Pandemiebedingt wurde die Gastro-Mehrwertsteuer ab dem 1. Juli 2020 auf sieben Prozent gesenkt, doch nun blicken Gastronomen mit Sorge auf die Anhebung zum Jahresbeginn. LokalDirekt sprach dazu mit Christian Breddermann („Kunst- und Kulturcafé“, Schalksmühle), Marc Haarmann („Litfass“, Halver), Ernst Willi Funke („Haus Berkenbaum“, Kierspe), Jochen Bernsdorf („Haus Glörtal“ und „Hotel zur Post“, Breckerfeld / Schalksmühle) und Tim Paulsen („Cattlemen’s“, Halver).
Größtes Ärgernis in der Gastro-Branche: Olaf Scholz hat während seines Wahlkampfs im September 2021 in einem TV-Auftritt versprochen: „Wir haben die Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie gesenkt […] in dem sicheren Bewusstsein: Das schaffen wir nie wieder ab.“ Dennoch gibt es auch Verständnis: „Jetzt nur gegen den Kanzler zu wettern, ist mir ein bisschen zu kurz gegriffen. Eventuell hat er sich im Wahlkampf etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt“, so Breddermann. Er betonte gegenüber LokalDirekt, „dass der Kanzler so eine Entscheidung nicht alleine treffen kann, sondern sie auch durch das Parlament bringen muss.“
„Jenseits von Gut und Böse“: Steigende Kosten neben Steuererhöhung
Anders sieht das Haarmann, Inhaber des „Litfasses in Halver.“ Er ist von der Politik in Deutschland enttäuscht, genau wie sein Kiersper Kollege Ernst Willi Funke. Funke betreibt gemeinsam mit seiner Familie das „Haus Berkenbaum“. Er ist der Meinung „dass wir die unfähigste Regierung haben, die Deutschland je gesehen hat.“ Für Haarmann und Funke ist nicht nur die Steuererhöhung in der Gastronomie ein Ärgernis, sondern auch die steigenden Kosten. „Die Preise für Energie gehen hoch, die Lebensmittelpreise im Einkauf sind jenseits von Gut und Böse und die im Dezember deutlich gestiegene Maut tut ihr übriges“, beklagen sie.
„Diese Preissteigerungen müssen an die Kunden weiter gegeben werden“, befürchtet Jochen Bernsdorf, Betreiber des Haus Glörtal in Breckerfeld und Hotel zur Post in Schalksmühle. Wie seine Mitstreiter ist auch er der Mehrwertsteuersteigerung gegenüber „nicht positiv gestimmt.“
„Schlechtes Timing“: Krisen reihen sich aneinander
Auch Tim Paulsen, Inhaber des Restaurant „Cattlemen’s“ in Halver, kritisiert: „Das Timing kann nicht schlechter sein, dieser Aspekt findet viel zu wenig Beachtung. Da hätte die Politik ansetzen müssen.“ Damit sieht er es genau wie Breddermann: „Zwar ist die Corona-Krise vorbei, aber sie wurde von anderen Krisen abgelöst, daher hätte man einige Maßnahmen auch verlängern können.“
Die Befragten sind sich einig, dass die Gastronomie noch nicht auf einem „Vor-Corona-Niveau“ ist. Dies belegen Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Die inflationsbereinigten Umsätze aus dem Zeitraum Januar bis September 2023 liegen 11,7 Prozent unter den Umsätzen des gleichen Zeitraumes im Jahr 2019.
Sorge: Restaurant-Besuch als Luxus-Gut
Die meisten der Gastronomen sind sich im Gespräch mit LokalDirekt sicher, dass sie die Preise erhöhen müssen. Und damit wächst die Sorge, dass in der Folge die Kunden ausbleiben könnten. „Essen gehen wird Luxus werden für viele Leute“, befürchtet Haarmann. „Man muss an die Leute denken, die nicht so viel haben.“ Auch Funke findet: „Gastronomie ist Lebensqualität, da wird gelacht, gemeinsam Zeit verbracht.“ Paulsen sieht es ähnlich: „Es bleibt kaum etwas anderes übrig, als gemeinsam Essen zu gehen, wenn man gemütlich beisammen sitzen möchte.“
Paulsen überlegt, wie er Kosten sparen kann. Bei einem Punkt sind sich jedoch alle einig: „Wir haben so tolles Personal, wir möchten da nichts kürzen“, fasst es Funke zusammen. Ganz im Gegenteil, Haarmann ist etwa seit knapp sechs Monaten auf der Suche nach einem neuen Koch. Ebenso einig sind sie sich mit ihrer politischen Stimme: Der „Deutsche Hotel- und Gaststättenverband“ (DEHOGA) habe bei Kundgebungen an verschiedenen Standorten viele tausend Gastronomen vereinen und ein deutliches Zeichen setzen können. „Die Lobby ist zwar da. Wir haben einen guten Verband mit der DEHOGA, aber es scheint keinen zu interessieren,“ beschreibt Bernsdorf seinen Eindruck.
Folgen für Kita- und Schulverpflegung
Auch wenn die DEHOGA mit Kundgebungen und Informationsveranstaltungen versucht aufzuklären: Die Gastronomen haben Angst, dass die Kunden die Gründe für die angehobenen Preise nicht verstehen: „Ich sehe jetzt schon Diskussionen aufkommen. Wenn ich die Preise steigere, denken die Gäste womöglich, dass ich mir das Geld in die eigene Tasche stecke,“ so Bernsdorf. Dabei herrscht unter den Gastronomen der Tenor, dass die Gewinnmargen nicht groß genug sind, um die steigenden Kosten aufzufangen.
Der DEHOGA sieht noch ein weiteres Problem: Auch Kita- und Schulverpflegung würden mit der Anhebung teurer werden. Haarmann erklärt: „Ein Kindergarten, der sich das Essen anliefern lässt, kauft es mit sieben Prozent ein, ein Kindergarten, der sich das Essen vor Ort von der eigenen Köchin zubereiten lässt, muss das mit 19 Prozent weiter verkaufen.“
Resignation und Unverständnis
Und noch eine Schwierigkeit sehen die lokalen Gastronomen: Während das Essen im Restaurant mit 19 Prozent besteuert werden soll, bleibt der Steuersatz für die „Take-Away-Gastronomie“ bei sieben Prozent. „Man fühlt sich als Vor-Ort-Gastronomie etwas veräppelt,“ sind sich Paulsen und Haarmann einig. „Irgendwann resigniert man“, bedauert Paulsen. Noch komplizierter wird es bei Breddermann: Für einen „Latte Macchiato“ mit Kuhmilch muss er sieben Prozent Mehrwertsteuer abrechnen, für einen „Latte Macchiato“ mit Sojamilch 19 Prozent. „Ich halte es für undurchsichtig, unlogisch und als ein Damoklesschwert, das über der Gastro hängt, man hat Angst, dass man etwas falsch macht.“
Unisono gehen die Gastronomen von einer Schließungswelle, gerade im ländlichen Bereich, aus. Laut einer DEHOGA-Umfrage von Juli 2023 müssen rund 12.000 Betriebe aufgrund der Steigerung der Mehrwertsteuer schließen. Nach 36.000 Betriebsaufgaben in der Pandemiezeit setzt sich der Trend damit fort und es erreicht laut dem statistischen Bundesamt erneut einen neuen Niedrigstwert. Bernsdorf bilanziert: „Es ist schwierig, wir kämpfen.“