„Es fühlt sich noch etwas surreal an“, sagt Jennifer Scholz. Doch ihr Meisterbrief besiegelt es: Sie ist nun Konditormeisterin. Und dieses Jahr hält noch viel mehr für die 28-jährige Münchnerin bereit: Im Mai wird die ehemalige Halveranerin in ihrer alten Heimat – an der Heesfelder Mühle – ihren Freund Marius heiraten. Im Sommer wandert das Paar dann nach Kanada aus, um ein Café mit Konditorei zu eröffnen. In Burlington – das liegt zwischen Toronto und den Niagarafällen. Von diesem Traum hatte Jennifer wohl nach ihrem Abitur am Anne-Frank-Gymnasium im Jahr 2014 noch keine Ahnung. Auch wenn ihre Leidenschaft und das Talent fürs Backen schon längst in ihr schlummerten. Zu ihrem Traumberuf kam die Konditormeisterin erst über Umwege.
Von Halver nach München
Eine Woche nach dem Abiball zog Jennifer damals direkt nach München, um Psychologie zu studieren. Raus aus der Kleinstadt, rein ins Großstadtleben. „Ich habe aber schnell gemerkt, dass mir das Studium zu theoretisch ist.“ Sie wollte nach dem Bachelorabschluss also nicht noch weitere Jahre in den Master und die psychotherapeutische Ausbildung investieren. Sie vermisste den Kontakt zu Menschen, den sie in der Gastronomie schätzen und lieben gelernt hatte. „Mit 15 habe ich im Cattlemen’s in Halver als Spülkraft angefangen und kurz darauf als Kellnerin dort gearbeitet“, erzählt Jennifer Scholz.
Während und auch nach dem Studium kellnerte sie in München weiter – arbeitete zudem auf dem Oktoberfest – und finanzierte sich so längere Reisen. Zum Beispiel nach Kanada. Ihr Freund, mit dem sie inzwischen verlobt ist, hatte dort bereits gelebt, sich einen Freundeskreis aufgebaut. Die beiden beschlossen, auszuwandern. Doch die Corona-Pandemie durchkreuzte die Pläne des jungen Paares. Jennifer Scholz verlor ihren Job als Kellnerin und eine neue Perspektive musste her.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mein Hobby zum Beruf machen kann“
Ihr Freund Marius war es, der sie auf eine völlig neue und doch so nahe liegende Idee brachte: Als er im TV eine Backsendung sah, stand für ihn fest, dass seine Freundin mit ihren Backkünsten mehr als mithalten könne. Inspiriert von diesem neuen Impuls bewarb sich die Münchnerin um einen Schnuppertag bei einem Konditor, ohne zu ahnen, dass sie geradezu in die Bewerbungsphase für das Handwerk schlitterte.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mein Hobby zum Beruf machen kann“, erzählt Jennifer. Und doch kam es so. Sie begann die Ausbildung zur Konditorin. Ein Vorbild hat sie in der eigenen Familie: Ihre Oma aus Amerika hatte damals ebenfalls Selbstgebackenes verkauft. „Meine Mama hatte als Kind immer gehofft, dass etwas kaputt geht oder der Käsekuchen einen Riss bekommt. Denn was nicht verkauft werden konnte, durften die Kinder essen“, erinnert sich Jennifer an die Erzählungen ihrer Mutter. Das Backen spielte in ihrer Familie also seit jeher eine große Rolle.
Schon als Kind backte Jennifer regelmäßig Brownies, Chocolate Chip Cookies und Käsekuchen für ihre Klassenkameraden und Freunde – nach den originalen Rezepten ihrer amerikanischen Mutter.
Bis heute sind das ihre Favoriten, wobei natürlich noch einiges – wie die Klassiker Crème brûlée und Mousse au Chocolat – dazukam: „Ich liebe auch Plunder und Croissants. Einach alles, was richtig schön buttrig ist“, schwärmt sie. Seit Kurzem arbeitet die 28-Jährige in der Boulangerie und Pâtisserie „Claude et Julien“ in München. „Ich suche mir immer das nächste Steckenpferd, eine neue Herausforderung“, erzählt die Konditormeisterin. Sie weiß genau, was sie möchte – und was nicht. So kam es, dass Jennifer ihren ersten Ausbildungsbetrieb nach einem Jahr verließ. Die Arbeitsbedingungen und der Umgang entsprachen nicht ihren Vorstellungen.
