Die Nachrodt-Wiblingwerder Gemeindebücherei wird mehr und mehr ein Ort für kleine Bücherwürmer und Leseratten. Immer mehr Kinder wissen das zu schätzen und nutzen die speziellen Angebote. Vorlesenachmittage, Aktionstage, Angebote für Schulen und Kindergärten: Stefanie Ingenpaß gibt mächtig Gas in Sachen Nachwuchsarbeit. LokalDirekt hat mir ihr über die Bedeutung von Lesen für Kinder gesprochen:
Kinder für das Lesen zu begeistern ist Ihre große Mission. Wie klappt es denn? Gefühlt ist Ihre Arbeit ein Erfolg, oder? Was sagen die harten Zahlen?
Stefanie Ingenpaß: „Es klappt sehr gut, wobei es immer auch noch Luft nach oben gibt. Die Ausleihzahlen der Kinderbücher haben sich im vergangenen Jahr vervielfacht und 101 Kinder haben sich 2023 neu angemeldet. Das ist ein tolles Ergebnis für so eine kleine Gemeinde. Mehr kann ich Ihnen zur Statistik gerade leider nicht sagen, da mein Betriebssystem (nach dem Cyber-Angriff auf die kommunale IT im vergangenen Jahr, Anm. d. Red.) noch nicht wieder funktioniert.“
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass Kinder lesen?
„Lesen macht Spaß. Wer in ein Buch abtauchen kann, findet Entspannung und reduziert so seinen Alltagsstress. Lesen regt die Vorstellungskraft und die Fantasie an. Es fördert außerdem die Sprachkompetenz, das Konzentrationsvermögen und es erweitert den Wortschatz. Last not least: Wer Lesekompetenz hat, kann sich umfangreicher informieren.“
Vorlesen ist ein bisschen aus der Mode. Tonies, TipToi und Co. ersetzen das in einigen Haushalten. Auch in der Bücherei gibt es Tonies. Was denken Sie persönlich? Gehören Tonies in eine Bücherei? Und können Tonies das Vorlesen ersetzen?
„Hörbücher, und Tonies sind ja nichts anderes, gehören für mich auf jeden Fall in eine Bücherei oder Mediothek. Natürlich ersetzen sie das lebendige Vorlesen nicht, bei dem man miteinander im Austausch steht. Aber sie sind dennoch unterhaltsam und zuweilen auch lehrreich. Neben den Tonies und Hörbüchern auf CD möchte ich hier gerne auch nochmal auf die Möglichkeit der Onleihe hinweisen. Auch dort stehen neben zahlreichen Ebooks auch Audiobooks zum Streamen bereit. Kostenlos natürlich, ein Büchereiausweis reicht dazu.“
Sie selbst lesen gerne vor. Was ist das Besondere daran? Warum machen Sie das so gerne?
„Menschen erzählen sich seit Urzeiten Geschichten. Lebendiges Erzählen oder Vorlesen und das aktive Zuhören beziehungsweise Lauschen verbindet Menschen miteinander. Genau das fehlt doch in der heutigen Zeit.“

Warum – glauben Sie – wird so viel weniger vorgelesen?
„Vielleicht liegt es an der beruflichen Belastung der Eltern, am übermäßigen Medienkonsum oder auch einfach nur daran, dass die Eltern selbst nicht die schöne Erfahrung gemacht haben.“
Wie haben sich Kinderbücher in den vergangenen Jahren verändert? In der Bücherei findet sich noch viel Astrid Lindgren. Ich selbst habe die als Kind geliebt. Aber was zeichnet richtig gute neue Kinderbücher aus?
„Gute neue Kinderbücher holen die Kinder ab, spiegeln ihr Alltagsleben wider. Sie sind sprachlich und thematisch der heutigen Zeit angepasst, schön illustriert und sollten am Ende immer eine gute Lösung für das angesprochene Problem bieten. Kinder sind aber durchaus klug genug zu verstehen, dass Menschen früher anders gelebt und gesprochen haben und dennoch die gleichen Probleme hatten, wie sie heute. Das erklärt die Popularität der Kinderbuchklassiker und der Märchen.“
Was muss denn ein Buch haben, dass heute bei den Kindern gut ankommt?
„Genau wie Erwachsene möchten Kinder gut unterhalten werden. Fantasie und Witz, auch Sprachwitz, sind gefragt und schöne, gerne witzige, Illustrationen. Die Büchereikinder mögen besonders gerne Bücher mit Wiedererkennungswert: Bücher zu TV-Sendungen oder von Youtubern, moderne Bücher eben. Und bitte ohne erhobenen Zeigefinger.“
Bilderbücher werden auch gerne pädagogisch genutzt. Beispielsweise wenn es um das Thema Tod geht. Ein Thema, das gerade Eltern oft sprachlos macht. Kann ein gutes Kinderbuch, wie zum Beispiel „Mach es gut kleiner Dachs“, das persönliche Gespräch ersetzen? Erleben Sie eine Nachfrage nach solchen Büchern?
„Ein Buch kann kein Gespräch ersetzen, aber ein Anlass zu einem Gespräch oder auch einfach besser als nichts sein. Eine Nachfrage nach bestimmten Themenbereichen gibt es durchaus (zum Beispiel auch Selbstbestimmung, Aufklärung etc.), aber meistens suchen sich die Kinder aus, was ihnen gefällt.“

Pädagogen sagen, dass besonders bildungsfernere Familien fürs Lesen begeistert werden müssten. Wie sehen Sie das? Ist das nur ein guter Wunsch? Oder ist das tatsächlich für eine Bücherei möglich? Wenn ja, wie erreichen Sie diese Menschen?
„Wenn Pädagogen das sagen, dürfen sie gern noch mehr Werbung für die Büchereien machen. Aber ja, ich glaube schon, dass sich in der kindlichen Leserschaft der Nachrodter Bücherei auch die ganze Bandbreite der Gesellschaft widerspiegelt. Das liegt daran, dass Kinder sich hier wohlfühlen. Natürlich wird aufeinander Rücksicht genommen, aber nur Flüstern und ein ständiges Psst sind passè. Hier wird gelesen, gewerkelt und manchmal auch gefeiert, wie zuletzt zur Halloween-Party. Das spricht alle Kinder an.“
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Was war ihr schönstes oder bewegenstes Vorlese-Erlebnis in Nachrodt?
„Mein schönstes Vorlese-Erlebnis war, als ein kleiner Junge sagte, er wolle doch auch einmal aus seinem Lieblingsbuch vorlesen – was er dann natürlich durfte. In diese Richtung soll es gehen. Ich habe mit den Kindern ein Kamishibai gestaltet und gerne dürfen auch selbstgeschriebene Geschichten mitgebracht werden.“