Eigentlich war die Aktion noch gar nicht geplant. Steinmetz Hans-Gerd Berns war in Nachrodt, um die Prinzipalien von der Kirche in die Kapelle St. Michael zu bringen. Da noch genug Zeit war, schlug er vor, die Aktion mit dem Altar heute durchzuführen. Beim Blick in die Kirche, musste die Pfarrbeauftragte Sandra Schnell schon ein wenig schlucken: „Vor vier Tagen haben wir hier noch unseren letzten Gottesdienst gefeiert, jetzt sieht es schon nach Baustelle aus.“
Alles, was aus der Kirche raus und in die Kapelle rein soll, ist weg. Lediglich der Altar ist noch da. Laut Kirchenrecht ist dieser nach der Profanierung zu zerschlagen. Ganz so brutal wurde es aber nicht. Vor der Kirche hatten sich unter anderem die Kinder vom katholischen Kindergarten St. Elisabeth versammelt und auch ein paar Interessierte hatten von der spontanen Aktion erfahren und kamen. Alle interessierte vor allem eines: Was ist im Altar versteckt?

„Für mich selbst ist das Aufgeben einer Kirche auch völlig neu. Ich musste mich auch erst einlesen“, erzählte Sandra Schnell. Steinmetz Hans-Gerd Berns ist da schon erfahrener: „Wir bauen definitv mehr Kirchen ab als auf. Wir haben das schon ein paar Mal gemacht.“ Für die Kindergartenkinder war der Ausflug einfach nur ein großes Abenteuer. Und schnell war auch klar, wie gut sie ihre Kirche kennen. „Wo ist denn das Kreuz? Am Sonntag hing es doch noch da“, fragte ein Mädchen in der ersten Reihe. Sandra Schnell erklärte, dass viele Dinge aus der Kirche heute schon nach St. Michael gebracht wurden. Auch der Kreuzweg und das Marien-Mosaik wurden bereits entfernt. Daran erinnern nur noch die Abdrücke an den Wänden. Die Zeit drängt. Am Sonntag muss in der Kapelle alles fertig sein. Dann feiern die Nachrodt-Wiblingwerder Katholiken dort ihren ersten Adventsgottesdienst.
Sandra Schnell nahm sich viel Zeit für die kleinen Besucher. „Wisst ihr, ein Altar ist ein bisschen wie eine Schatzkiste. Schätze sind ja auch gut versteckt und verschlossen“, erklärte die Pfarrbeauftragte. „Sind da Diamanten drin?“, fragte ein Junge. „Nein, was genau darin ist, weiß ich auch nicht. Aber es sind irgendwelche Sachen von Heiligen. Kennt ihr Heilige?“, fragte Schnell die Kinder. Klar, zwei fielen ihnen sofort ein: „St. Martin kenne ich.“ „Und der Nikolaus ist auch heilig.“ „Warum sind die Heilig?“, fragte ein anderes Kind daraufhin. Sandra Schnell erklärte, dass Heilige Menschen waren, die besonders fest an Gott geglaubt haben – auch oder gerade, wenn es ihnen nicht gut ging. „Die Geschichten von ihnen haben die Leute so bewegt, dass sie sie noch ganz lange erzählt haben“, berichtete die Expertin.

Die Heiligen, deren Andenken im Altar von St. Josef aufbewahrt wuerden, hießen Castus und Jucundus. „Die kennt vermutlich keiner hier so wirklich. Der eine lebte vor 1500 Jahren, der andere ist noch älter“, erklärte Schnell den Kindern. „Und was von denen ist da jetzt drin? Knochen?“ Die Kinder können es kaum noch erwarten. „Wie gesagt, ich weiß es selbst nicht. Ich vermute mal, dass da eine Kiste oder ähnliches drin ist. Die dürfen wir dann aber wahrscheinlich nicht öffnen“, sagte die Pfarrbeauftragte.
Das Steinmetz-Team machte sich ans Werk. Mit einer Steinsäge wurden die Fugen geöffnet. Ganz vorsichtig. Denn schließlich wusste niemand, ob der Schatz direkt am Rand lieg und so gegebenenfalls mitbeschädigt werden könnte. Daher wurde auch nicht zu tief gesägt. Mit einem kleinen Hammer überzeugte sich Hans-Gerd Berns immer wieder davon, wie der Fortschritt war. „Durch das leichte Klopfen hört man, ob die Platte locker ist und ob sich im Inneren etwas verändert“, erklärte der Duisburger.
Und dann war es tatsächlich so weit. Die Platte war lose und konnte entfernt werden. Mit großen Augen verfolgten die Kinder das Geschehen. Was da wohl drin ist? Gut eingepackt zwischen den Steinen lag ein kleines graues Päckchen mit roten Bändern. Vier Siegel waren darauf zu erkennen.
„Das Kästchen ist versiegelt, wir werden also vermutlich nie erfahren, was genau darin ist“, sagte Schnell und holte es heraus, um es den Kindern zu zeigen.

Übrigens ist selbst dieser Prozess streng reglementiert in der katholischen Kirche. So musste unter anderem ein Zeuge unterschreiben, dass alles richtig und würdig ausgeführt wurde. Anschließend brachte Sandra Schnell das Kästchen mit den Reliquien nach Altena. „Sie sind jetzt im St. Matthäus-Schrein“, berichtete die Pfarrbeauftragte. In der Kirche St. Matthäus sei eine Matthäus-Statue mit einem weiteren Tabernakel. „Dorthin habe ich sie überführt. Ganz im Stillen“, erzählte Sandra Schnell. Dort liegt der Altar-Schatz nun mit den anderen Reliquien aus bereits geschlossenen Kirchen.