Mahid, Malek und Omar sind als minderjährige Jugendliche allein vor Krieg und menschenrechtsverachtenden Lebensbedingungen in ihren Heimatländern geflohen. In Deutschland suchen sie Sicherheit und eine Zukunftsperspektive. Mahdi (20 Jahre) und Malek (17 Jahre) kommen aus Afghanistan, Omar (17 Jahre) aus Somalia. Sie stehen stellvertretend für die unbegleiteten Flüchtlinge, die sich aufgrund der Quote des Landes Nordrhein-Westfalen in Obhut eines der Jugendämter im Märkischen Kreis befinden.
Die Jugendämter der Städte Altena, Hemer, Iserlohn, Lüdenscheid, Menden, Plettenberg, Werdohl sowie das Jugendamt des Märkischen Kreises arbeiten gemeinsamen daran, für diese Jugendlichen eine geeignete Unterbringung zu finden, sie pädagogisch zu betreuen und ihnen eine gesellschaftliche, schulische und berufliche Orientierung zu geben. Aus der Not machten die Jugendämter eine Tugend, übten den Schulterschluss, nahmen Kontakt zu Trägern verschiedener stationärer und ambulanter Angebote auf und entwickelten gemeinsam kreative Unterstützungsangebote – auch trägerübergreifend -, um ihnen eine vielversprechende Perspektive zu bieten.
Best Practice
Ein „Best-Practice-Beispiel“ ist aus Sicht von Meinolf Hammerschmidt, Jugendamtsleiter des Märkischen Kreises, die Kooperation der Jugendämter mit dem Berufsbildungszentrum der Kreishandwerkerschaft Märkischer Kreis e.V. in Iserlohn und der Kompass Pädagogische Orientierungshilfe GmbH Hagen. Innerhalb von 15 Monaten möchten die Projektteilnehmer im Berufsbildungszentrum (BBZ) der Kreishandwerkerschaft einen anerkannten Schulabschluss erlangen und streben eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb an. Die Ergebnisse sprechen für sich: Sechs der 18 Teilnehmer haben bereits einen Ausbildungsplatz gefunden, acht weitere beginnen in nächster Zeit ein Praktikum mit anschließender Ausbildungsoption.
Mahdi ist froh und dankbar, dass seine Jugendamtsbetreuerin ihn in diesem Projekt untergebracht hat, weil es ihn schneller zum Ziel bringt als herkömmliche Qualifizierungsmaßnahmen. Er weiß: Um den Schulabschluss zu schaffen und sich fit für eine Ausbildung zu machen, muss er in den Hauptfächern Deutsch und Mathe sowie in Englisch, Biologie und Sport ordentlich lernen. Seit zweieinhalb Jahren ist Mahdi in Deutschland. Der aufgeweckte junge Mann ist hochmotiviert, spricht gut Deutsch und möchte möglichst bald den Malerberuf erlernen und auf eigenen Füßen stehen. In seiner Heimat hat er bereits erste Erfahrungen in seinem Wunschberuf gesammelt, die sich, so seine Hoffnung, bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz als nützlich erweisen könnten. Drei Praktika hat er bereits erfolgreich absolviert und ein gutes Feedback zu seiner Leistung erhalten.
Wie eine Familie
Mit 17 weiteren heranwachsenden Flüchtlingen lebt Mahdi seit einem Jahr im Internat des Berufsbildungszentrums in Iserlohn. Sie lernen gemeinsam, essen zusammen in der Mensa mit den anderen Azubis im Berufsbildungszentrum und wohnen jeweils zu zweit auf einem Zimmer. „Wir gehen freundlich miteinander um, wie in einer Familie – egal welche Nationalität“, sagt der Afghane. Pädagogisch betreut werden die überwiegend noch minderjährigen Teilnehmer von den Projektkoordinatorinnen Nadine Karneil und Sophia Steiner von Kompass. Sie helfen den Jugendlichen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen – und sprechen über wichtige gesellschaftliche und kulturelle Fragestellungen, das Gesundheitssystem und -fürsorge. Darüber hinaus stehen Einzelberater den Jugendlichen mit Rat und Tat zur Seite.
Der 17-jährige Malek ist erst vor zehn Monaten aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Er ist sofort durchgestartet. Für die kurze Zeit spricht er erstaunlich gut und sicher deutsch. Sein Berufswunsch ist es, Fliesenleger zu werden und sich später vielleicht mal selbstständig zu machen. Malek findet das System des BBZ gut: „Ich bin nicht allein. Wir unterstützen uns gegenseitig und haben Struktur im Alltag“, beschreibt er seine Lebenssituation.
