schwer die waren, keine Ahnung, wie man damit bügeln konnte“, erzählt Martina Knipps lachend und wuchtet den schweren Karton in Richtung Treppe. Bei einem Umzug wird bekanntlich auch ausgemistet, aber Müllbeutel sind nicht zu sehen. „Ja, das stimmt. Wir tun uns schwer damit, Dinge auszusortieren. In einigen Bereichen würde das sicherlich Sinn machen. Aber viele Dinge sind Spenden von Wiblingwerdern, denen wir versprochen haben, die Dinge zu behalten“, erzählt Martina Knipps. Zudem seien sie einfach Dokumente der Zeitgeschichte: „Hier haben wir beispielsweise jede Menge Telefone. Von der Feldpost über Bakelit Telefon bis hin zum Telefon mit Wählscheibe.“ Sie habe immer wieder bei Führungen erlebt, dass gerade Jugendliche gar nichts mehr mit einer Wählscheibe anfangen können. „Wenn das hier mal alles fertig ist, müssen wir uns überlegen, wie man das irgendwie schöner ausstellen kann, damit die Teile auch mehr zur Geltung kommen“, sagt Knipps.
Zur Geltung bringen möchte Gerd Schröder gerne einen historischen Spritzenwagen von 1904. „Der war hier oben im Einsatz und wurde von Pferden gezogen. Leider verstaubt er einfach nur. Aber so ein Umbau ist ja immer auch eine gute Gelegenheit, mal alles zu überdenken.“

Viel Zeit zum Überlegen gibt es nicht, denn die Jedermänner rücken an. Gut gelaunt und voller Tatendrang. „Ohne die würden wir das gar nicht schaffen. Allein aus unseren Mitgliedern heraus wäre das einfach unmöglich“, erzählt Sebastian Brinker. Jedermann Thomas Bäcker hat sogar seinen Pritschenwagen dabei, damit die Exponate nicht so weit geschleppt werden müssen. „Ich habe keine Ahnung, was uns da erwartet, aber es wird schon klappen“, sagt Jens Grote.
Schnell werden die Aufgaben verteilt. Für die leichten Dinge soll eine Menschenkette gebildet werden. Vom Ausstellungsraum und der guten Stube werden die Dinge die schmale Treppe hinuntergereicht im Hof gesammelt und dann verladen. Klingt einfach, doch schon als die ersten Männer oben ankommen, ist allen klar: So einfach wird das heute Abend nicht. „Oh, mein Gott“, stöhnt ein Sportler beim Blick in den Ausstellungsraum. „Voll ist da wohl eher untertrieben gewesen.“ Kisten, Maschinen, Möbel – bis unters Dach. „Ich bezweifle, dass das heute was wird“, entgegnet sein Kumpel. Doch jammern hilft nicht, Ärmel hochkrempeln und los geht’s. „Wir fangen mit Stühlen an“, rufen die Männer von oben. Und schon wandert der erste Stuhl durch die Menschenkette.
Unzählige Stühle kommen so nach unten. Der ganze Hof steht voll. So schnell können die Männer draußen die Möbel gar nicht verladen. „Mein Gott, wie viele Stühle passen da rein? Das ist doch gar nicht so groß“, wundern sich die Männer vor der Tür. „Viele, das ist der Raum, in dem unter anderem Trauungen stattfinden“, erklärt Gerd Schröder. Nachdem zwei Ladungen Stühle in den ehemaligen Grundschulcontainern verstaut wurden, geht es weiter – Schlag auf Schlag. Jetzt sind die Kartons dran. Von denen sind manche schwerer als gedacht? „Was ist da drin? Steine?“ „Nein, das sind Bügeleisen“, erklärt Martina Knipps. Die Männer gehen aber auch ein bisschen auf Entdeckungstour. „Weißt du, was das ist?“ „Ach, guck mal, das kenne ich auch noch von meiner Oma.“ Ein besonderes aber unscheinbares Exponat wandert die Treppe herunter. „Das ist eine Sparküche“, erklärt Martina Knipps. Die Sparküche sieht eher aus wie ein unscheinbares Schränkchen. „Um Holz und Kohle zu sparen, wurden darin Speisen warmgehalten“, erklärt sie.
Stolz sind die Mitglieder des Heimatvereins auch auf die Post. „Das ist die erste Post von Wiblingwerde, inklusive Fernschreiber. So sah das damals aus“, berichtet Martina Knipps. Doch, wo war eigentlich die erste Post? Die Männer beginnen zu diskutieren. „Bei Dresel?“ „Ach ne, das Gebäude ist ja noch gar nicht so alt.“ Und so geht es eine ganze Weile hin und her. Roderich Knipps löst auf: „Auf der Höh 1, bei Kullmanns.“
Seit mehr als einer Stunde räumen die Jedermänner bereits. Und es wird deutlich leerer. „Ich hätte nicht gedacht, dass es doch so schnell geht“, freut sich Martin Hohage von den Jedermännern. Doch die „richtig dicken Dinger“, kommen noch. Martin Hohage sieht eine Brotschneidemaschine. Die möchte er noch eben die Treppe runter bringen. Doch: „Alter Schwede, was ist denn das für ein Teil. Heb mal hoch“, ruft er seinem Kollegen zu. Was klein und leicht aussieht, entpuppt sich als schwerer Trümmer. „Die stammt noch aus der alten Bäckerei Winkhaus, die nebenan war“, weiß Martina Knipps. Die Männer interessiert das erstmal wenig – sie müssen überlegen, wie sie das Ding die Treppe hinunterbekommen.