„Es ist mehr als nur zu backen“
Bei dem Münchner Pralinenhersteller Elly Seidel fand sie den passenden Rahmen für ihre Ausbildung und wechselte. „Das war sehr befreiend. Ich durfte alles fragen, hatte geregelte Arbeitszeiten und konnte so viel Neues lernen.“ Die Vielfalt schätze sie am Konditorenhandwerk.
Es sei mehr als nur zu backen. Es gehe auch um Torten, Pralinen, Schokolade. Es werde nie langweilig – und die Grenzen setzten immer nur die Zeit und Kapazität. „Man kann überall arbeiten: Von der Industrie bis zum Schiff. Im Hotel, in der Patisserie, in der Eisdiele. Ein Handwerk, das weltweit von den verschiedensten Kulturen geprägt und dadurch so vielfältig sei.
Erst die Meisterschule, dann die Auswanderung
Um den Plan vom Auswandern so schnell wie möglich umzusetzen, besuchte Jennifer im vergangenen Jahr das Berufsbildungszentrum von der Kreishandwerkerschaft MK in Iserlohn. Das Ziel: Der Meisterbrief – und den hat sie nun in der Tasche. Einen Job in München – in Vollzeit und unbefristet – konnte sich die frischgebackene Konditormeisterin danach quasi aussuchen, erzählt sie. „Wir haben derzeit einen Arbeitnehmermarkt; das ist gerade in der Gastro sehr ausgeprägt. Und das ist ein großer Luxus.“ Allen, die länger in einem Job steckten und unzufrieden seien, rät sie, „auch mal abzubiegen und nicht stecken zu bleiben.
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Es sehe nicht mehr schlecht aus, viele Arbeitgeber zu haben. „Es muss auch niemand in einem Job verharren, nur weil man ihn nach der Schule mal gelernt hat.“ Es sei zu schade, nur einen Bereich kennenzulernen. Sie selbst ist der Beweis, das man sein Leben ganz nach den eigenen Wünschen gestalten und dazu durchaus nochmal die Richtung wechseln kann. Bereut habe sie den Schritt nie. „Und von den sozialen Aspekten aus meinem Psychologiestudium profitiere ich noch heute“, sagt sie mit Blick auf ihre Selbstständigkeit: Denn in Kanada möchte die ehemalige Halveranerin auch ausbilden und zum Beispiel deutschen Konditoren die Möglichkeit bieten, Auslandserfahrungen zu sammeln.
Die ersten Schritte in Kanada
Einen Freundeskreis haben ihr Verlobter Marius und sie bereits jetzt in Kanada – darunter Makler und Immobilienexperten. Die Freunde werden das Paar beim Ankommen in der neuen Wahlheimat unterstützen. Sobald sie im Juli/ August auswandern, wollen sie nach einem passenden Ladenlokal fürs Café suchen. Das Geschäft möchten sie zusammen betreiben.
Erfahrung bringen beide mit. Er arbeitete viele Jahre als Barkeeper an einer Bar, Jennifer kellnerte dort – und so lernten sich die zwei auch kennen. „Wir funktionieren gut als Team. Der Plan ist, dass Marius vorne im Verkauf ist und ich mich um die Backstube und die Produktion kümmere“, erklärt Jennifer. Sobald genug Personal angelernt und gefunden sei, möchte auch sie „mit nach vorne“. Zu den Gästen.
Der Traum vom eigenen Café
Und wie soll es sein, das eigene Café in Kanada? „Wie ein Wohnzimmer außerhalb des eigenen Zuhauses“, sagt Jennifer. In Nordamerika sei der Cafébereich schnelllebig. Per Drive-In holten sich die Menschen einen Coffee-to-go, um diesen dann während eines Telefonats oder der Laptop-Arbeit zu trinken. Die Münchnerin hofft, dass sie mit ihrem Café eine Umgebung schafft, in der die Kunden den Kaffee und ihre süßen Speisen ganz bewusst genießen können. Und sie möchte „ein Teil der Community vor Ort werden“. Mit Konzerten, Lesungen und Kunst. Ein bisschen so, wie damals in der „Tanke“ in Halver, sagt sie. Und was wird die Konditormeisterin in ihrer Backstube zubereiten? „Ich möchte europäische Spezialitäten anbieten. Klassiker als kleine Törtchen – modern interpretiert.“Sie wolle eine breite Palette des Konditorenhandwerkes und das beste aus Europa zubereiten. Dazu zählen französische Croissants, Eclairs und Macarons, ebenso wie belgische Schokolade oder Pastel de Nata aus Portugal. Eine Idee für den Namen des Café hat Jennifer auch schon: „Peace of cake“.
Fotogalerie: Die verschiedenen Stationen auf dem Weg zur Konditormeisterin