Die Protest-Aktionswoche der Landwirte ist gerade beendet, da kündigen sie schon neue Demonstrationen gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Bundesregierung an. Auch Halver ist geprägt von landwirtschaftlicher Nutzfläche – die Landwirtschaftskammer NRW zählte zuletzt 79 landwirtschaftliche Betriebe auf insgesamt 4650 Hektar Fläche (Stand 2020). Ansässige Bauern und Landwirte sehen ihre Existenzen durch die Einsparungen bedroht, viele von ihnen schlossen sich Protesten an. Auch wenn Entscheidungen in Berlin und nicht in Halver fallen: Die Landwirte leben vor allem im ländlichen Raum, Lokalpolitiker bilden eine Brücke zu politischen Themen.
„Proteste sollen ohne Gewalt und frei von Hetze sein“
Martin Kastner, SPD
„Die Landwirte haben, genau wie alle anderen Bevölkerungsgruppen in unserer Gesellschaft, das Recht, auf ihre Belange mit Demonstrationen aufmerksam zu machen“, sagt SPD-Fraktionsvorsitzender Martin Kastner. Die Art der Kundgebung müsse sich im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bewegen, sollte verhältnismäßig und ohne Gewalt und frei von Hetze sein, findet er. Auch ob der Ort auf Straßen und an Verkehrsknotenpunkten, in Berlin oder vielleicht auch vor den Zentralen der großen Einzelhandelskonzerne richtig gewählt ist, liege in der Entscheidung der Verantwortlichen selbst. Denn neben der Agrarpolitik seit mehr als 30 Jahren, sei die Preispolitik der Marktführer eine Ursache für die schwierige Situation der Landwirtschaft.
Martin Kastner erinnert sich an ein Video von einem Protest, in dem ein junger Landwirt sagt, „Wir wollen von unserer Hände Arbeit leben, nicht von Subventionen.“ Der Sozialdemokrat betont, dass die heimische Landwirtschaft ebenso wie die Gastronomie am sichersten unterstützt würde, indem man regional einkauft und die Angebote der Gastronomen in Halver nutzt.
„Kürzungen schaden im weiteren Verlauf auch Verbrauchern“
Marvin Schüle, CDU
Nah an der Seite der Landwirte steht die CDU – auch in Halver. Das betont Fraktionsvorsitzender Marvin Schüle. „Wir sagen unseren heimischen Landwirten, dass wir ihre Empörung verstehen und ihre friedlichen und berechtigten Proteste unterstützen“, so Schüle. Seine Fraktion sei aber auch der Meinung, dass die Proteste am Ende zu einem Dialog zwischen der Bundesregierung und der Landwirtschaft führen müssen.
Zu den jüngsten Einsparplänen der Bundesregierung meint die Halveraner CDU, dass die Steuererstattung für den Agrardiesel erhalten bleiben müsse, „denn eine Streckung der Abschaffung über zwei Jahre ist nicht hilfreich und schwächt unsere heimische Landwirtschaft im Wettbewerb und katapultiert unsere Landwirte an die Spitze des EU-Durchschnitts.“
Schüle weiter: „Unsere Landwirtschaft hat keine Alternativen zum Dieseleinsatz, denn E-Traktoren sind für die schwere Feldarbeit ungeeignet. Ebenfalls ist die Steuererstattung für umweltfreundliche Biokraftstoffe schon im Jahr 2022 ausgelaufen. Die Kürzungen schaden im weiteren Verlauf auch Verbrauchern sowie der Umwelt und betreffen daher uns alle, weil zum Beispiel mehr Lebensmittel importiert werden müssten.“
Um zu sparen, solle die Bundesregierung stattdessen die Erhöhung des Bürgergeldes überdenken. Dieses stehe mit den nun vorgeschlagenen Erhöhungen für eine „Vollkaskomentalität“ und verzerre das Prinzip des Förderns und Forderns, so die CDU.
