Da tänzelt er auf die Bühne: blauer Anzug, rosa Shirt, Sneaker im gleichen Ton. Der Altmeister des Kabaretts in schrillem Disco-Look – Jürgen Becker gastierte am Donnerstag, 9. Oktober, mit seinem neuen Programm „Deine Disco“ im PZ der Gesamtschule Kierspe.

„Endlich mal wieder ein volles Haus“, freute sich KUK-Vorsitzender Rolf Muck über den guten Besuch. Kein Wunder. Becker: kennen sie, kennen wir. Sein Programm ist eine Reise durch die Zeit, in der beide älter geworden sind – Publikum und Akteur. Becker als DJ nimmt seine Fans mit auf diese Tour. Erinnerung nach Noten: Musikgeschichte, historische Wegmarken, persönliche Erinnerungen, die oft auch kollektive sind. Flower-Power, Demo gegen Nachrüstung, Frieden- und Frauenbewegung, Wiedervereinigung. Es ist ein kultureller und politischer Rückblick, auch ein bisschen Nachhilfeunterricht und Rudelsingen.

Wer weiß schon, dass die Bundesrepublik erst spät zu ihrer Nationalhymne fand. Anfangs wurde bei offiziellen Anlässen noch „Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien“ intoniert. Erst 1950, im April, bat Konrad Adenauer, die 3. Strophe des Deutschlandliedes zu singen. Musik, Lieder schaffen Heimat. Während im Volkslied viel von Mühen und Arbeit die Rede ist (Schaffe, schaffe, Häusle baue), „geht es im kölsche Lied nie um Arbeit“, macht Becker Mentalitätsgefälle deutlich. Lieder hatten politische Folgen, verweist er auf Wolf Biermann, der wegen seiner Songs aus der DDR ausgebürgert wurde. Oder auf Blues-Konzerte, die Pfarrer Rainer Eppelmann jungen Leuten in der DDR in seiner Kirche erlaubte. – Der Beginn der Bürgerbewegung mit Montags-Demos und Mauerfall.

„Das war unsere Zeit“

Und ohne die Erfindung der E-Gitarre wäre die Geschichte laut Becker anders verlaufen. „Sie zu zertrümmern war ein Statement“. Die 68-Bewegung ohne Jimi Hendrix: unvorstellbar. Die Friedensbewegung hatte BAP, die Frauenbewegung Ina Deter. Jede Epoche, sagt er, habe ihren Soundtrack. Aber: die Klimabewegung hat keinen – und keinen Erfolg. Der Planet wird immer wärmer.

Becker doziert über Musik („Ursprache des Menschen“), dirigiert, spielt Luftgitarre zur Rock aus der Konserve, animiert immer wieder zum Mitsingen. Er lobt die Textsicherheit des Publikums. „Mentale Aufbauarbeit“ wollte er leisten, zumindest einen Abend in einer von Krisen geprägten Zeit. Und „hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Der Kanzler kann das ja nicht.“ Im PZ ist ihm das gelungen.

Mit seinem Programm "Deine Disco" ahm Jürgen Becker die Besucher mit auf eine musikalische Zeitreise
Foto: Rüdiger Kahlke / LokalDirekt

Unterhaltsam, informativ und Becker wäre nicht Becker ohne fein dosierte die Spitzen gegen Establishment und Polit-Größen. Standing Ovations zum Schluss. Natürlich eine Zugabe. Und das Kölsch zum Schluss verteilte der Kölner Alt-Kabarettist selbst mit. „Das war unsere Zeit“, traten Besucher beseelt den Heimweg an. – Disco mal ganz anders.