Eine Sache zur Erklärung vorab: Ich bin Hagenerin. Geboren in Altenhagen, aufgewachsen in Eppenhausen, seit 13 Jahren wohne ich in Hohenlimburg. Die zwei Jahre, in denen ich in Dortmund gelebt habe, lassen wir an dieser Stelle mal unter den Tisch fallen – das Gras ist auf der anderen Seite eben doch nicht immer grüner, sagen wir es so. Und meine Freunde? Ja, nun. Die sind auch aus Hagen. Manche von ihnen – so wie ich – hier hängengeblieben. Andere – warum auch immer – aus Städten wie Mainz und Münster zurückgekehrt.
Als ich also vor knapp einem Jahr – gemeinsam mit unserer Volontärin – für die Gemeinde Schalksmühle als Journalistin zuständig wurde, erntete ich überwiegend hochgezogene Augenbrauen. Und Skepsis. „Lohnt es sich denn überhaupt, da aus dem Auto auszusteigen?“ – Nun. Ja. Gute Frage. Spoiler: Die Antwort ist ja. Aber zu dieser Erkenntnis soll ich erst noch kommen. Und dabei – auf gleich mehreren Ebenen – mein Herz verlieren. Aber beginnen wir von vorne.
Schalksmühle – totes Pflaster?
Als ich, ein paar Tage später, tatsächlich im Ortskern aus dem Auto aussteige, schießt mir die Frage meiner Freundin wieder durch den Kopf: „Lohnt sich das überhaupt?“ Die Antwort darauf erübrigt sich bei mir in diesem Moment zwar, weil ich nun mal dort einen Termin habe. Aber trotzdem: Eigentlich fehlt hier gefühlt wirklich nur noch das getrocknete Stroh, das über die Straße weht. Also ein sprichwörtlich totes Pflaster? – Zumindest ist das der Eindruck, der mir von vielen Seiten – auch von den Schalksmühlern selbst – immer wieder angetragen wird. Und den ich tatsächlich so nicht uneingeschränkt unterschreiben kann und möchte.
Sicher, der Leerstand ist ein Thema. Wie in so vielen Städten und Gemeinden nach Corona. Und auch vorher schon. Der Internetversandhandel macht vieles kaputt. Um aber an der Stelle bei der Wahrheit zu bleiben: Auch in mancher Großstadt im Ruhrgebiet sieht das Bild nicht anders aus. Trotzdem, schade, denke ich – denn eigentlich ist es ja ganz nett hier. Noch netter wäre es aber sicher, wenn hier mehr Leben stattfinden würde. Gibt es da nicht irgendeine Möglichkeit?

Schalksmühle und die Förderprogramme
Die gibt es sehr wohl, wie ich einige Zeit später durch Gespräche mit Leerstandsmanager Bernd-Martin Leonidas feststellen soll. Denn: Das Förderprogramm für zukunftsfähige Innenstädte NRW gilt auch für Schalksmühle. Sprich: Ladenlokale können für gerade mal 20 Prozent der eigentlichen Kaltmiete angemietet werden.
Und tatsächlich klingt die Anzahl der Leerstände auch recht überschaubar: Gerade mal sechs Läden stehen aktuell leer. Aber wie kann dann der Eindruck eines beinahe ausgestorbenen Ortskerns entstehen?

Leonidas sieht vor allem zwei Probleme: auf der einen Seite das Internetshopping. Auf der anderen Seite die Konkurrenz durch die größeren und angeblich attraktiveren Städte des Rheinlands. Um nur ein konkretes Beispiel zu nennen: Düsseldorf.
Erwischt, denke ich bei mir, als ich sein Büro verlasse. Auch ich lasse mir mittlerweile einen Großteil meiner Einkäufe nach Hause liefern. Und wenn ich ein „Einkaufserlebnis“, wie Leonidas es nennt, suche, fahre auch ich in Richtung Ruhrgebiet oder Rheinland. Oder auch schon mal direkt bis nach Holland. Memo an mich selbst: Auch mal wieder den heimischen Einzelhandel unterstützen.
Ein zweiter Blick lohnt sich
Ich stehe also – zur Mittagszeit – auf dem Rathausplatz. Die Sonne scheint, im Eiscafé sitzen Leute. Der Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch ein wenig Zeit habe, bis ich in die Redaktion zurück muss. Und außerdem fehlen mir sowieso noch Fotos von diesem angeblich toten Pflaster. Also mache ich einen Spaziergang durch die Gemeinde.