„Ursache liegt in Jahrzehnte fehlgeleiteter Agrarpolitik“
Matthias Clever, Bündnis 90 Die Grünen
„Unser Land steht vor enormen Herausforderungen“, beurteilen die Halveraner Grünen die derzeitige Situation. „Während einerseits die öffentlichen Kassen leer sind, muss der Staat andererseits alle seine Aufgaben erfüllen, während er die Energie-, Verkehrs-, Industrie- und Wärmewende schafft. Kürzungen waren nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes unausweichlich. Die Landwirte hat es mit zwei Maßnahmen besonders stark getroffen, während zum Beispiel Flugbenzin weiterhin steuerfrei bleibt“, finden Matthias Clever und Jana Schrage.
Sie sehen die Ursache in „Jahrzehnte fehlgeleiteter Agrarpolitik, die dramatische Folgen in der Landwirtschaft hinterlassen haben“. Die Bundesregierung müsse jetzt die Ursachen des Frustes vieler Landwirte an der Wurzel packen. „Milchbauern müssen faire Preise für ihre Produkte bekommen, damit sie langfristig nicht mehr von Subventionen abhängig sind. Dazu müssen auf Bundesebene die Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist für uns die Voraussetzung, um die Subventionen Schritt für Schritt auslaufen zu lassen“, so die Halveraner Grünen, die die langsame Kürzung der Agrarsubventionen für richtig halten, wohl aber auch die Wut der Landwirte verstehen können.
Und weiter: „Schon seit Jahrzehnten haben Landwirte, Wissenschaftler und Politiker erkannt, dass die Art, wie wir unser Land bewirtschaften und unsere Lebensmittel produzieren, auch zentrale Rollen für die ökologische Nachhaltigkeit, die Biodiversität und unser Klima spielen. Alle Beteiligten haben sich unter anderem in der Zukunftskommission Landwirtschaft zusammengesetzt und in ihrem Abschlussbericht 2021 Empfehlungen für die Schaffung eines nachhaltigen Agrar- und Ernährungssystems vorgelegt. Bisher wurden die Empfehlungen daraus leider kaum umgesetzt – eine Erfahrung, die Landwirte auch schon unter vorherigen Regierungen gemacht haben.“ Sie bräuchten, so Clever und Schrage, „klare gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen, damit sich Investitionen in mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit auch langfristig auszahlen.“
„Vertrauen ist die wichtigste Währung der Politik“
Dr. Sabine Wallmann, UWG
Die UWG in Halver befürwortet grundsätzlich den Abbau von Subventionen, politisches Handeln müsse aber berechenbar sein. „Die Abschaffung zweier Subventionen, die Jahrzehnte lang gezahlt wurden, mit einem Vorlauf von nur drei Wochen ist völlig unberechenbar“, ist sich die Fraktionsvorsitzende Dr. Sabine Wallmann sicher. Vertrauen sei die wichtigste Währung in der Politik und dieses Vertrauen habe die Bundesregierung mit ihrem Handeln nicht nur bei den Landwirten verspielt.
Es stelle sich, so Wallmann, mittlerweile heraus, dass die Bürokratie und die detaillierten Vorschriften, wie Betriebe zu führen sind, für Landwirte wie für viele andere Mittelständler das weitaus größere Problem ist. Der Weg könne nur sein, gemeinsam mit den Land- und Forstwirten eine langfristige Strategie zu entwickeln, die alle Bereiche einbezieht.
„Die Landwirte haben ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Demonstration friedlich und verantwortungsvoll ausgeübt und dabei eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung und aus dem Mittelstand bekommen. Dies gilt insbesondere für unsere heimischen Landwirte,“ betont Wallmann.
„Die Frage, die immer gestellt wird, ist: Nutzt das überhaupt etwas? Sie haben es meines Erachtens geschafft, dass ihre Probleme der Politik und der breiten Bevölkerung konkret verdeutlicht wurden.“ Das beziehe sich nicht nur auf den Agrardiesel, sondern insbesondere auf die überbordende Bürokratie, die mangelnde Planungssicherheit und die problematische Marktsituation – ein erster wichtiger Schritt, dass sich mittelfristig etwas ändern kann, unterstreicht Wallmann die Position der UWG.
