Als das Verwaltungsgericht Arnsberg im April 2022 das Durchfahrtsverbot für Motorräder auf der Prioreier Straße zwischen Breckerfeld und Hagen aufhob, begründeten die Richter dieses Urteil – unter anderem – damit, der Kreis habe es in den fast vierzig Jahren der ‚Sperrung‘ versäumt, regelmäßig zu prüfen, ob sie noch verhältnismäßig sei.
Zweifel an der Verhältnismäßigkeit
Die Zweifel an der „Verhältnismäßigkeit“ ergaben sich vor allem daraus, dass es mittlerweile effektivere Maßnahmen gebe, die Sicherheit für Motorradfahrer insbesondere auf kurvenreichen Abschnitten zu erhöhen, etwa durch einen Unterfahrschutz der Leitplanken oder auch mit flexiblen Kurvenleittafeln.
Geklagt gegen das Durchfahrtsverbot hatte damals ein Motorradfahrer aus Hagen – und der Bundesverband Deutscher Motorradfahrer (BVDM) begrüßte das Urteil der Richter.
Verband bot Zusammenarbeit an
„Nachdem die Richter das Fahrverbot gekippt hatten, haben wir dem Kreis angeboten, die Strecke aus Sicht erfahrener Motorradfahrer zu inspizieren und gemeinsam ein Konzept zu erarbeiten, wie man sie mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln sicherer machen kann“, erzählt Michael Lenzen, der beim BVDM für das Referat Streckensperrungen zuständig ist, im Gespräch mit LokalDirekt.
Finanzielle Beteiligung wäre möglich
Nachdem es nach dem Gerichtsurteil noch „mehrere Wochen“ gedauert habe, bis die Beschilderung für das Durchfahrtsverbot überhaupt abgenommen worden sei (gemäß Straßenverkehrsordnung gilt das, was ausgeschildert ist), habe der BVDM nochmals telefonisch Kontakt zum Ennepe-Ruhr-Kreis aufgenommen und erneut einen sachlichen Austausch über sinnvolle Sicherheitsvorkehrungen angeboten.
Aus der Kreisverwaltung habe es daraufhin geheißen, sie werde entsprechende Maßnahmen durchführen. „Kurz gesagt: Der Kreis schien kein ausgeprägtes Interesse an einer Zusammenarbeit oder einem Austausch mit uns zu haben“, so Lenzen. Und dabei habe der Verband sogar angeboten, sich finanziell an einer Sicherheitsverbesserung zu beteiligen oder auch die gemeinnützige MehrSi GmbH mit ins Boot zu holen, die sich seit über zwanzig Jahren unter anderem für Unterfahrschutz an „den schlimmsten Stellen“ engagiert und diese durch Spendeneinnahmen mitfinanziert: „Eine Reaktion erhielten wir leider auch darauf nicht.“
Unfälle zwingen Kreisverwaltung zum Handeln
Seit April 2022 ist „die Priorei“ also wieder frei – und zahlreiche zum Teil sehr schwere Motorradunfälle bestätigen jene Skeptiker, die eine Aufhebung des Durchfahrtsverbotes von Anfang an für falsch hielten. Und die Unfälle drängen die Kreisverwaltung dazu, die Strecke nun – vorerst – wieder tageweise beziehungsweise an Wochenenden und Feiertagen für Motorradfahrer zu sperren. Dies bestätigte Michael Schäfer, im Schwelmer Kreishaus Fachbereichsleiter für Ordnung und Straßenverkehr, im schriftlichen Interview mit LokalDirekt.
Anhörungsverfahren läuft
Doch bevor es zum tageweisen Durchfahrtsverbot für Motorräder auf der L 701 komme, gebe es zunächst noch, wie es bei solchen Maßnahmen zwingend erforderlich ist, ein Anhörungsverfahren mit der Polizei sowie dem Landesbetrieb Straßen.NRW als Straßenbaulastträger: „Wir gehen hier allerdings davon aus, dass dabei keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einer anderen Entscheidung seitens der Kreisverwaltung als Straßenverkehrsbehörde führen“, so Schäfer im Interview.
Polizei hat Priorei im Fokus
Andreas Berg aus der Straßen.NRW-Pressestelle teilte LokalDirekt auf schriftliche Anfrage hin telefonisch mit, der Landesbetrieb werde hierzu keine Einschätzung abgeben bevor das Anhörungsverfahren nicht abgeschlossen ist.
