Im Vorfeld der Online-Veranstaltung, zu der Plettenberger Schulen und die Psychologische Beratungsstelle des Diakonischen Werkes am 23. September einladen, hat das Team die Digital-Expertin Leonie Lutz interviewt. Die Fragen wurden von der Autorin schriftlich beantwortet.
Sie gelten als Digitalexpertin und sind Mutter von zwei Kindern. Ihre Bücher heißen „Begleiten statt verbieten“ und „Verstehen statt verlieren“. Wieso kommt es beim Thema „Mediennutzung“ zu Konflikten in Familien?
Häufig sind wir als Eltern selbst nicht mit digitalen Medien groß geworden. Es fehlt uns also an Erfahrungswerten, auf die wir zurückgreifen können. Und das verunsichert uns. Hinzu kommt, dass wir medial immer wieder Schlagzeilen zu Killerspielen oder Mediensucht lesen – das kann unsere Sorge verstärken. Denn wir wollen unser Kind ja gut geschützt wissen. Und dann neigen wir dazu, das Zocken oder auch generell digitale Geräte zu verteufeln. Diese Sicht passt vielen Kids nicht. Denn in ihrer Lebenswelt ist Digitalität einfach da, gehört dazu und ist ausgesprochen wichtig. Wir können diesem Konflikt daher nur begegnen, wenn wir uns öffnen, uns mit den Themen beschäftigen und Bescheid wissen, wie die digitale Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen wirklich aussieht. Wenn wir Gefahren und Risiken kennen, gleichermaßen aber auch die Chancen sehen, entsteht ein realistisches Bild auf digitale Medien. Und dann können wir unsere Kinder auch auf diesem Weg begleiten.
Erleben Sie als Mutter und Expertin selbst Konflikte mit Ihren Kindern in Bezug auf die Mediennutzung?
Selbstverständlich. Meine große Tochter war in ihrer Klasse damals das letzte Kind, das ein Smartphone hatte. Dadurch fühlte sie sich ausgegrenzt, war nicht Teil des Klassenchats etc. Bei meiner kleinen Tochter gehe ich daher den begleiteten Weg. Smartphone nur mit gewissen Apps und ohne Social Media, wir zocken zusammen, so dass ich ihre Spiele kennenlerne und sprechen sehr viel darüber, was in ihrer digitalen Lebenswelt so passiert.
Kinder werden in vielen Lebensbereichen sehr behütet. Gleichzeitig scheint es, als würden sie im Umgang mit digitalen Medien oft allein gelassen. Wie erklären Sie sich dieses Ungleichgewicht?
Ich denke, die Eltern würden sich wünschen, dass die Themen in der Schule besprochen werden, und die Lehrkräfte sagen zurecht, dass Geräte wie Smartphones in der elterlichen Verantwortung liegen. Außerdem fehlt es an Fortbildungen für Lehrkräfte. Ich denke daher, es kann nur zusammengehen: Elternhaus und Schule müssen mit Kindern über die Gefahren und Chancen sprechen, um digitale Phänomene zu reflektieren.
Können Kinder selbst wahrnehmen, dass Medien auch eine Störquelle sein können?
Erst ab einem gewissen Alter, das sehr individuell ist. Werden Kinder digital begleitet, gehört auch dazu, sie zu animieren, die Dinge im Internet zu hinterfragen. Tut dir das wirklich gut, was du dir anschaust? Wie fühlst du dich nach diesem bestimmten Spiel? Und gibt es vielleicht ein Spiel, nach dem du dich besser fühlst?
Das Smartphone gehört für viele Kinder und Jugendliche zum Alltag. Einige fordern inzwischen ein Verbot von Smartphones an Schulen. Wie stehen Sie zu dieser Idee?
Ich denke, das sollte jede Schule für sich entscheiden. Es gibt digitale Modellschulen, die sind technisch so gut ausgestattet, da braucht es keine privaten Smartphones der Schüler. Ich kenne aber auch Schulen, die zu wenige iPads haben und die Schüler dann auf ihre privaten Geräte für den schulischen Einsatz zurückgreifen müssen. Hinzu kommt: wenn ich etwas verbiete, muss ich auch die Kapazitäten haben, es zu kontrollieren.
Auch Eltern verbringen mitunter (zu) viel Zeit an digitalen Geräten. Welche Auswirkungen kann das auf ihre Kinder haben?
Kinder lernen durch Beobachten. Sind die Eltern also selbst ständig nur an den Geräten, wird es schwierig, ihnen eine reflektierte Nutzung beizubringen. Vorleben gehört ja nun auch dazu.
Welche Strategie nutzen Sie selbst, um Ihre Smartphone-Zeit im Alltag zu begrenzen?
Das ist bei mir schwierig, weil mein Smartphone mein wichtigstes Recherche- und Arbeitstool ist. Social Media nutze ich aber eher, um Inhalte zu teilen und weniger zum Konsum, das hilft schon mal sehr. Ansonsten habe ich alle Benachrichtigungen deaktiviert. WhatsApp-Nachrichten lese ich also nur, wenn ich die Zeit dafür habe und nicht, weil WhatsApp mir eine Push-Nachricht schickt.
Digitale Medien entwickeln sich rasant weiter und ihre Auswirkungen werden unterschiedlich bewertet. Gab es in den letzten Jahren einen Punkt, an dem Sie Ihre Einschätzung verändert haben?
Ja, tatsächlich. Bei TikTok. Da habe ich früher noch gesagt, TikTok sei Fluch und Segen. Mittlerweile ist die App mehr Fluch als Segen. Ich halte sie für hochgefährlich, denn die Inhalte haben sich massiv verändert und die Nutzer werden immer jünger. Hier bräuchte es dringend schützende Maßnahmen seitens der Politik.
Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz Ihrer Einschätzung nach künftig im Familienalltag spielen?
Künstliche Intelligenz kann beispielsweise Helfer bei der Organisation und Planung von Kindergeburtstagen sein oder Ideen fürs Kochen liefern. Für unsere Kinder kann sie aber auch ein individueller Lernbegleiter sein: durch Hausaufgaben-Erklärungen, als Vokabeltrainer oder für personalisierte Matheübungen, die Schritt für Schritt beschreiben, wie man zur Lösung kommt. Die wichtigste Rolle von uns Eltern bleibt, Kinder zu einem bewussten und selbstbestimmten Umgang mit KI zu führen und sie für die Risiken zu sensibilisieren. Was nämlich nicht passieren darf ist, dass eine KI echte Gespräche, echte Freundschaften ersetzt. Das kann gefährlich werden.
Welche zentrale Botschaft würden Sie Eltern gerne mit auf den Weg geben?
Digitale Medien sind weder nur Chance noch nur Gefahr – aber Alltag. Entscheidend ist, dass wir unsere Kinder nicht allein lassen, sondern sie neugierig, offen und gleichzeitig kritisch auf diesem Weg begleiten. So lernen sie, die Möglichkeiten bewusst zu nutzen und mit Risiken reflektiert umzugehen.
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