Einsparungspotenzial im Bundeshaushalt sei aus Sicht des Kommunalpolitikers nur schwer zu beurteilen, so Wallmann weiter, da sich Analysen nur auf öffentlich zugängliche Daten stützen können. Beispiele zeigten, dass der Bund letztlich kein Einnahmeproblem, sondern ein Umsetzungsproblem habe. „Er ist nicht in der Lage, seine geplanten Projekte umzusetzen.“ Sparen könne man daher für 2024 „relativ einfach durch realistischere Pläne in den Ministerien“, findet Wallmann. Wichtig wäre auch eine Priorisierung der Projekte des EU-Wiederaufbaufonds, um zumindest die EU-Gelder zu erhalten und nicht verfallen zu lassen. Mittelfristig führe jedoch kein Weg daran vorbei, den größten Ausgabenposten des Haushalts genauer unter die Lupe zu nehmen, die Ausgaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit 174,7 Milliarden Euro, 40 Prozent des Gesamthaushalts.
„Regierungshandeln nicht planvoll und abgewogen“
Sascha Gerhardt, FDP
„Ich kann die Landwirte nur ermutigen, ihre Forderungen nachdrücklich zu vertreten“, sagt FDP-Fraktionschef Sascha Gerhardt. Zwar könne er im Detail nicht bewerten, ob die Landwirtschaftsbetriebe durch die finanziellen Belastungen in eine Schieflage geraten, da ihm die erforderliche Sachkenntnis fehle. „Allerdings kann ich grundsätzlich sagen, dass mir missfällt, dass das derzeitige Regierungshandeln nicht planvoll und abgewogen erfolgt“, so Gerhardt.
Der Liberale weiter: „Alle Maßnahmen der vergangenen Wochen, so auch die Maßnahmen, die nun die Proteste hervorgerufen haben, basieren auf den Folgen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Ursache hat also die Regierung selbst gesetzt, indem sie einen Koalitionsvertag geschlossen hat, der nur aufgrund eines verfassungswidrigen Haushalts umgesetzt werden konnte. Bislang geltende Regelungen werden daher aufgrund dieser Situation völlig ohne Vorankündigung zur Disposition gestellt. Die Gesellschaft wird insofern für das schlechte Regierungshandeln in Haftung genommen.“
Insgesamt halte er die gegenwärtige Situation für demokratiegefährdend, weil das Vertrauen in die Institutionen des Staates – „die Regierung ist schließlich Teil der Exekutive“ – erheblich beeinträchtigt werde. Gerhardt käme zu einer „völlig anderen Betrachtung, wenn die Kürzungen langfristig angekündigt und im Wahlprogramm der (Regierungs)-Parteien abgebildet worden wären“. Dann, so Gerhardt, hätte die Bevölkerung durch ihre Stimmabgabe darüber entscheiden können, ob Kürzungen im Agrarsektor richtig sind oder nicht.
Zur Haushaltslage des Bundes meint Gerhardt, dass erkennbar kein Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabeproblem bestehe, seien die Einnahmen des Staates in den letzten Jahren ständig gestiegen und hätten die Steuern und Abgaben bereits ein „unangemessen hohes Ausmaß“ erreicht. Er halte es für überragend wichtig, dass die Regierung alles unternimmt, um Deutschlands Wirtschaft wieder zu stärken, da dies unmittelbar haushaltsstabilisierende Wirkungen nach sich ziehe.
„Neutrale Rolle der Stadt Halver“
Michael Brosch, Bürgermeister
Bürgermeister Michael Brosch beantwortete die Fragen von LokalDirekt nicht, sondern verwies auf eine „neutrale Rolle der Stadt Halver“. Er vertrete die Auffassung, dass sich die Verwaltung einschließlich Bürgermeister nur dann in bundes- oder landespolitische Diskussionen einmischt, „wenn diese uns als Aufgabenträger betreffen“. Die Diskussion sollte, so Brosch, dort geführt werden, wo Betroffene und Entscheidungsträger miteinander ins Gespräch kommen. „Wir begleiten die Proteste der Landwirte städtisch soweit wir als Ordnungsbehörde zuständig sind.“ Die Frage, was er heimischen Landwirten im Gespräch in diesen Tagen mit auf den Weg geben würde, ließ er unkommentiert.