Die Kreispolizeibehörde ließ indes durch Pressesprecher Christoph Neuhaus mitteilen, auch seine Behörde beziehungsweise die Unfallkommission habe die besagte Strecke bereits seit längerer Zeit im Fokus: „Seit dem 14. Juni 2023 kam es auf der Prioreier Straße in einem Abschnitt von zwei Kilometern zu mehreren Motorradunfällen, so dass hier von einer Unfallhäufigkeitsstelle auszugehen ist.“
Sperrung wäre „zweckdienlich“
Die Mehrheit der Unfälle habe sich am Wochenende ereignet, so dass auch die Polizei ein Durchfahrtsverbot an den genannten Tagen „als zweckdienlich“ erachte: „Die Frage ist aber, ob sich das Verbot lückenlos kontrollieren lässt“, gibt Neuhaus zu bedenken und betont gleichzeitig, sowohl der Verkehrsdienst als auch der Wachdienst würden im Falle eines positiven Beschlusses an der „Priorei priorisiert Kontrollen“ durchführen, sofern kein anderer Einsatz die vorhandenen personellen Kapazitäten benötige. „Bei einem Verstoß gegen das Durchfahrtsverbot steht jedenfalls ein Verwarngeld in Höhe von 50 Euro an.“
„Fahrer überschätzen sich“
Christoph Neuhaus‘ Einschätzung nach hätten oder würden sich viele der Motorradunfälle vermeiden lassen, wenn sich alle Fahrer an das vorgeschriebene Höchsttempo halten und – noch wichtiger – ihr eigenes Fahrvermögen richtig beurteilen würden: „Von Breckerfeld in Richtung Hagen ist die Prioreier Straße nicht nur sehr, sehr kurvig, sondern zugleich auch noch abschüssig. Die meisten Unfälle passierten, weil Fahrer sich überschätzt und dadurch die Kontrolle über ihr Motorrad verloren haben.“
Priorei einzige Unfallhäufigkeitsstrecke
Sicher gebe es auch andere Straßen in Breckerfeld, die zu einer mehr oder minder leichtfertigen Fahrweise verleiten würden: „Diese erfüllen aber zum Glück derzeit nicht die Parameter, um sie ebenfalls für Motorradfahrer einzuschränken.“ Und Parameter heißt in diesem Zusammenhang: Es gab dort schlichtweg „zu wenig Unfälle innerhalb eines bestimmten Streckenabschnitts“, als dass man – anders als an der Priorei – von einer Unfallhäufigkeitslinie sprechen könne.
Auch Michael Schäfer sagt, ihm seien derzeit keine anderen Straßen mit einer besonderen Gefährdung für Motorradfahrer auf Breckerfelder Stadtgebiet bekannt.
Breckerfeld erlebt Dejá-vu
Mit dem bald wieder geltenden Durchfahrtsverbot an Wochenenden erlebt die Stadt Breckerfeld ein Dejá-vu: Auch 1981 trat zunächst ein „Wochenendfahrverbot“ für Motorräder auf der Prioreier Straße in Kraft, nachdem es dort im Zeitraum von Januar bis Juli zu neun Verkehrsunfällen unter Beteiligung von Kradfahrern gekommen war.
Eine Person verlor dabei ihr Leben, vier wurden schwerst verletzt. Im darauffolgenden Jahr 1982 gab es auf der Strecke – trotz „Motorradsperrung“ an Wochenenden – sechs weitere Krad-Unfälle, von denen einer tödlich endete. Der Kreis sah sich daraufhin gezwungen, die L 701 komplett für Zweiräder zu sperren.
Kontrollen sind schwierig
Michael Lenzen vom BVDM jedenfalls hält eine tageweise Einschränkung für nicht zielführend: „Entweder gibt es ein Durchfahrtsverbot oder nicht, und durchgängig zu kontrollieren ist es sowieso nicht.“ Das damalige Wochenend-Fahrverbot habe auch nicht die gewünschte Wirkung gezeigt.
„Aus dem Landratsamt ist niemand in den letzten 18 Monaten an uns herangetreten. Wir hatten direkt nach dem Urteil einen Maßnahmenkatalog erstellt und auch unsere Mithilfe angeboten, um die Strecke sicherer zu machen und präventive Aktionen durchzuführen. Warum das Angebot nicht angenommen wurde, wissen wir nicht“, so der BVDM.
BVDM bietet weiterhin Zusammenarbeit an
Er kündigte im Gespräch mit LokalDirekt an, der Verband wolle auf jeden Fall versuchen, eine erneute Sperrung der Prioreier Straße zu verhindern: „Der Landrat als Chef der Kreispolizeibehörde muss darauf hinwirken, dass auf dem Abschnitt mehr und rigorose Kontrollen durchgeführt werden.“
Auch müsse die Strecke einfach baulich viel sicherer gestaltet werden, denn noch längst seien nicht alle kritischen Bereiche mit Unterfahrschutz ausgestattet. Und: „Wir stehen immer noch zu unserem Wort, gemeinsam mit der Polizei präventive Aktionen durchzuführen.“
„Kollektivstrafe nicht gerechtfertigt“
„Der Bundesverband der Motorradfahrer wird auch gegen eine neuerliche Sperrung vor das Verwaltungsgericht Arnsberg ziehen“, betont Lenzen. „Denn aus unserer Sicht ist diese Art der Kollektivstrafe nicht hinnehmbar und auch nicht gerechtfertigt.“ Auch wenn ihm die Problematik bewusst sei, dass die attraktive Strecke einige wenige rücksichtslose Motorradfahrer dazu verleite, eine Landstraße mit einer Rennstrecke zu verwechseln, ist „diese Art der Kollektivstrafe aus unserer Sicht nicht hinnehmbar und auch nicht gerechtfertigt.“
Verband will erneut klagen
Der BVDM jedenfalls kündigte am 13. September auf seiner Webseite bereits offiziell an, auf ein Durchfahrtsverbot erneut rechtliche Schritte einzuleiten: „Wir müssen jetzt warten bis die Ankündigung umgesetzt und neue Streckensperrungsschilder aufgestellt werden, um dann das Gericht anzurufen.“ Denn ohne Schilder könne es keine Klage geben.