„Letzte Chance“ ist der Titel des neuen Buches von Robin Alexander. Nachdem Markus Söder mit Blick auf die Koalition im Frühjahr von der „letzten Patrone“ gesprochen hatte, eine schwierige Titelwahl. Das räumte Robin Alexander bei der Lesung am Dienstagabend, 9. Dezember, ein.
In der Aula des Ev. Gymnasiums nahm der Autor die Besucher mit ins Kanzleramt, öffnete Türen für den Blick hinter den Politikbetrieb im Rampenlicht. Schnell wurde klar: Die Koalition darf nicht scheitern, wenn die Demokratie überleben soll. Das sei auch dem Kanzler und dem SPD-Chef Klingbeil bewusst. Selbst den Bruch von Merz‘ Wahlkampfversprechen, die Schuldenbremse nicht zu lockern, sah Alexander als sinnvoll an. Statt 15 Milliarden Euro, die der „Ampel“ fehlten und sie scheitern ließen, seien die mehr als 500 Milliarden neuer Schulden schlüssig. Denn: „Wir können uns auf die USA nicht mehr verlassen.“ Aufrüstung sei unabdingbar.
In den Lese-Parts schildert Alexander, wie in einer zuvor verpönten Nachtsitzung, bei der nach seinen Informationen offenbar auch ein zunehmender Alkoholpegel eine Rolle spielte, Verkehrsminister Wissing (FDP) versuchte, mit der Idee des 9-Euro-Tickets die Wogen zu glätten. Damit wollte er Lindners Forderung nach einem Tankrabatt und die ÖPNV-Förderung der Grünen unter einen Hut bringen. – „Der größte Erfolg der Grünen in der Ampel“, so Alexander. Damit habe die Klimakoalition beschlossen, Auto- und Bahnfahrer gleichzeitig zu fördern.
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„Politiker sind Zwängen ausgesetzt“
Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der „Welt“ und häufiger Gast in etlichen Talkshows, gelingt es, Politik-Routine und menschliche Aspekte zu verbinden, „weil sich das besser liest“. Und er wirbt um Verständnis: Auch Politiker handeln unter Zwängen, können nicht frei agieren, werden „eingefangen“. Es müsse deutlicher werden, wenn etwas klappt, meint der Autor im Gespräch mit Moderator Terry Albrecht.
Ein Beispiel für ihn: die „Bunkerrunde“. Noch vor dem Einmarsch der Putin-Truppen in die Ukraine drohte den Deutschen ein Gasmangel. Die Runde sei nicht in den Medien thematisiert worden, habe aber dafür gesorgt, dass wir im Winter 2021/22 nicht frieren mussten. Kanzler Scholz, Vize-Kanzler Habeck, Finanzminister Linder und eine Handvoll Experten haben dazu in geheimer „Bunkerrunde“ im Kanzleramt die Weichen gestellt. „Putin hat den Energiekrieg gegen Deutschland verloren. Der größte Erfolg der Ampel“, so Alexander. Und auch ein Beispiel dafür, dass die oft kritisierte Bürokratie und überbordende Verwaltung in Deutschland im Fall des Falles funktionieren. Wie auch bei der Bewältigung der Corona-Pandemie. „Das Gerede von Staatsversagen ist falsch“, betont Alexander.
Minderheitsregierung käme uns teuer zu stehen
Fragen aus dem Publikum, dass Medien zu viel Macht hätten und mit Kampagnen etwa zum Heizungsgesetz zum Scheitern Habecks beigetragen hätten, kontert Alexander mit dem Verweis auf den Bedeutungsverlust der „klassischen“ Medien. Längst bestimmten Algorithmen der Tec-Konzerne den Mainstream. Eine Minderheitsregierung, die manche sich wünschten, lehnt er ab. „Wenn es in der Koalition schon keine Mehrheit gibt, wieso denn in einer Minderheitsregierung?“ Da müsse, für teure Zusagen, jedes Detail neu verhandelt werden. Ein No-Go.
Die 270 Besucher erlebten einen informativen und unterhaltsamen Abend. Kenntnis- und detailreich, aber nie abgehoben, schilderte Robin Alexander verständlich und nachvollziehbar seine Haltung. Ob Europa zwischen den USA und Russland zerrieben wird, der Krieg sich ausweitet? Auch der gut informierte Politik-Kenner weiß nicht alles. Immerhin: Ein bisschen Hoffnung konnte er vermitteln. Mit 450 Millionen Menschen sind die Europäer nicht gerade wenig. Ein Faktor, wenn sie sich einig sind. Zudem hat sich die demokratische Mitte, zumindest in Deutschland, immer noch zusammengerauft, hat Lösungen gefunden. Es ist eben nicht alles schlecht. Die „Letzte Chance“ – sie lebt.