Was bei näherem Hinschauen sofort auffällt: Hier gibt es keine großen Ketten, sondern lediglich individuelle Geschäfte. Der Blumenladen an der Ecke bietet nicht nur fachkundige Beratung, sondern auch ein ausgewähltes Angebot an Deko. Der Gemüseladen direkt nebenan überrascht mit regionalem und frischem Obst und Gemüse. Noch einen Laden weiter finde ich frische Wurst und Käse aus der Frischetheke. Beratung und kostenlose Verkostung auch hier: inklusive.
Und damit hört es nicht auf: Auf dem Weg laufe ich an einem Innenausstatter vorbei. Und an einem Restaurator für Möbel. An einem Schuhgeschäft, einem Friseursalon, der vom NRW-Vizemeister geführt wird, und an einem Sportgeschäft.
Weitere Memo an mich selbst also, als ich wieder ins Auto steige: Aussteigen lohnt sich hier ganz sicher. Und ein zweiter Blick auf das angeblich nicht vorhandene Angebot ebenfalls.
Schalksmühle: Mehr als Bratwurst und Bier
„Sauerland“, nickt mein Vater verstehend, als ich meinen Eltern im März des vergangenen Jahres erzähle, wo ich bald arbeiten werde, „Bratwurst und Bier.“ Damit ist für ihn – als Münsteraner, der seit fast 50 Jahren in Hagen lebt – das Thema erledigt.
Heute, fast zwei Jahre, die ich größtenteils in der Gegend verbracht habe, später, kann ich sagen: Ganz so einfach ist es nicht, Papa. Ja, natürlich sind Bratwurst und Bier in der Gemeinde ein Thema. Zumal in Schalksmühle sogar eine Brauerei ansässig ist. Aber auch hier lohnt es sich wieder mal noch einen weiteren Blick zu riskieren.

Tatsächlich habe ich in der bisherigen Zeit meines Schaffens in und rund um Schalksmühle eine Menge Dorffeste besucht: Feuerwehr, Schützen, Geflügelzüchter – irgendwas geht hier an jedem Wochenende. Und klar, Bratwurst und Bier sind nicht wegzudenken. Was sich mir – als sonst eher sture, reservierte Westfälin – aber bei diesen Gelegenheiten regelrecht aufdrängt, ist die Mentalität.
Man kennt sich, man hilft sich. Ohne zu zögern oder eine große Sache daraus zu machen. Während ich in Hagen schon froh bin, wenn die Bäckereifachverkäuferin die passende Tageszeit ansagt, werde ich hier mit Namen begrüßt. Und gefragt, ob es denn dasselbe wie immer sein darf? – Ja gerne, einmal zum Mitnehmen, bitte.
Schalksmühle: Ein Ausflugsziel
Einige Zeit später soll ich eine weitere Erkenntnis erlangen: Es lohnt sich in Schalksmühle durchaus nicht nur im Ortskern aus dem Auto auszusteigen. Im Gegenteil: Die Fahrt zum Bauernhaus Wippekühl oder zum Wanderparkplatz in Rotthausen oder zum Schützenplatz Heedfeld oder nach Linscheid lohnen sich ebenso. Zu welchem Zweck? – Na, zum Wandern natürlich.

Und hier ist das Angebot wirklich nahezu unerschöpflich: Von einfachen, familienfreundlichen Wanderwegen über Tagestouren bis hin zum Weihnachtswanderweg ist alles im Angebot. Bald zieht es mich nicht mehr nur beruflich unter der Woche in die Gemeinde und Umgebung, sondern auch am Wochenende – privat.
Und dann gibt es natürlich auch noch die Momente, die mich wie aus dem Nichts heraus treffen und kurz die Luft anhalten lassen – zum Beispiel der Blick auf den Sonnenuntergang über Heedfeld.

Schalksmühle und Kultur – ein Widerspruch in sich?
Hier lautet die Antwort ganz entschieden: nein. Und jeder, der was anderes behauptet, hat sich noch nicht mit dem Kulturprogramm der Gemeinde auseinandergesetzt. Von Konzerten über die hauseigene Theaterwerkstatt bis hin zum Kinderkino des Jugendzentrums: zur ersten Anlaufstelle, wenn es um Kultur geht, sind die 8Giebel geworden. Zu recht, bietet das ehemalige Kirchenschiff, aufwändig und mit viel Liebe zum Detail umgebaut zum Allzwecksaal, doch für jeden Geschmack etwas.
Und wenn wir schon von Kultur reden, darf natürlich ein Name nicht ungenannt bleiben: Christian Breddermann. „Wir machen hier ganz bestimmt nicht alles, aber doch sehr vieles richtig“, sagt er im Interview zu mir. Und genau diesen Eindruck habe ich auch: Ob es nun um einen Mittagstisch für Senioren, Lesungen, Ausstellungen, Konzerte oder Dorfkaraoke geht – das Café Breddermann hat seine Türen, wenn auch nur noch bei Veranstaltungen, geöffnet. Für alle, die auf der Suche nach Unterhaltung, Musik, Kultur oder einfach nur einem Bier und einem Gespräch mit dem Wirt sind.

Und die Moral von der Geschicht?
Frei nach Wilhelm Busch: gibt es nicht. Wäre hier aber auch an dieser Stelle gar nicht angebracht. Im Gegenteil: Das alles sind die ganz eigenen, rein subjektiven Gedanken einer Ortsfremden. Die nach wie vor jeden Nachmittag in ihre Heimatstadt zurückfährt – um am nächsten Morgen gut gelaunt wieder zurückzukehren.
Deshalb folgen nun auch nur noch einige – ebenso rein subjektive – Empfehlungen: Schaut zwei Mal hin. Nehmt die Angebote, die da sind, wahr. Esst das Eis. Kauft die Blumen. Lasst euch beraten. Singt Karaoke. Schaut euch Theaterstücke an. Kommt ins Gespräch. Miteinander. Füreinander. Und für eine Gemeinde mit Zukunft.