Strukturiert wie im Berufsalltag
Struktur ist für Michaela Graf, Leiterin des BBZ, ein gutes Stichwort. 15 Monate sind nicht viel Zeit, um die Sprache und die für eine Ausbildung in Deutschland notwendigen Kompetenzen zu lernen. Dafür braucht es eine hohe Motivation, Disziplin und Durchhaltevermögen. Daher ist es den beteiligten Jugendämtern wichtig, vorher in einem Clearingverfahren geeignete Kandidaten für das Turboprogramm zu ermitteln. Alle 18 Plätze belegen die Jugendämter des Märkischen Kreises. Der Schultag ist von 7.15 bis 15.30 Uhr durchgetaktet und orientiert sich bereits an normalen Arbeitszeiten.
Dabei wird deutlich, wie motiviert und engagiert die Jugendlichen sind: Zwei von ihnen beherrschen nach der kurzen Zeit die deutsche Sprache bereits auf dem Niveau B1, während sich neun weitere intensiv auf das B1- und fünf weitere auf das A2-Sprachzertifikat vorbereiten. Auch in schulischer Hinsicht zeigen sich klare Fortschritte: Zwei Teilnehmer konnten ihren Hauptschulabschluss bereits erfolgreich abschließen, und zehn weitere arbeiten derzeit zielstrebig darauf hin.
Für die unbegleiteten Flüchtlinge steht mit der Ausbildung aber auch viel auf dem Spiel, macht Michaela Graf deutlich: „Nach der Ausbildung sind sie Fachkräfte und haben Anspruch auf Asyl und bessere Chancen, einen gesicherten Aufenthaltstitel zu erhalten.“ Die aktuelle Stimmung zur Migrationspolitik in Deutschland belaste die Flüchtlinge sehr. „Solche gesellschaftlichen und politischen Themen besprechen wir natürlich ausführlich“, berichtet Sophia Steiner. Hier gilt es, den Mut nicht zu verlieren.
Chancen nutzen
Zuversichtlich ist auch Omar. Er punktet mit Fleiß, Freundlichkeit und Respekt. Seit elf Monaten ist der 17-Jährige aus Somalia in dem Projekt. Sein Ziel ist eine Ausbildung zum Verkäufer im Einzelhandel, möglichst in einem Supermarkt. Daran anschließen möchte er eine Weiterqualifizierung zum Kaufmann im Einzelhandel. Was ihn antreibt? „Ich habe das Projekt gewählt, weil ich lernen will. Viele Jugendliche haben nein gesagt. Aber ich habe die Chance genutzt. Ich bin jemand, der zuhört, Respekt zeigt und Hilfe annimmt. Ich möchte auch anderen Jugendlichen helfen und zeigen: Du kannst es schaffen, wenn du willst.“
Die Motivation von Mahid, Malek und Omar ist sehr hoch. Die jungen Männer wollen Teil der Gesellschaft werden. Daher kam aus ihren Reihen unlängst auch der Wunsch, sich ehrenamtlich zu engagieren. In Kontakt mit anderen Jugendlichen kommen die Flüchtlinge im BBZ sowie bei gemeinsamen Ausflügen und Sporteinheiten mit verschiedenen Sportvereinen. Hoch im Kurs stehen Fußball, Boxen und das Fitnessstudio.
Für die Vermittlung von Praktika und einen Ausbildungsplatz ab August oder September nutzt das BBZ gezielt seine Kontakte zu Handwerksbetrieben. „Viele Handwerksbetriebe suchen dringend motivierte Nachwuchskräfte, haben aber Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Denen können wir ein gutes Angebot machen“, erzählt die BBZ-Leiterin. Auch für Jugendamtsleiter Meinolf Hammerschmidt stellt sich eine Win-Win-Situation dar: „Als gesuchte Arbeitskraft geben die jungen Flüchtlinge langfristig der Gesellschaft auch etwas zurück.“
„Falls die Ausbildungsbewerber für besonders anspruchsvolle Ausbildungszweige beispielweise bei einer Ausbildung zum Mechatroniker noch qualifizierte Unterstützung brauchen sollten, ist es auch möglich, noch eine Einstiegsqualifikation mit Unterstützung der Agentur für Arbeit vorzuschalten“, ergänzt Michaela Graf. Aus Erfahrung weiß sie: „Türöffner für eine Ausbildung ist letztlich die eigene Persönlichkeit.“