Andere versuchen sich derweil an den landwirtschaftlichen Maschinen. Die Wannenmühlen könnten eventuell noch die Treppe hinuntergetragen werden. Während die Männer im Ausstellungsraum überlegen, wie das Gerät unten um die Kurve passen könnte, gibt es nebenan ganz andere Probleme. „Die haben die Kabel unter den Putz gelegt“, ruft einer der Männer. Das Problem ist offenbar ein großer Wandschrank. Dort wurde nachträglich eine Beleuchtung eingebaut. Die Kabel dafür wurden nicht normal in eine Steckdose gesteckt, sondern direkt in die Wand eingearbeitet. Und dann passiert es doch: Es klirrt und kracht. Die große Wanduhr ist kaputt. Im Eifer des Gefechts ist sie gefallen. Aber tatsächlich ist es das einzige von bestimmt tausend Teilen, das am Abend kaputt geht.
Zurück zur Wannenmühle. Die Männer haben entschieden, es zu versuchen. Die stärksten Kräfte rücken an. „Wir brauchen noch Hilfe unten!“ Stufe für Stufe wird die Maschine nach unten geschleppt. Direkt nebenan steht eine Getreidemühle, die zart dagegen wiegt. „Komm, wir nehmen die“, ruft Mike Hohage seinem Vater zu. Doch die beiden Männer merken schnell: „Das wird nix.“ Wie hat man das schwere Gerät wohl hier hoch bekommen? „Keine Ahnung. Wir alle kennen nur den Zustand, dass die Geräte da oben waren. Aber bestimmt nicht über die Treppe. Vielleicht über die Dachluke“, vermutet Gerd Schröder. Doch Thomas Bäcker ist sicher: „Durch die Luke passt das nicht.“ Der Tiefbauer entscheidet: „Wenn das Dach ab ist, komm ich mit dem Bagger und hebe die Dinger raus. Alles andere wird nicht funktionieren.“
Kim Edelhoff hat derweil ein besonders Teil gefunden: „Das ist eine Barttasse aus den 1920er-Jahren. Damals waren Schnäuzer in Mode. Und damit die beim Kaffeetrinken nicht nass wurden, gab es dafür extra eine Aussparung am Tassenrand.“ Die Männer kämpfen inzwischen mit einer XXL-Nähmaschine. „Die stammt aus dem Besitzt der Familie Grennigloh. Die hatten früher ein Geschäft an der Bachstraße“, erklärt Martina Knipps.
Gut zwei Stunden sind inzwischen vergangen. Die Jedermänner sind kräftig ins Schwitzen gekommen. Arme und Beine werden langsam schwer. Endspurt. „Ich bin wirklich sprachlos, wie schnell das jetzt ging. Wir sind einfach nur dankbar“, sagt Sebastian Brinker. Oben werden gerade noch die Heugabeln und Rechen, die unter der Decke hingen, abgenommen. Thomas Bäcker fährt noch eine letzte Tour zu den Containern. Dann ist es geschafft. Zeit für ein kühles Bier.
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Im Erdgeschoss müssen die Mitglieder des Heimatvereins nun nur noch alles abdecken, um Möbel und Exponate vor Baustaub zu schützen und dann können die Arbeiten am Montag beginnen. Die Heimatstube ist für die Dauer der Sanierungsarbeiten gesperrt.
Vortrag über Richard Schirrmanns Wanderbewegung (Update 3.2.2025: Die Veranstaltung fällt aus)
Einen Vortrag zum Thema „(Fast) umsonst und draußen. Bilder vom Jugendwandern popularisieren die Wander- und Jugendherbergsidee“ bietet der Heimat- und Verkehrsverein am Montag, 3. Februar ab 19 Uhr in der Gaststätte „Zur schönen Aussicht“ an. Christiane Cantauw, langjährigeGeschäftsführerin der Kommission Alltagskulturforschung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, berichtet von den Anfängen des Jugendherbergswerks im Sauerland und davon, welche Rolle Bildmedien bei seiner Popularisierung gespielt haben. Frau Cantauw hat zahlreiche teils über 100 Jahre alte Fotografien aus der Sammlung Richard Schirrmanns im Gepäck, die veranschaulichen, wie Schülerinnen und Schüler gewandert sind, wo sie übernachtet und was sie auf ihren Wanderfahrten sonst noch alles gemacht haben. Der Eintritt ist frei.